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[OBF-401113-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 13. November 1940

Mein liebes, teures Herz! Herzallerliebste! Meine [Hilde]! Holde mein!

Heut mittag sitze ich in der Schreibstube und bewache die Telefone, ob sich da was rührt. Und so kann ich gleich mal zu Tinte und Feder greifen. Die vergangene Nacht war so unruhig, aber nicht wegen Alarm, sondern wegen etlicher Zecher, die etliche Male Licht machten und sich noch um Mitternacht ein paar dicke Zigarren anbrannten. Lange[,] [l]ange konnte ich keinen Schlaf finden — und dann in der Ermattung hab ich ganz süß von Dir geträumt, Du! Du!! — Aber nun muß ich haushalten, weißt. Und Du darfst mir jetzt nimmer so süße Briefe schreiben und ich muß bei meinen Antworten ganz brav bleiben, sonst – – !! Das stürmische Novemberwetter hält an. Es ist nicht kalt dabei. Ich sitze schöne warm. Und wenn nicht zur Wache oder zum Ausgehen, werde ich Deine schönen, warmen Sachen gar nicht brauchen. Frierst immer noch so, Herzliebes, daß Du sogar Deine Gummine (Du! Wenn ich eifersüchtig wäre, und ich hätte in diesem Falle allen Grund dazu!!, möchte ich schon sagen ‚Deinen Gummin’) mitbringen willst. Ich mag Dir das nicht ausreden, weil ich Dir einen Ersatz nicht versprechen kann. Folge nur für die Zwecke der Reise und für den Umgang am Tage Deiner lieben Mutsch von wegen der Dicken. Für den Abend halt Du ja ohn[’]hin freie Hand.

Von gestern ist noch nachzutragen: Das Bild heißt also nicht „Paris (griech. Sagengestalt) wählt unter den drei Grazien“, sondern "Paris hat gewählt." Die Hand auf Deiner Mutter hatte ich nicht bemerkt. Bekomme ich denn vor Deiner Ankunft noch eines von Deinem neuesten Bilde? Bitte! Teil mir doch bitte auch die Anschrift Deiner Halleschen Verwandten mit. Will Dich doch überallhin verfolgen! Willst nur knapp einen Tag da bleiben, länger würdest wohl nicht aushalten! Du! Ich kann es Dir so gut nachfühlen. Verpaß nur früh den Zug nicht. Richte es so ein, daß Du nun 7 Uhr auf dem Bahnhof bist. Ob ich Dich abhole? Ich gehe meinem Hauptfeldwebel nicht von den Nähten. Er macht schon was möglich.

Abend ist es. Dein lieber Bote ist gekommen. Ganz schnell geht er wieder. Herzallerliebste! Für Deine lieben Worte hat vielen, vielen Dank! Daß ich mich mit meiner Umgebung auseinandersetzte — Du machst es mir erst bewußt — das lag wohl an Mutters Nachricht von Hellmuths Unzufriedenheit. Herzlieb! Als wir beiden Brüder noch so zu Haus waren, da haben wir gemeinsam mit ganz eigenen Gedanken dieser Welt gegenübergestanden, und kamen so gut zurecht damit und fanden uns hindurch durch den Wirrwarr, und waren uns so eins darin, es waren beglückende Stunden, in der [^]denen es sich in uns zur Persön[lich]keit formte, das heißt aber, daß wir eine Stellung zu dieser Welt genommen: frei, selbständig, und deshalb ihr doch nicht abgewandt, sondern nur eigensinnig, standen wir ihr gegenüber. Und wir waren dabei, etwas Eigenes aus uns zu formen, eine Originalität, und mit diesem Eigenen nützlich zu werden auch für die anderen.

In dieser Entwicklung wurden wir gestört durch das neue Prinzip, das Gunst vor Kunst gehen läßt. Mit hellem, wachem Bewußtsein gesehen ist das etwas Furchtbares. Und Du weißt, daß ganz besonders Hellmuth darunter leidet, daß es aber auch mich bedrückt zu sehen, wie eine Leistung überhaupt nicht mehr anerkannt wird, wie man alles mit demselben Maße mißt und abstempelt, und wie man alles unter den Tisch fallen läßt, was nicht in den Kram paßt. Das hat uns nur noch mehr ins Abseits verdrängt und in eine Abwehrstellung gegen dieses neue Prinzip. Das lähmt die Arbeitsfreudigkeit und die Lust zu eigener Arbeit. Man zieht sich auf sich selbst zurück und auf die wenigen Menschen, die das alles verstehen und mitempfinden.

