Bitte warten...

[OBF-401028-002-01]
Briefkorpus

Montag, am 28. Oktober 1940.

Herzallerliebster! Mein lieber, lieber [Roland]! Geliebter Du!

Deine Mittagspause wird jetzt bald zu Ende gehn und die eine fängt jetzt an. Komm, rück mal erst ganz nah heran. . . so begannst du gestern in Deinem lieben Briefe. Du! Wenn Du auch eine 13 geschossen hast und eine Fahrkarte dazu, ich bin trotzdem stolz auf Dich! Das kann nicht jeder, glaubst? Wenn Du nur allein in mein Herz triffst, Du!! Mehr braucht es nicht! Und die Fahrkarte? Die lasse Dir nur auch geben. — Die übrige Post, die Du noch nach Kamenz sandest, ist nun in meine Hände gelangt. Du wirst es schon aus meinen Antwortbriefen ersehen haben. Frau Sch. hat also auch Dir geschrieben? Mir schrieb sie eine Briefkarte; sie hat nun keine [G]äste mehr. Eine komische Art hat sie, Briefe zu schreiben, nicht? So richtig bissel  vogtländisch, kurz, abgehackt. Na, ich hab mich trotzdem gefreut. Wenn — wenn ich in nächster Zeit einmal dazu komme, soll sie auch mal was von mir hören. Ich glaube nur, daß es nicht so bald wird! Ich hab ja bloß mit meinem Dickerle zu tun. Ich habe noch nicht einmal an die Hochzeitsgäste die Bilder geschickt. Paar Worte möchte ich auch an alle mit richten und ich hab nun schon immer überlegt wie ich mich am kürzesten fasse, bin aber noch zu keinem Entschluß gekommen. Herrn H. hat Mutsch gleich als sie von Kamenz zurückkam das restliche Geld geschickt. Es waren noch 7[4] M. Und er hat sich bis heut noch nicht gemuckst, ob er es erhalten hat. Dem muß ich auch mal auf's Dach steigen. Zum Möbelhändler / [sic] will ich nächstens. Was meinst [Du] denn, soll ich's ihm sagen, daß Du eingezogen bist? Es ist nur wegen dem längeren Lagern der Möbel. Die beiden weißt, die wir im Sommer bei Tante Marie in Dresden sahen, Irmgard aus Mexiko und Leutnant Horst U. sind nun auch seit 14 Tagen verheiratet. Ihre Anzeige habe ich noch mit gelesen, als ich in Kamenz war. Hat Dir wohl auch Mutter geschrieben unterdessen? Und Luise Sch. hatte auch Hochzeit, als ich bei Deinen Eltern war. Mal Sonntags[,] Mutsch sagte es. Ilse S. schrieb mir's sogar hin! Sie wäre aber nicht mit singen gewesen in der Kirche, überhaupt seien so wenige gewesen; gerade mittags 12 Uhr. Zu der Kantorei ist keine Silbe davon gefallen mir gegenüber und auch so, und ich frage auch nicht darum, keine. Ich hatte mich innerlich schon gewappnet für einen etwaigen Angriff, vorigen Donnerstag.

Sie werden sich ihre eigenen Gedanken machen um diese Person. Und ich sehe auch nicht ein, daß ich mich wegen dieser Sache von damals zurückziehen soll vom sogenannten Schlachtfeld! Ich [hab]e ein reines Gewissen vor jedermann. Es hat sich auch noch nichts wieder gerührt. Na, nun steht sie mir ja in Nichts mehr hintenach, wird schon zufrieden und froh sein. Verschiedene Leute sagen mir das frei, "na, ihre Freundin hat ihnen nun den letzten Schritt gleich getan, nun wird sie es wohl zufrieden sein." Ich antworte auf derlei Anspielungen nur ganz kurz und knapp. Ich nehme das Mäd[c]hen nicht mehr in den Mund und vor den Leuten erst recht nicht. —

