Bitte warten...

[OBF-401117-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, am 17. November 1940.

Herzallerliebster!! Mein lieber, guter [Roland] Du!! Geliebter mein!!

Sonntagabend ist, das Haus ist still — die Eltern schlafen, die anderen sind aus. Und ich bin nun allein mit meinem Allerliebsten!! War heut früh noch einmal im Gottesdienst, das letzte Mal in Oberfrohna vor der Reise. Wir haben ein Lied vorgetragen, das konnte ich noch von früher her. Denk nur: in G.s (Fabrik) Festraum hielten wir Gottesdienst! Die Heizung ist wieder mal kaputt; es kommen die Handwerker ganz schlecht heran zur Reparatur. Sonst hielt der Pfarrer im Pfarrhause, aber heute zur Abendmahlsfeier reichte es nicht aus. Wunderlich genug kam mir’s ja vor, aber seine Worte waren nicht übel. Und so war vor allem schön war drin, daß keiner durch die Kälte abgelenkt werden konnte. Rauh und trübe ist es heut den ganzen Tag gewesen und jetzt ein feiner Regen eingesetzt.

Richtiges Totensonntagwetter setzt ein. Aber bei mir im Herzen scheint trotzdem hell und warm die liebe Sonne! Du! Das bist ja Du!!

Die Mutter liegt nicht mehr, sie sagt da wären die Schmerzen ärger und so kramt sie nun so umher. Freilich viel machen kann sie nicht, sie ist ganz steif im Halse, im Genick und den Rücken lang. Durch das Dampfbad sei es noch schlimmer geworden, meint sie. Wir wissen auch nicht, was wir denken sollen. So ist aber auch kein Hexenschuß, oder ähnliches.

Morgen früh muß sie nochmal den Arzt aufsuchen, mal sehen, was der meint. Also unbedingte Ruhe ist hier Hauptsache, ich traf heut auf dem Heimweg aus der Kirche ihren Chef, er kam auf mich zu und begrüßte mich, fragte nach Mutsch und dem hab ich’s gleich richtig klar gelegt, daß sie jetzt auf keinen Fall arbeiten darf. Er war sehr nett und vernünftig und meinte, daß sie sich nur mal eine Weile gut halten soll, und ich möchte sie nur recht gut betreuen, er würde glauben, daß es schön sein müsse, sich von mir betreuen zu lassen. Da wußt ich keine Antwort auf solch dumme Rede, und ich ließ ihn auch ganz kurz grüßend stehen darauf. Er schaute mich ganz betroffen an, als habe er eine Dummheit gemacht.

Weiß nicht was der hat, wenn er es irgend einrichten kann, hält er mich auf der Straße an zum Grüßen. Ob er denkt, ich komme zu ihm in’s Geschäft? Na, ist ja auch egal.

Du!! Mein [Roland]!! Heute glaube ich ganz fest daran, daß wir uns doch am Freitag wiedersehen, nach Mutters Befinden! Ich versorge sie auch so gut, hab sie elektris[ier]t, eingerieben, nehme ihr alle Arbeit ab, daß sie sich garnicht anstrengen muß. Und sie meint schon, ich soll mich nur auch noch bissel ausruhen, ehe ich fahre, daß ich nicht gar so abgespannt ankomme. Soll wenigstens zeitig schlafen gehn, wenn ich den ganzen Tag rumrenne. Aber Du!! Ich muß doch auch noch bissel mit Dir plaudern, kann doch bis zum Freitag nicht alles nur denken für mich allein! So muß ich halt den Abend benutzen, tagsüber ist wirklich jetzt keine ½ Stunde Zeit. Ich mache das nicht übertrieben Dir vor, Du! Glaubst mir das? Es ist eben noch zu v[iel] zu tun. Mein Stunden, die ich bis zum Mittwochabend noch hab, sind ausgefüllt bis zur letzten Minute.

Aber ich kann ja dann ausruhen von der Hatz! Meinst? Du?!! Ich glaube, das ‚Kamenzer Fett’ ist längst wieder ’runter, mir kommt’s wenigsten so vor, Du!! Wir haben aber auch zu viele Treppenstufen und soo viel [sic] Wege noch.

