Bitte warten...

[OBF-401119-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 19. November 1940

Mein liebes, teures Herz! Geliebte! Holde mein!

Wenn ich diesen Brief vielleicht und hoffentlich auch nicht abzuschicken brauche, so mag ich doch auf die Plauderstunde mit Dir nicht verzichten, Du! Herzliebes! Dein neues Bild! Du hast es so bescheiden beigelegt. Es gefällt mir so gut, Du! So eins hast mir noch gar nicht gezogen, solch Gesicht. Amtsmiene würdest Du bei mir sagen. Was ist es überhaupt mit der Amtsmiene? Es ist ein strenges Gesicht, aus dem ein Wollen, Bestimmen, Herrschen über andere spricht, oder auch, in dem sich eine Reserve, Zurückhaltung, Abstand gegenüber der Umwelt ausdrückt. Dieses Amtsgesicht ist also wohl nicht unser wahres, natürliches Gesicht in Ruhestellung, es ist aber auch nicht als ein falsches Gesicht zu bezeichnen. Die Menschen um uns her zwingen uns, Gesichter aufzustecken und zu schneiden. Du! Herzlieb! Hast [Du] darin gar von mir schon gelernt? Ein wenig von meinem Mißtrauen Dir angeeignet? Seit wir uns kennen, haben wir etliches erlebt, was dieses Mißtrauen auf den Plan rufen mußte. Es verdienen's nicht alle Menschen um uns her, daß wir uns ihnen geben, wie wir sind. Es zahlen nicht alle Menschen mit der guten Münze der Geradheit, Offenheit und Wahrheit. Vor denen muß man sich hüten. Vor ihnen spannt man sein Gesicht zur Wachsamkeit. Die Amtsmiene ist ein gespanntes Gesicht. Für mich ist dieses Bild nicht bestimmt, Du! Ich weiß es. Aber für die Reise und für die Polizei, für fremde Menschen. Und das ist gut so.

Von der reizenden Uniform schreibst Du. Wenn man Menschen in die Uniform steckt, macht man sie zunächst äußerlich gleich; das gereicht vielen zum Nachteil, das gereicht aber noch viel mehr Menschen zum Vorteil. Die Uniform stellt manche Tugend erst ins rechte Licht, aber viel, viel mehr vertuscht und verdeckt sie Unvermögen, schlechte Gesinnung. Vieles, was der Mensch sich in der uniformierten Menge erlaubt (feige ist im Grunde), was er sich im Zivil nicht erlauben darf und zu erlauben wagt. Die Uniform ist ein Blendwerk, auf das nur dumme oder naive oder anspruchslose Menschen hereinfallen können. Damit ist nichts gegen die Uniform gesagt, aber darüber gegen die Unvoreingenommenheit, mit der man ihren Trägern nicht begegnet.

Du! Wenn ich bei Dir bin, dann lege ich als erstes die Rüstung, den Waffenrock, ab. Ich will Dein [Roland], Dein Hubo, Dein Dickerle sein wie immer. Sind ja auch soviel eiserne Knöpfe dran, und das Tuch ist so dick und gerade über dem Herzen bauschen sich die Taschen. Genügen Dir diese Gründe, Herzliebes?!! Auf die Uniformen komme ich zu sprechen, weil ich aus dem Munde junger Leute geradezu Erschütterndes wieder hören mußte dieser Tage. Und es war nicht nur ein Renommieren. Für die jungen Männer habe ich kaum eine mitleidige Regung übrig, aber für die Mädchen, die ihnen in die Hände fallen, und für unsre Kultur überhaupt. Es wird ein Segen sein, wenn die meisten ihre Uniformen wieder ausziehen müssen und dann wieder besser scheinen und vorstellen, was sie sind. Freilich darf man nicht vergessen, daß dieses Frontleben für viele eine Not heraufbeschwört, draußen und daheim. Und sie zu überwinden und sich zu beherrschen, dazu gehört jene feste, herzinnige Verbundenheit, die entschlossen ist um jeden Preis, auch Widerwärtigkeiten und Schicksalsschläge auf sich zu nehmen und miteinander zu teilen, dazu genügt nicht jene hohe und flache Gemeinschaft flüchtigen Genusses. Überall tiefe Wasser und flache Wasser, tiefe, die auch eine lange Dürrezeit überstehen, flache, die dann versiegen.

Herzliebes! Dienstag am Abend. Auf Deinen Boten habe ich gewartet, heute doppelt ungeduldig — er blieb aus — morgen ist schon Mittwoch — ich bin ganz im Ungewissen — aber ich [^]bin voll guter Zuversicht: Du wirst kommen, wirst zu Deinem [Roland] kommen — Du bleibst mein — — und wenn Du nicht — — — nicht kommst — — — Du bleibst mein! — — — Du hebst mir alles auf — — — — Du bleibst meine [Hilde] — meine Holde! — — — Und Gott bleibt mit uns! — — Aber Du wirst kommen!

Wie es auch kommt, Herzliebes, eine Lehre für die Zukunft müssen wir, müßt Ihr, mußt Du daraus ziehen; und Du wirst darüber wachen, daß sie gezogen wird!: Wenn Mutsch noch auf Arbeit geht wochentags und für uns schafft, dann braucht sie jeden Sonntag, um einmal auszuruhen!! Wie war es jetzt? Niederfrohnaer Kirmes — Wäsche — Chemnitz! Ist es denn ein Wunder, daß sie nicht mehr kann? Ist das noch ein Leben? Sie ist zu gut, sie mutet sich zuviel zu, sie läßt sich ausnützen, sie denkt nicht an sich. Und Du mußt darunter mit leiden! Euer Leben ist gerade unregelmäßig genug, durch Mutters Arbeit, durch Vaters Arbeit. Das mußt Du der lieben Mutsch einmal ganz ruhig aber eindringlich klar machen: Sie schafft für uns, für Dich — sie will unser Bestes — und weil sie sich zuviel zumutet — macht sie es Dir ganz ungewollt schwer. Herzliebes! Dein könnte ich auf die Dauer nicht ruhig zusehen!! Wir werden einmal unser gutes Auskommen haben, Geliebte. Und Mutter und Vater könnten sich jetzt schon das Leben etwas leichter und angenehmer machen. Mutter braucht nicht mehr zu arbeiten. Sie darf ihr Geschenk an uns keinesfalls mit ihrer Gesundheit erkaufen.

Herzliebes! Ich weiß, daß Du mir beipflichtest. Ich weiß aber auch, daß ich Dich immer wieder mal ermahnen muß, der Mutsch nicht nachzuarten und über Deine Kräfte zu gehen. Es geht nicht nur um die eigene Gesundheit, Du mußt auch die größere Verantwortung bedenken. Geliebte! Du weißt das — und willst das — und vergißt es dann doch über Deiner liebenden Fürsorge. Wenn wir einmal beisammen sind, will ich schon aufpassen; aber jetzt will ich es auch schon — und Du sollst es in der Zeit uns[e]rer Trennung nicht schwerer haben, als Du es bei mir hättest. Herzliebes, Du mußt mir versprechen, meinem Wunsche nachzukommen!

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946