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Sonnabend, den 16. November 1940.
Mein liebes, treues Herz! Geliebte! Holde mein!
Heut[’] fang ich mal ganz anders an. Wir sahen schon wieder einen Film: “Fasching”. Vielleicht hast schon von ihm gehört. Er hat mich einer Besonderheit wegen gefesselt.

Auf der Fahrt nach München lernen sich zwei kennen, scheu und flüchtig, wie man sich so auf Reisen kennen lernt. Die beiden Menschen fanden [G]efallen aneinander, vielleicht noch mehr, und verabredeten, sich zu treffen, sie waren beide Norddeutsche. Sie hatten aber in aller Eile nicht einmal ihre Namen genannt. Und zur Zeit des Stelldicheins war der verabredete Platz erfüllt von dem Treiben des Faschings. Und nun suchten Sie einander — wie man dann so sucht, Du! ich [sic] kenne das! Und suchten einander in den Vergnügungsstätten des Fasching — und — ob sie wollten oder nicht — mußten sich nun unter die faschingstollen Menschen bewegen — mußten sich hänseln und bespötteln lassen ob ihrer Steifheit und ihrem Ungeschick, dieses Treiben mitzumachen. Hundert Gelegenheiten und Abenteuer boten sich an, ihm und ihr — aber sie blieben fest und suchten einander und fanden sich dann endlich auch.

Zweierlei Menschentypen, die aus diesem Film deutlich werden! Faschingsmenschen — und andere, Leichtblut und Schwerblut. Faschingsmenschen, die sich leicht einmal vergessen können, launisch in ihren Neigungen — und die anderen, die sich treu bleiben müssen, mit einem unerbittlichen Gedächtnis und Gewissen, die nicht vergessen können, auch im Rausch nicht. Du! Herzlieb! Zu welchen gehören wir beide? Dein Hubo? Und meine Holde? Schwerblut — ja — Du! Von Dir habe ich es einmal nicht geglaubt, als ich Dich noch nicht kannte. Aber Du bist es auch, ganz sehr, wenn auch in etwas lockerer Form als Dein Dickerle. Und das ist gut so. Gut für das Dickerle. Aber daß Du es auch bist, Du, diese Entdeckung hat mich glücklich gemacht!

Mit diesen Glücksgedanken lief ich dann schnell, um nach der Post zu sehen. Gezittert hat der Hubo und das Herz hat ihm geklopft wie einem Backfisch, als er in den Briefen den seiner Liebsten gesucht hat. Und dann hat er ihn gefunden! Und so mager faßte er sich an. Aber lieb habe ich ihn nun wie alle anderen! Er kommt von der Geliebte, der gleich lieben, guten und treuen!! Herzlieb, ich will mir noch weiter keine Sorgen machen, und wenn sie sich zeigen wollen, dann vor allem um Dich. Was Du mit den wenig Worten umreiße, ist nicht helfen kann, wo Du selber der Schonung bedarfst. Liebste, sie kommt ja zu spät, meine Bitte für diesmal, aber sie gilt auch für alle künftigen Male: Denk auch an Dich, denk an uns, Herzliebes!!!
Die heutige Nacht läßt sich gerade so an wie die verflossene: der erste Alarm um 8 Uhr, und jetzt, ½ 12 Uhr, noch immer Bereitschaft, die Leute sind alle oben und ich habe eben wieder eine Stunde Freiwache. Vergangene Nacht war dann von 12 — bis gegen 5 Uhr Ruhe, wenigstens Zeit zu einem kleinen zusammenhängenden Schläfchen, gegen morgen brachten uns die heimkehrenden Tommys dann wieder in Trab.

Du! Das ist nun bald einer der letzten Briefe, die Dich zu Hause erreichen, wenn alles noch Wunsch geht. Du schreibst an mich bitte bis zum letzten Tage, und wenn es nur ein Küßchen ist und ein Grüßchen, damit ich auch weiß, daß Du auf dem Wege bist. Na, da werden wir ja einander nicht viel nehmen! Du wirst abgespannt sein von dem Drasch, von der Arbeit, der langen Reise — und ich von den gestörten Nächten. Du! Das wird uns[e]re große Freude und unser Glück wenig stören! Daß wir einander gehören sollen für viele Stunden, Du! Geliebte!! Die wir nun eigentlich immer um einander sein sollten!, der böse Krieg macht diese Stunden selten und kostbar.
Morgen ich will ich wieder nach Frau Holle sehen — hoffentlich ist sie da — und dann — sieht Dein Dickerle den Schauplatz des ersehnten Glückes, unser Stübchen. Aber deshalb nimmt er die Freude nicht vorweg — die es füllt, das Stübchen, mit ihrem Zauber, mit dem Glanz und allem Glück, die fehlt ja noch, der Glückbringer. Will doch auch ein kleines Geheimnis haben, Dein Dickerle, ist ja nur der Quartiermacher uns[e]res Glückes. Du, ist es denn auch Dein Glück, worum Du die lange Reise wagst? Manchmal kann ich es mir gar nicht denken. Ist ja auch nicht von Wichtigkeit: Ich bin ganz glücklich — Du bist es: dann sind wir’s ja beide, [u]nd eines vom andern, dann sind wir es ja beide ganz eng verbunden, Du! Herzliebes!! Aber ist mein Glücksteil nicht größer? Manchmal denke ich es. Du hast mehr zu schenken, scheint mir. Ach, aber zanken und ereifern wollen wir uns darum nicht. Wäre Deine Sehnsucht nicht so groß, dann kämest Du nicht; und wäre Dein Glück kleiner, dann [w]äre es auch Deine Sehnsucht. Und sie ist nicht kleiner — das weiß ich geweiß! Ach Du! Das Glück des Schenkens und Sichverschenkens und Sichhingebens — das verstehen wir Männer eben gar nicht.
Auf der anderen Seite ist das große und ernste Empfangen auf Seiten des Weibes. Ach Liebste, Herzallerliebste! Wir sind noch Schüler in der Schule der Liebe! Und die genießen das Vorrecht, den hohen Gegenstand vorwiegend noch von seiner angenehmen u.[nd] lustvollen Seite ansehen zu dürfen. Willst Du auch noch mit zur Schule gehen, Du!, mit Deinem Hubo, und fleißig lernen?!! oder dünkst Dich schon erhaben und rechnest Dich schon unter die Großen, Eingeweihten, Du?!!! Aber jetzt Schluß. Fein brav! Sonst muß ich allein auf dem Sofa schlafen.
Herzallerliebste! Behüte Dich Gott! Er schenke Dir bald wieder volle Gesundheit! Und der lieben Mutsch auch!
Bitte, Herzliebes, übernimm Dich nicht! Spare auch ein Stündchen an der Schreibezeit für Dein Dickerle!
Gut Nacht für heute. Schlaf schön und laß Dir etwas Süßes träumen! Dein [Roland] wartet. Er wird immer warten, wenn er sich trennen muß von Dir, auf die Stunde des Wiedersehens, weil er Dich so lieb hat, weil er ohne Dich nicht mehr sein kann und nicht mehr leben mag. Du, meine liebe [Hilde], ich liebe Dich mit meiner ganzen Kraft und Treue und bleibe allezeit
Dein [Roland]! Dein [Roland]!
Und Du bist mein liebes, teures Herz! Meine Holde[!!!]