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[OBF-401109-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend am 9. November 1940

Mein liebes, teures Herz! Geliebte! Meine liebe, liebe [Hilde]! Holde!

Es gibt nur wenige Dinge in dieser Welt, die wichtig und entscheidend sind, um die sich lohnt die Hände zu rühren, um die essich lohnt [^]sich zu ereifern und zu reden, nur wenige. Nur wenigen Menschen ist es vergönnt, diese entscheidenden Dinge zu treiben und zu meistern, meist sind es äußerlich bescheidene, wortkarge Menschen. Die meisten aber sind verurteilt, Kärrner zu sein am Bau, Handlanger, Nummern. Und oft, je kleiner die Nummer, desto mehr bläht sich der Mann und bläht sich auf zu Wichtigkeit, Bedeutung,.

Gewiß, ich muß in meinem Dienst, in den Schranken meiner Schulstube, auch eifrig sein, vor den Kindern meine Arbeit wichtig und bedeutsam nehmen, muß auch pedantisch sein — aber wenn dann der a Dienst [^]aus ist, dann sehen meine Augen alles wieder in richtigen Maßstab, zeigen mir die Bescheidenheit und Beschränktheit meines Wirkungskreises. Und dabei ist der Lehrerberuf gar nicht so unwichtig, er ist ein Beruf, der sich natürlich aus der Entwicklung des Menschengeschlechtes herausgebildet [^]hat. Lehre und Erziehung sind unter Tieren und Menschen natürliche Funktionen.

Bei dem, was ich jetzt treibe, Du, da komme ich mir so so arm und bescheiden vor wie ein ein Kommis in seinen ersten Tagen nach dem Antritt. Reine mechanische Handlangerarbeit — die in den oberen Stellen gipfelt als Organisation. Gewiß, Organisation muß sein. Unsre Kriegführung ist mindestens zur Hälfte Organisation, Apparat. Organisation, das ist die Arbeit der Glieder, die befahlen wird von den Kopf, dem Gehirn. Berufe gibt es, die nur dieser Organisation dienen, die ganze Verwaltung. Froh bin ich, daß ich dort nicht bin.

Welcher sind nun die wichtigen Dinge? Alle werteschaffenden Gedanken und Taten, Wert nicht in Sinne von Geld und Nutzen, sondern Wert in dem tieferen Sinne, Gedanken und Taten, die den Sinn unsres Lebens erhöhen, veredeln: die Künste, die tiefen Erkenntnisse, Lebensweisheiten, die uns Sinn und Wesen unseres Seins aufschließen, das Evangelium. Wichtig und entscheidend, Geliebte, ist auch unser Lieben, daß wir uns fanden und vereinten, daß wir will's Gott, neues Leben anzünden. Wichtig ist, daß wir das Feuer unsres Herdes und Heimes hüten, daß wir die Glut unsrer Herzen nähren. Wichtig ist das und entscheidend. Freilich ist es etwas, was nur uns beide angeht, wovon wir einander sagen und schreiben unter dem Sigel des Geheimnisses. Warum ich das alles schreibe? Ich sehe um mir immer wieder Menschen, die sich über Nichtigkeiten, belanglosen Dingen ereifern, in Streit geraten, sich entrüsten; Menschen, die mit Wichtigkeit, Feierlichkeit in altem, leerem, hohlem Quatsch kramen, über den ein Wort zu verlieren mir zu schade ist, der mich so völlig gleichgültig läßt. Das alles mußte ich mir wieder einmal klarmachen, um nicht unzufrieden mit mir selbst zu werden — und Du hast es nun mitgehört.

Herzallerliebste! Zwei Boten von Deiner lieben Hand empf[a]ng ich heute, die vom Donnerstag, den säumigen, und den von gestern, den schnellen. Herzliebes! Ich bin gar nicht mehr traurig, auch nicht mehr eifersüchtig. Es war ja nur die Erinnerung, die wieder aufstiegt. Es bleibt: Wir beide gehören einander für immer!! Niemand kann uns auseinanderreißen!! Ich kann ohne Dich nicht sein, Du magst ohne mich nicht leben!! Können zwei Menschen inniger zueinanderstehen? Und mit Deinem Verslein hast Du das rechte getroffen. Bist eine alte liebe Verseltante, Du!! Das ist ein Lob! Du hast mir schon soviel geschrieben, und ich habe welche in Deinem Kasten gefunden — und immer trafen sie den Sinn und Kern der Sache — wo hast nun das wieder gelernt? Ach, ich möchte Dir ja so gern selber wieder mal eins [^]widmen wissen, aber das Verselbrünnlein ist wieder mal versiegt.