Herzallerliebster!! Du! Gestern habe ich erst Deinen Montagbrief bekommen, er muß irgendwo liegen geblieben sein. Ich hatte mich schon gewundert, daß nach dem Sonntagsbrief am Donnerstagnachmittag der Dienstagbrief kam. Nahm aber an, Du hättest am Montag vielleicht keine Zeit gehabt. Wunderte mich nur, daß Du mir den Grund nicht schriebst. Aufgefallen is mir[’]s sofort, weil wir uns ja täglich schreiben. Ich dachte aber dann über meinem Drasch und dann über der Sorge um Mutsch nicht weiter darüber nach. Am Freitag, als ich die Hausordnung scheuerte klingelte es, es war Postzeit, als ich nachsah, war der Kasten leer und niemand zu sehn. So hoffte ich auf den Sonnabend. Früh dann — wieder nichts, Nachmittag wieder nichts. Aber das war denn doch undenkbar und als ich mal den Kasten aufschloß, siehe da! Der vom Montag klemmte schief drin u. hatte den Mittwochs boten nicht fallen lassen, daß ich ihn unten sehen könnte, an den Löchern. Aber Dein Dienstagbote ist ordnungsgemäß angekommen, da hab ich doch Donnerstagnachmittag aufgeschlossen. Der vom Montag ist am Freitagnachmittag erst gekommen, stecken geblieben u. Sonnabends ist der vom Mittwoch draufgefallen. Hoch! War das in lange Geschicht’!!

Aber nun sind sie alle, alle bei mir!! Du!! Und heut früh kam auch Dein Donnerstagbrief an! Nichts verloren gegangen!! Du!! Mein Dickerle, mein liebes, gutes, treues!!! Ich danke Dir ja aus ganzem Herzen für all Deine so lieben Worte!! Ach Du!! Ich wäre so unglücklich, wenn nur einer von Deinen Boten verloren ginge! Glaubst mir? Ich würde alle Poststellen aus den Lumpen schütteln und verantwortlich machen Du!! So, wie ich’s letzt hin in Oberfrohna tat! Ja, das will ich Dir erzählen!!

Ich darf Dir jetzt nimmer so süße Briefe schreiben?

Du, den Wunsch will ich Dir gern erfüllen.

Aber weißt, da würde ich ja doch mal mit einem kräftigen Donnerwetter drinfahren, wenn Ihr so paar Säufer habt, die nicht mal die wenige Nachtruhe ungestört vorbei gehn lassen! Macht Ihr da nichts gegen, eine Radikalkur? Einen Pott eiskaltes Wasser bekämen die von mir über ihr beduseltes Haupt, das könnt ich sagen. Und wenn ich dafür [’]ne dicke Zigarre bekäme; aber ich hätte sie wenigstens nüchtern gemacht. Das ist gemein, auch noch rauchen! Und Ihr habt das Vergnügen, in der Luft zu schlafen!

O das wär was für mich, da könnten sie aber Liebe spüren. Einen Ersatz für meine Gummine kannst mir nicht versprochen? Schade. Ich hätte sie sonst zu Haus gelassen, es wird sowieso knapp mit dem Platz im Koffer. Aber vielleicht hänge ich sie mir gleich hinter ins Mantelfutter, schön mit heißem Wasser gefüllt. Am Abend habe ich freie Hand von wegen des ‚Dicken’?

Du!! Merke Dir, was Du da gesagt hast!! Daß mir keine Klagen kommen!! Mehr will ich hier nicht sagen.

Die Anschrift von Halle hättest gern? Ei gewiß, herzlich gerne! Bei Herrn Karl [Laube], Halle/ Saale, Schkopauerweg 82 [.] Sieh nur zu, daß Du mir auch nachkommst, Du grausamer Verfolger und Schürzenjäger!! Ich werde Dir folgen ,–aber nur weil ich einsehe, daß Du recht hast — bild’ Dir nischt ein! — und um 17 Uhr auf dem Bahnhof in Halle sein.

Heute haben mir auch Mutter und Vater geschrieben. Habe mich gefreut und mich auch gefreut, daß ich jetzt in den Tagen vor der Reise nicht in Vaters Nähe bin, der würde mich ja noch was Ehrliches necken und ärgern! Ein Originalzeugnis davon will ich Dir nur gleich beilegen, ich glaube, daß ich auch bloß mit meinem Postausweis hinkomme!

