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[OBF-401029-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 29. Oktober 1940

Mein liebes, teures Herz! Geliebte! Meine liebe [Hilde]! Holde!

Heute beginne ich mit dem Schreiben schon zu Mittag, wer weiß, was heute abend noch alles dazwischen kommt. Die Vorbesichtigung ist vorbei. Dein Hubo ist nicht aufgefallen, das genügt. Es ist ein kalter, schöner Tag heute. Mir haben die Hände gefroren. Heut nachmittag das letzte Exerzieren hier. Amtlich verlautet heute: Freitag bis früh 10 Uhr ist alles in Marsch gesetzt nach dem neuen Kommando. Was wird meiner warten?

Arbeit ist der erste Trost, der in jedem Falle bleibt. Der zweite: als Schreiber sind wir in gewisser Hinsicht eine selbständige Person, und mehr Freiheit haben wir nun ohnehin. Ich bin guten Mutes und gewiß, daß ich mich einrichte und durchsetzte wie hier. Über allem aber steht die Hoffnung und stille Freude auf Deinen Besuch und die Vorbereitungen dazu. Daß Du mich hier besuchst, diese Möglichkeit stelle ich deshalb voran, damit ich meine Urlaubstage spare, das ist ja doch in unser beider Sinne. Der D-Zug, der Dich herausbringen soll, fährt 728 [Uhr] in Halle ab, 644 [Uhr] in Leipzig. Von Oberfrohna her erreichst Du den Zug in Leipzig nicht. Ich möchte, daß Du am Tage fährt, und daß Du bei Tage hier ankommst. Du schreibst von ¾ Stunde Weg. Ist das ein wenig zu hoch gegriffen? Und wenn es soweit ist, dann müßtest Du bei Deinen Verwandten gegen 6 Uhr aufbrechen, das geht doch gerade noch an, bleibt nur die Schwierigkeit mit dem Gepäck. Müßtest Dein großes Gepäck auf dem Bahnhof lassen. Bedenke das doch bitte noch einmal. Überhaupt, wie kommt Dein Onkel zum Amt? Herzliebes! Dieses Thema werden wir noch ein paarmal durchberaten. Noch ist es ja nicht so weit.

Es ist jetzt der Zeitpunkt, noch einmal alle glücklichen Umstände zu bedenken, die uns hier zuteil wurden. Der erste Eindruck war auf uns Nichtsoldaten ziemlich niederdrückend: Wir sahen Exerzieren mit Hinlegen, wurden gleich bös angefahren, es gab kein Wasser, weil der elektrische Strom ausblieb. Immerzu ertönte eine Trillerpfeife, auf deren Pfiff wir wie eine geängstete Herde durcheinanderliefen. Damals trösteten wir uns: in 4 Wochen ist alles vorbei. Der dunkle Himmel klärte sich von Tag zu Tag mehr auf. 1) Wir fanden ein ordentliches, sauberes Lager vor. 2) Die Verpflegung war gut und reichlich, es wird geredet: Verpflegung Nummer 2, das ist nach der Verpflegung an der Front die nächstbessere. 3) Ich befand mich unter anständigen Kameraden, wenigstens das anständige Element dominierte, die auf Ordnung und auf eine gewisse Lebensart hielten. 4) Der Dienst war leicht. 5) Unsre Vorgesetzten machten ihn uns noch leicht dazu. Der 3. Zug hat bedeutend mehr drangemußt, die haben den Erdboden wenigstens fünfmal mehr gerochen als wir. Selten ein Tag, in den letzten Wochen überhaupt keiner, an dem wir verdrießlich und unlustig vom Dienst kamen.