Das hat mit den Soldaten nun weiter gar nichts zu tun, und Du weißt, Geliebte, daß ich zu Soldatens [sic] mit genau der richtigen Einstellung ging, sodaß ich auch keine Enttäuschung erlebte. Was ich Dir schrieb, war auch keineswegs eine Klage, nur eine Betrachtung wie früher mit Hellmuth zusammen. Und wenn sich meiner Brust wirklich mal ein Seufzer entringt, dann nur darüber, daß diese Zeit bald vorbeigehen möge. Eine bessere Welt in jedem Falle, wenn auch eine Kämpferische, erwartet uns dann. Herzlieb, Geliebte! Dann werden diese beglückenden Stunden von einst, die Stunden der Schau, wiederkehren mit Dir, Geliebte, meine [Hilde]! Ja, ganz gewiß! Und wenn Du auch manchmal mit hellen Augen nur zuhören kannst, dann ist ihr Leuchten und Aufmerken ebensoviel [sic], als ob Du mitsprächst, eine Medium, durch das ich die Wahrheit sehe und erkenne für Dich und mich, für unseren gemeinsamen Weg. Unersetzlich bist mir auch hier, Geliebte, Holde!! Du, mein ganzes Glück!!

Ein Einsiedler wird mein [Hilde]lieb. Möchtest Dich darüber beklagen? Ein Einsiedler ist auch Dein [Roland]. Und Du glaubst gar nicht wie alle meine Gedanken immerfort zu Dir eilen und entwischen. Diese Tage ist es ganz schlimm. Ich habe nicht die mindeste Lust zu dieser Arbeit, bin oft ganz abwesend dabei, vertippe mich dauernd. Schlimm ist es. Und in Wahrheit kann ich den flüchtigen Gedanken gar nicht böse sein: sie enteilen in eine schönere, bessere, sinnvollere Welt. Liebste, Herzliebes! Es kann uns in Wahrheit jetzt kein besseres als dieses Einsiedlerleben über diese Tage helfen, kein anderes und besser verbinden über die trennende Ferne. Wenn es uns auch nicht nach allen Seiten befriedigen kann. Gott der Herr gebe, daß es sich recht bald einmal wende! Daß uns beide dieser Wunsch verbindet, daß Du mit allen Fasern Deines Herzens das Beste für unseren gemeinsamen Weg wünschst und ersehnst, Geliebte, das weiß ich und das spüre ich und das gibt mir viel, viel Kraft. Geliebte, meine [Hilde]! Wenn ich Dich nicht hätte in diesen Tagen! Ich habe es erlebt, wie es ist, wenn man vergeblich seine Hände nach etwas unendlich Liebenswertem ausstreckt, das einen auf dieser Erde hält. Ich werde diese Stunde nie vergessen, wo ich bereit war und gefaßt, dem Herrgott mein Leben in die Hände zurückgeben — bis der Gedanke an das Herzleid meiner lieben Mutter mich in Tränen ausbrechen ließ und in den Wunsch, dieses Leben doch noch einmal lieb zu haben. Und heute, Herzliebes? Gott im Himmel weiß und sieht es, er muß es sehen: Wie ich Deine Hände halte, wie ich ihn um dieses Leben bitte, es mit Dir zu bestehen, es mit Dir zu beschließen. Geliebte!!

Deine Pakete sind nun alle da, weißt es wohl schon nun? Dank, vielen Dank! Wie Du Dein Dickerle umsorgst, Du! — Auf der Girokasse gibt es weder Herz noch Scham, nur Guthaben und Schulden. Das ist nichts für mein Herzlieb, ich kann es verstehen. Also die Porzellangeschichte hast ja nun nach Deinem Geschick abgewickelt. — Einen Anzug hast für mich? Den Farbton kann ich mir nicht recht vorstellen. Was soll ich hier raten? Packst ihn mal mit in das aufzugebende Paket. — Kraut ist mein Liebes! So zeitig. Möcht Dein Hubo schon gern ein wenig zärtlich zu Dir sein! Du!! Ein wenig über das böse Bäuchel streichen, über den tiefen, geheimen Mutterschoß, Du! Wird recht bald wieder gesund, Herzliebes! Möchten die Schmerzen recht schnell vorübergehen! Dein [Roland] ist immer um Dich! Bald, wills Gott, darf er immer um Dich sein, in guten und bösen Tagen, darf mit Dir den Rythmus dieser Lebens spüren, Lust und Leid, Sturm und Stille, Sehnen, tiefes Sehnen und abgeklärte Ruhe. Dann erst, Liebes, werden wir uns ganz zusammenleben — dann erst, Liebes, glaube ich, dürfen wir an unser Kindlein denken?? Darfst und sollst mir alle Herzenswünsche sagen, wenn ich an Deinem Herzen liege, Du! Du!! wenn wir uns ganz nahe sind, Geliebte!!!

Gott behüte Dich! Er schaue gnädig auf unser Glück!

Dein [Roland] ist ganz wohlauf und voll Glück und heimlicher Freude. Seine Herzlieb hat sie ihm angezündet. Sein Herzlieb nährt diese Flamme. Bald wird ich es bei mir haben, bald werde ich es schauen, bald werde ich seinen Herzschlag spüren und die Wonne seiner Umarmung — bald werde ich es auch schauen in seiner Pracht — mein Weib! Mein!!! Geliebte! Dein [Roland] bin ich; Dein Lebensgefährte, der nicht mehr von Deiner Seite weicht, der Dich nimmermehr läßt!!

Komm Liebste, komm bald! Daß wir unsre Schulden lösen, daß ich Deine vielen Geheimnisse schaue, daß ich Dich ganz lieb haben darf und mich von der beschenken lassen! In unwandelbarer treue

Dein [Roland]!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946