Von dem fruchtbaren Unglück schreiben auch sie mir.

Wird ja wieder eine Sensation für Kamenz gewesen sein, eine Aufregung.

Mutter schreibt, sie hätte wohl noch eine Fahrkarte 2. Klasse, aber wenn sie mit mir führe, da wär sie doch wohl überlei, wir hätten ja soo viel nachzuholen miteinander! Wenn Sommer wär und schönes Wetter ja, da tät sie sich derweil an's Meer setzen! Ich hatte sie nämlich eingeladen zum Mitfahren.

Mutters Brief an ihren Sohnemann hab ich selbstverständlich nicht ohne Kontrolle mit auf die Post genommen! Ich weiß alles! Ich werde folgen, jawoll!!! Solange sie dabei ist. Was dann wird, weiß ich noch nicht! Psst, nischt sagen!!!

Wenn Vollmond ist?

"Ei Herr Lehrer, wann die Sonne am neugierigsten ist, und dem lieben Mond ganz genau gegenüber in’s Gesicht scheint!" Aber wenn Ihnen meine Antwort ungenügend ist, dann können sie mich getrost nach dem Unterricht mal mit zu sich nehmen und es mir erklären, vielleicht können Sie es mir mal richtig vormachen, daß ich’s nicht mehr vergesse?"

Ich hätte keinen Spieß? Hast Du ’ne Ahnung!!

Und wenn Du denkst, Du hast alles und ich hätte garnicht, so hast Du aber gerade wieder falsch getippt!!

Und Deine Frau Professor bin ich schon grade nicht. Und ich bin doch 1.72 m lang, ich hab mich ja heute extra messen lassen von der Mutsch!! Du!! Du!! Du bist ein alles .... ach, es hat ja keinen Zweck, wenn ich komme, krieg ich bloß noch einen mehr auf meinen Allerwertesten. Und die Freude mach ich Dir nun schon grade nicht, Du! Du!!!

Es ist mir eigentlich immer noch nicht ruppig genug, was ich Dir nun eben schreib. Weißte, ich werde doch das zurücknehmen mit dem Versprechen: daß Dir keine zärtlichen Briefe mehr schreiben will. Es ist aber bloß darum: (bilde Dir ja nichts ein Du!!) [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

Weil ich vor meiner Reise ganz wenig Zeit hab Dir zu schreiben, und das Wenige auch noch ganz ruppig schreiben; na, das mag ich Dir nicht gerade antun. Heimzahlen will ich Dir alle Schlechtigkeiten, wenn ich komme! Da kannste aber was erleben Du!!!!!

Hier auf der andern Seite sehen’s die anderen Buchstaben nicht was ich schreibe, da brauche ich mich nicht zu schämen. Die dachten so aber bestimmt ich hätte keinen Charakter.

Herzallerliebster!! Du!! Mein liebster, bester [Roland]!!

Ich bin heut so froh, Du!! Ich dachte bei all meiner Arbeit, die ja nur für Dich, um Deinetwillen geschieht, so sehnsüchtig, so zärtlich Dein!! Du mußt es ja gefühlt haben, mein Lieb!! Und ich bin so froh, weil Mutter nicht mehr liegt! Ich bin voll Hoffnung, Du!!

Der letzte Sonntag allein!! [Roland]!! Mein Liebster!! Welche Freude in mir wogt, wenn ich an den nächsten denke!! Du!!! Wir wollen Gott immer wieder bitten um seine Gnade, um seinen Segen für unser Wiedersehen für unseren Bund! Ach, ich bin so voll Erwartung und Ungeduld wie vorm Heiligabend — ach, noch viel mehr! Du!!

Wenn ich nur erst bei Dir bin!
Ich liebe Dich, Du!!! Ich liebe Dich!


Mein geliebter [Roland]! Behüte Dich mir Gott auf allen Wegen! Bleib froh und gesund Du!! Du!!!
Gut Nacht! Herzlieb! Träum süß! Du!!

Ich bin in unerschütterlicher Liebe und Treue

ganz, ganz Deine Holde.

Karte
Kommentare
Einordnung
Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.401117-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946