Nun hast auch Du die Gewißheit und Freude in Dir, daß wir uns, wills Gott, bald wiedersehen — in Frau Holles [R]eich — Hubo und Holde — Dickerle und Dickerle — [Roland] und — Rüpel. Na, über die Verteilung dieser Namen werden wir uns schon noch einig. Und daß Du mit mir auf dem Sofa sitzen willst, das ist ein erstes Zeichen für ein gutes Einvernehmen. Will mirs morgen gleich mal ansehen — vielleicht auch mal probieren, [o]bs recht knackt. Ach Du, ob es knackt oder nicht — dem Soldaten ist das gleich — er kommt des Abends und geht des Nachts. Nein Du, aber ganz im Ernst: Vor den Menschen hier braucht man sich gar nicht so zu genieren — sie sind nicht so zudringlich in Worten und Blicken, sind für sich, und lassen auch den anderen für sich. Was gibt es denn auch zu genieren? Fest zu ist die Tür, die Fenster, gedämpft ist das Licht, und wir beide haben uns lieb, müssen uns soviel verhaltene Sehnsucht und Liebe gestehen und erzeigen — wir sind nicht schuld, daß man uns trennte, wir wollten es nicht. Herzliebes, möchtest wohl mitgehen zu unser[e]m Häuschen, unserem Stübchen? Morgen will ich Dir erzählen.

Unterdessen hast nun auch schon Antwort auf einige Fragen: Sollst nicht so geizig sein mit Deines Mannes Geld. Auch die 50 M für das Porzellan bezahlen wir. Sparen ist schön und gut. Aber Ausgeben ist auch schön. Du, wir werden doch sonst zu reich und übermütig. Ja, so redet er jetzt, Dein, Hubo, später redet er anders vielleicht — aber so nehmen wir es doch, wie es jetzt ist. Ach Liebste! Keinen Streit deswegen. Aber für die Reise und uns[e]re Tage hier sehen wir das Geld einmal nicht an. 'Dein Geld', schreibst Du. Es ist Dein und mein Geld. Du hast daran ebensoviel [sic] Anteil wie ich. Deine Arbeit im Heim ist ebenso wichtig, für uns beide noch wichtiger als die meine.

Du! Es läßt sich über alles ein kleiner Streit vom Zaune brechen, merkst es? Zanken mit Dir, im Ernst, ich könnte es mir gar nicht vorstellen. Im Spaß? Mehr als zanken sogar, verhauen! Drohst Du an. Na, wart, ich will mich auf etliches gefaßt machen. Hoffentlich ist in unserem Stübchen genug Platz dazu — ich glaub, ich kann Dich nicht einmal um den Tisch jagen!, schade — dann müssen wir uns schon auf die nahe Koppel bemühen, die steht leer. Wenn der Lehrer von Barkelsby dann aus dem Fenster schaut, wird er denken, die Nixen sind aus dem Dorfteich gestiegen.

Na, das wird sich dann alles finden. Zunächst freue ich mich mal tüchtig, denn zum Verhauen gehören mindestens zweie — Du und ich. Herzliebes! Du und ich! Du, Du!!

O Geliebte! Dein Dickerle muß sich jetzt auch brav still halten, damit die Freude nicht überschäumt und der Becher nicht halb voll ist, wenn mein Liebchen zu Besuch kommt.

Daß Du kommen willst, Geliebte!! Daß Du so mutig die Beschwerlichkeit der weiten Reise auf Dich nehmen willst!! Für mich, für Deinen [Roland], um unsrer Liebe willen!!! Gott behüte Dich mir! Er schütze Dich und segne unsern Bund! Herzallerliebste! Nun brauche ich ein [sic] Teil meiner Kraft, um die U[n]geduld zu dämpfen — um brav zu warten auf mein Lieb, mein Herzlieb, meine Holde! Du!! Weißt, das Bravsein fällt den Hubo schwerer als meiner [Hilde]!

Nun will ich nur auch aufhören, hier am zärtlichen Ende.

Geliebte! Du magst es wohl fühlen, wieviel Gewalt Du hast über Deinen Hubo mit Deiner großen Liebe, mit Deiner Güte, Deiner Schönheit und Deinem Liebreiz, mit Deinem großen, edlen Herzen! Komm, komm, Geliebte, damit Du es mir aus den Augen liest, wie glücklich ich bin! Und damit ich aus Deinen Augen lese, wie Du mich liebst! Du!! Du!!!

Ich bin ich Liebe und Treue immerdar Dein [Roland], Dein Hubo, Dein Dickerle! Und Du bist meine [Hilde]! Mein liebes, teures Herz!!

So oft habe ich mich noch selten verschrieben. Wovon das nur kommen mag?

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946