Alles in allem ist das ein günstiger Abschluß, zumal gemessen an dem, was man sonst aus der Rekrutenzeit erzählen hört. Ich könnte nicht von einer Schikane erzählen. Alle Freude aber und aller Sonnenschein, soviel Freude und Kraft zum Durchhalten, die kam von Dir, Geliebte, mein liebe [Hilde], von meinem lieben, treuen Weib! Dein liebes, sorgendes Wesen, Dein treues Auge stand immer vor mir. Du warst mein unsichtbarer, aber bester Kamerad auch hier, dem ich mich mitteilen durfte, sagen, wie mirs ums Herz war; dem ich es verdanke, daß mir der Dienst noch viel leichter wurde. So kam bei allem fremden, kalten, militärischen Leben das Herz nicht zu kurz, Du! Es ist nicht erkaltet, Geliebte, o nein, es schlägt heißer und ungeduldiger unter dem grauen Rock, es schlägt zu Dir, Geliebte, Holde!

Wieviel Freude bereitest Du mir heute wieder, Geliebte! Zwei Boten empfing ich heute, den vom Sonntag und Montag. Für den lieben, lieben langen, Du! Wie soll ich Dir danken? Ich kann es nicht mit Worten. Ich mag Dir [^]aber auch die Anerkennung meiner Kameraden nicht vorenthalten: „6 Se Blätter, 12 Seiten, was für Unsinn mag da drin stehen?“ Wenn Du den Tonfall gehört hättest, dann wäre auch Dir die Neugier deutlich geworden, die in diesen Worten [^]lag. Wenn sie nur ahnten, was uns diese Blätter, diese Seiten bedeuten! Wenn sier ahnten, wie glücklich wir beide sind, Du und ich! Du, wir zwei, wir zwei!! Nun bin ich so froh und möchte am liebsten noch lange, lange mit Dir plaudern heut abend, auch ein wenig scherzen und Dich necken, und dann Dich in meine Arme schließen und küssen und – und ganz lieb haben, Du! Du!! Aber es geht heut so und so nicht. Mußt mir schon ein wenig Zeit lassen, vor allem muß ich alle Scherze zurückstellen, Du weißt, die gehen mir nicht so leicht ab, da brauche ich Zeit zu. Hast mir nun alles so lieb berichtet, daß ich ganz beruhigt bin. Hast es alles so empfunden, wie ich es Dir gestern schrieb – und hast es alles so genommen, wie ich es auch getan hätte. Du! Liebe! Und hast über der vielen Arbeit Deinen Hubo nicht vergessen, hast ihm seinen Platz erkämpft, hast ihn selbstbewußt behauptet! Du! Wie danke ich Dir dafür!! Weißt, ich hätte Dich überraschen mögen. Als Kirmesgast wäre ich in Omas Gaststube gekommen, oder hätte besser noch ans Küchenfenster geklopft: „Holde!“ Und Du wärest gekommen – und wir beide hätten Kirmes Kirmes sein lassen, und der Soldat wäre mit der Kaltmamsell losgezogen – fort – fort, bis niemand uns mit Rufen mehr hätte erreichen können. Ach Du! Geliebte! Rechte Kinder sind wir beide doch, Liebesleute, so närrisch und verliebt ineinander! Ist es nicht spaßig? Den Hubo macht die Liebe (dünn), nein falsch! dick, die [Hilde] dünn – und nun ist es ganz richtig umgekehrt. Ach was Du mir da sagst von dick, das glaube ich ja nicht eher, als bis ich es fühlte und sehe – und mich darüber freue! [Du]! Herzallerliebste! Behüte Dich Gott! Er erhalte Dich froh und gesund! Bitte, grüße mir die lieben Eltern! Morgen, Herzliebes, hoffe ich Dir länger und lieber schreiben zu können. Ja, Du, das Schreiben fällt einmal besser und einmal schlechter aus. Aber die Liebe zu Dir, meine Dankbarkeit, meine Achtung und Verehrung sind unwandelbar und unauslöschlich. Du, meine liebe [Hilde]! Ich halte Dich ganz fest! Ich lasse Dich nimmer! Niemals! Niemals!! Dein bin ich! Ganz Dein! Nur Dein! Geliebte! In steter Treue Dein [Roland], Dein Hubo, Dein Dickerle! Und Du bist mein! Ganz mein! Holde, Du! Du!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946