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[OBF-401107-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 7. November 1940

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde], Du! Holde mein!

Immer noch schreibe ich mit Bleistift aus denselben Gründen wie bisher: Das Schreiben mit Bleistift ist einfacher, macht weniger Umstände, läßt sich schnell beiseiteräumen [sic] und ist alles in allem unauffälliger. Ich kann so oft Mittag über in der Schreibstube schreiben; aber 1) sitzt da immer der Läufer drin, der das Telefon überwacht, 2) will ich mich auch mal in [d]er Stube zeigen, damit niemand denkt, ich sei eingebildet. Ich hoffe, Herzliebes, daß Du diese Gründe verstehst. Das Bleistiftgeschriebene ist deshalb ebenso so dauerhaft und herzlich gemeint wie das Tintene; eigentlich am Druck der Hand gemessen noch herzlicher. Ich weiß nicht, was besser schmeckt: ein Bleistiftkussel oder ein Tintenkussel. Ach, papiern schmecken sie beide.

Der Dienst ist aus. Es ist abends 6 Uhr. Eben ist Dein lieber Bote noch gekommen. Ich habe eben gegessen: Kartoffelsalat und [W]ürstchen. Ich hatte ja einen Mordshunger, mußte heut nachmittag 1 Stunde mit exerzieren.

Und nun ist Feierabend für mich. 6 Uhr wird es meist auch werden, wenn Du da bist. Ich will fragen, ob ich vielleicht mittags eher anfangen und dafür abends 1 Stunde erübrigen kann. Ach Du, ich sehe da nicht schwarz! Ob Du mich abholen darfst? Ich glaube, das ist zu unsicher. Du! Wenn der Abend recht schön ist, gehn wir gleich noch ein Stück spazieren. Wahrscheinlich werde ich in der Woche bis 2400 frei kriegen. Das wird dann eine kleine Verschiebung in der Tageseinteilung, Du! Ob wir einen kleinen Wecker brauchen könnten? Wenn ich es nun verschlafe bei Dir? Ach, das sind ja so kleine putzige Sorgen. Zunächst ein Mißverständnis: Du sollst Freitag, d[en] 22. November zu mir kommen, nicht Sonnabend, wie Du schreibst. Warum? Nun, ich denke daß ich Sonnabend/Sonntag ganz bei Dir bleiben kann, und da sollst die Reise schon beschlafen haben, Du!!

Ich werde auf jeden Fall erwirken, daß ich Dich abholen kann. Ach Liebste! Du hast nun den lieben Reisedrasch! Die vielen, vielen Sorgen, die eine Frau da mehr hat als der Mann. Warum? Weil sie gefallen will, weil sie dem Geliebten am allerschönsten gegenübertreten möchte. Das ist ein echt weiblicher Zug, den ich verstehe, jetzt da Du mein bist, und der mich erfreut, und dem ich noch nachhelfe. Dein Dickerle will, daß seine [Hilde] sich schön macht. Die Schönheit beginnt ja doch zumeist erst beim Kleid, und das ist ja unter dem Mantel verborgen und also zuerst für das Augen des Liebsten bestimmt. Du hast recht, wenn Du Dich nicht auf besonderen Staat einrichten willst. Aber ein paar von Deinen schönen Kleidern mußt schon mitbringen. Ja, Du! Welche? Ich kenne sie ja kaum mehr alle. Überrascht mich vielleicht mit einem neuen? Ob Du eines brauchst, womit Du Deinen Hubo reizt? Die ersten Tage wird das wohl nicht nötig sein, Du! Wenn ich mir wünschen soll, Du? Ach, eigentlich weißt Du am besten, Herzlieb! Du, das Kleidel, in das sich Dein Hubo, der harte, beinahe verliebt hätte, in dem er sein Lieb zum ersten Male auf dem Schoße trug! O Du!! Weißt es noch? Und das Seifenblasenkleidel, das reizende!! Und das braune Herbstkleidel von Augustusburg, weißt?! Wo Dein Hubo helfen muß, bloß beim Anziehen. Beim Ausziehen hilft er Dir ja nicht, der dumme, verschämte; Müßtest gleich mal so ein Kleidel schneidern, wo er eben helfen muß! Du, als das Herbstkleidel anhattest, da hatt er aber geguckt, und das Herz hat ihm so geklopft, und er hat viele Tage in das verunglückte, nebelhafte Photo geguckt. Ja, jetzt beichtet er, der Schwerenöter, weit ab vom Schuß. Na, die drei Kleidel sind alle nicht so empfindlich. Und für die andere Kledage wirst schon sorgen, vom Kopf zum Zeh, um von oben nach unten zu gehen; und vom Handschuh bis zum — — — ja, wenn ich nur den Namen wüßte -— v nun von innen nach außen zu gehen. Ach im Grunde [i]st auch ganz gleich, was Du anziehst, wenn nur meine [Hilde], mein Herzlieb, meine Holde drinsteckt, die liebe, gute, teure — die schöne, süße meine!!! Aber etwas für kalte Tage brauchst auch. Kälter als zu Hause ist es aber keinesfalls in Schleswig-Holstein meerumschlungen.

