Bitte warten...

[OBF-401102-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 2. November 1940

Mein liebes, teures Herz, meine liebe, geliebte [Hilde] Du!!

Ich habe schon manchmal es erlebt und empfunden, daß ich mich auf die Wirklichkeit einstellen kann, daß ich ein Realist bin. Herzlieb, dieses Vermögen bewahrte mich gestern abend wieder vor Trübsinn und erleichtert es mir, mich in eine neue Situation einzuleben. Und heute habe ich ihr schon ein paar Lichtblicke abgewonnen. Was hätte mich denn leicht trübsinnig stimmen können? Diese etwas triste Umgebung diese Feldlagers, dazu mein Alleinstehen hier, dazu der zunächst völlig grundlose Gedanke, ich möchte ein schlechteres Los gezogen haben als die Kameraden. Und welches sind die ersten Lichtblicke? Ich bin nicht allein hier. Es sind hier Menschen, denen wie ich [^]mir diese Umgebung so fremd und trübe erscheinen muβ — die Leutnants, die Feldwebel, die Kameraden vom Schreiberdienst. Sie passen so wenig wie ich in diese Umgebung — und, die Hauptsache — mit diesen Menschen arbeite ich zusammen jetzt, sehe sie oft und lese von ihren Gesichtern die Hoffnung auf Befreiung von diesem Leben, das Vorübergehende dieses Zustandes. Herzlieb, ich bin jetzt nicht mehr so unter der namenlosen Menge — bin mehr für mich — brauche nicht jeden Dienst mitzutun — meine Dienststelle ist die Schreibstube, ich bin jetzt, wenn auch nur ein Rädchen, in der Leitung des Getriebes — gehöre jetzt mit zum Gehirn dieser Stellung. Dieses Bewußtsein läßt sich mich in dieser Enge freier atmen. Für mancherlei entscheidende und begehrenswerte Dinge sitze ich jetzt an der Quelle. Nicht, daß ich diese Quelle mißbrauchen will. Aber ich kann ein wenig rechnen im voraus und kenne besser Stellen und Wege zu diesen Dingen: Urlaubsscheine, Wehrmachtfahrscheine, Dienstpläne, Urlaubslisten usw.

Herzliebes, das sind wirklich ein paar Lichtblicke. Du! Ich konnte auch schon etwas über die Möglichkeit Deines Besuches erkunden. Ich wäre nicht der erste, der seine Frau hier herauskommen läßt. Die Möglichkeit besteht voraussichtlich durchaus. Ich sehe nur etwas düster über meine Freizeit. Möglich, daß ich im Laufe der Woche Dir nur wenig Tagesstunden und nachts meist gar nicht gehören kann — aber das ist zunächst nur meine Vermutung. Ganz fleißig und gewandt will ich jetzt die paar Wochen arbeiten, damit, wenn ich dann um Deinen Besuch hier mit einigen Wünschen komme, schon das Gewicht meiner Leistung ein wenig ins Gewicht fallen kann.

Damit Du das verstehst: Ich befinde mich also hier in einer Feldstellung, einer Flakbatterie, etwas 20 Min. von Erkernförde, und bin Kompanieschreiber. Das bedeutet: daß unser Dienst, der Dienst der Soldaten hier zumal, erst nachts recht beginnt, wenn der Tommy einfliegt. Eine kleine Kostprobe letzte Nacht: 4 mal aufgestaenden wegen Alarm — die Soldaten müssen dann an die Geschütze, ich muß dann in die Schreibstube zur „Alarmwache." Nur in einem Falle überflog uns ein Flugzeug, das auch beschossen wurde. Für diese gestörte Nachtruhe brauchten wir heute erst um 8 Uhr aufzustehen. Der Tageslauf wird dadurch unregelmäßig. So, das mag für heute als Bericht über meine neue Lage genügen. Will erst wieder ein wenig zusehen. Du, eine Probe von meinen neuen Möglichkeiten hast nun heute bekommen: das Telegramm — Du warst doch vorbereitet darauf durch meinen Brief — es ging von meiner Schreibstube ab. Du! Sonst hätte ich mir nicht gewagt, einen ganzen Apparat dieses persönlichen Wunsches wegen in Bewegung zu setzen — jetzt ist es möglich. Freu Dich ein wenig mit mir, Herzlieb, Holde!

Ach Du! Ein paar Tage werden nun doch vergehen, ehe ich in diesem neuen Betrieb heimisch werde, so, daß Du, mein Lieb, Deinen Platz sowohl der Zeit nach als auch der Tiefe meines Gedankens nach, wirst voll und ganz behaupten können. Etwas nervös und angestrengt wachsam fühlt man vor mit allen Sinnen. Du! Es geht auf Weihnachten zu, auf meinen Urlaub, und dazwischen, so Gott will, wirst Du mich besuchen. Und wenn ich an den meisten Tagen Dich nur ein paar Stunden sehe, 3 volle Tage — hoffe ich — dürfen wir uns ganz gehören, und schon um dieser Tage — meine ich — ‚lohnt’ Dein Besuch. Ach Du, es ist auch von Dir viel verlangt und ein großes Opfer!

Herzallerliebste! Geliebte mein! Denke an Deinen [Roland]! Ich liebe Dich so sehr! Gott behüte Dich! Er wird uns nicht verlassen und alles zum besten Kehren! Du! Bald werde ich wieder Deinen lieben Boten empfangen. Jetzt aus erster Hand! Alle Post geht durch die Schreibstube. Ob ich morgen die Möglichkeit habe, mich morgen hier oder im nahen Städtchen ein wenig umzusehen, steht noch in Frage. Es ist schwerer, hier auch nur diesen kleinen Urlaub zu erlangen als in Bülk. Wo wirst Du morgen stecken? Nun im Hemdchen und Höschen und Kleidchen — das wollte ich doch gar nicht wissen. Wäsche hast Du heute? Gestern, zu unserem Umzug war es stürmisch. Heute ist es wechselhaft, es hat auch schon geregnet.

Herzallerliebste! Mach Dir keine unnötigen Sorgen um mich. Dein Hubo sitzt eben jetzt, am Sonnabendnachmittag in der Schreibstube und schreibt Dir diese Zeiten. Das ist möglich, und das nächste mal sogar mit Tinte.

Falte mit mir Deine Händlein zu Gott, daß wir nicht aufhören, ihn zu bitten und ihm zu danken. Geliebte! Du! Ich denke Dein so warm und dankbar und sehnsüchtig. Ich liebe Dich, Du! Ich bleibe Dir ganz, ganz treu, immerdar, immer Dein [Roland], Dein Hubo, Dein Dickerle!

Und Du bist meine liebe [Hilde]. Ganz mein! Du!!

Wirklich ganz? Gewiß, gewiß!! Ganz, ganz meine Holde!!

Du! Du!!

Bitte grüße die lieben Eltern!

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946