Ja, Du, ganz finster wirds sein am Himmel, wenn Du kommst. Das ist gut wegen der Flieger. Eine Mondscheinpartie hätte ich ja gern mit Dir gemacht. Denkst noch daran, damals?— Und wenn wir wollen, wirds auch nicht hell sein in unserm Stübchen. Um Verdunklung brauchen wir uns nicht so zu sorgen. Aber zu Deinen Ausführungen dazu muß ich etwas bemerken und damit gleich Deine Frage beantworten, wer ist Sonne, wer ist Mond. Dein Dickerle ist die Sonne! Es hat Glut, Du! Weißt, was Du mal gesagt hast?, ich habe es mir gemerkt bei meinem schlechten Gedächtnis: Oberhitze. Du Schlingel! In die Sonne sieht man nicht, das schmerzt und blendet. Aber man läßt sich von ihr bescheinen, man fühlt sie. Die Sonne weckt alles Leben. Sie trägt es nicht. Und Du, ja ja, Du bist der Mond, das Mondguckel [sic]! Wird erst in der Nacht richtig mobil. Leuchtet erst recht auf, wenn die Sonne es richtig bescheint, und wenn die Sonne gegenübersteht am allermeisten, dann ist Vollmond. So kalt ist das Mondeguckel [sic], und hält seine Backen der lieben Sonne hin. In den Mond kann man sehr gut gucken, jeder guckt automatisch dahin, wie magisch angezogen.

Damit ist keinerlei Wertung ausgesprochen. Und nichts in dieser Welt ist ohne Wechselwirkung. Wie traurig wäre wohl die liebe Sonne, wenn sie ihren Mond nicht mehr bescheinen dürfte, wenn ihre Glut und Wärme umsonst verstrahlten. Ja, Du, darüber ließe sich noch länger scherzen und philosophieren. Das weißt doch noch, daß Dein Hubo mondsüchtig ist? Du, Herzallerliebste! Und wenn draußen kein Mond ist im Stübchen würd er so hell und voll erstrahlen, und dene Hubo wird wohl auch ein nasses Tuch nicht schrecken und abhalten, mondsüchtig dem Mondeguckel nachzulaufen! Herzallerliebste! Morgen, rechne ich, wird Dich die ersehnte Nachricht erreichen. Ich freue mich so mit Dir und für Dich! Hast so lange warten müssen, Du heißes, junges, liebes Herz! Hast so treu und brav gewartet! Du, wie ich Dir danke für Deine Treue!! Wie unendlich Du mich damit beglückst, daß Du mein sein willst!! Meine liebe [Hilde]!!! Ein Bild hast mir mitgeschickt. Eine Weile habe ich gestutzt, eh ich wußte, wie[-] und woso [sic]. Dein Hubo mit drei Grazien! Bist nicht eifersüchtig? Welcher wird er wohl den Preis geben? Ach, sie weiß es schon. Sie braucht gar nicht sich besondere Mühe zu geben. So siegesgewiß guckt sie zur Seite, die große, schlanke, schöne — und der Hubo fraß auch nicht aus, als ob ihm die Wahl Qual bereitete. Du! Wir gehören zusammen!!! Gott segne unsern Bund! Wir gehören zusammen für alle Zeit!!! Und bald wollen wir es einander erzeigen — fest und innig einander umschlingen — ganz nahe — Du!! Geliebte!! Holde!! Meine [Hilde]!! Ich bin Dein [Roland]!! Dein in Freud und Leid!! Dein fern und nah!! Immer!!

Und Du bist meine [Hilde]!!! Holde!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946