Mein lieber [Roland]! Nicht so sehr abrackern soll ich mich, Du! Ei wenn Du sehen könntest, wie ich dick werde, Du! Überall!! [We]nn ich wüßte, daß strammes Arbeiten hülfe dagegen, wie wollte ich mich in die Arbeit stürzen! Aber ich glaube, g[e]rade der Umgang bedingt, daß ich so zunehme. Mir sagen es schon die Leute ins Gesicht. Ich habe direkt Angst vor unser[e]m Wiedersehen, Du! Ob Du mich auch mollig magst, Du?! Alle Röcke spannen über den Teil, der mich an Dir am meisten erfreut. Und auch weiter oben fängt es an zu spannen. Was mach ich denn, wenn es so fortgeht?!!!

Und Du arm's Hascherl bist so schmal worden im Gesicht. Ja, ich sah es gleich Du!! Aber wenn Du nur erst wieder bei mir bist, ich will Dich schon herausfüttern, Du!!

Ich glaube auch beinahe, es macht die Ruhe, Du! Die Ruhe vor Dir!! Dickerle! Darfst mir das nicht krumm nehmen!! Ich weiß, daß ich Dir ja oft genug erst die Veranlassung dazu gab, daß wir dann beide unruhig warden. Du!!

Aber schau, wenn Du so täglich um mich bist, ist das Leben ganz anders. Ich brauche erstens kaum die Hälfte von dem Schlaf, den ich jetzt brauche. Mein ganzes Wesen, mein ganzer Körper ist wie mit Spannung gefüllt, wenn Du um mich bist. Essen kann ich wohl, aber das ist nicht das richtige Maß und was ich manchmal zuviel reinfüllen, das zehrt die Unruhe und das Aufgeregtsein wieder mit auf. Weißt Du noch, wie ich [se]hnig war in der Zeit um unsre Hochzeit? Das ist jetzt alles ausgefüllt. Hoffentlich lebe ich mich später besser zusammen mit Dir, in dieser Hinsicht. Damit ich nicht an Deiner Seite zum Skelett abmagere. Ich würde mich da vor den Leuten schämen, die denken ja immer gleich schlimm und sagen: bei der zehrt die Liebe.

Wir wollen nicht sorgen unnütz, wenn wir nur beide gesund bleiben, ob dick oder dünn, ist wohl letzten Endes gleich. Das Hauptthema, unser Wiedersehen, Du!!

Wir können bis jetzt nur hoffen und unseren Wünschen und Plänen nachhängen. Abhängig von allem ist vorderhand nun erst mal Deine Abkommandierung. Und wie es dann sich fügt, das liegt in eines höheren Macht. Du! Herzlieb!! Wir wollen ganz fest glauben an unseren heißen Wunsch. Warum sollte er denn auch zuschanden werden.

Ich bin mit allem einverstanden, ob Du kommst, ob ich reisen soll. Ich will nur bei Dir sein, Du! Ganz bei Dir, Liebster! Ich glaube auch, daß wir uns garnicht viel zu erzählen hätten. Vielleicht würden wir die Hauptsache sowieso vergessen, die persönlich abzumachen wäre? Wie es ja bei uns schon immer war, Du! Gewiß, am allerschönsten wäre es, wenn Du heim kämst zu mir. Es wäre alles gemütlicher, besser beisammen. Aber ich würde auch sehr gerne zu Dir kommen, [Roland]! Ach mein Lieb! Da trösten wir uns nun einander über die lange schmerzliche Wartezeit hinweg und jedes wäre doch so sehr froh, wenn es endlich, selbst seiner Sehnsucht kaum noch mächtig werdend, vom anderen mit Zärtlichkeit und Liebe umfangen würde. Es ist schwer, auszuhalten und dem Liebsten auch noch Mut zusprechen. Aber wir müssen, Du!! Wir müssen hindurch, und Du bist vielleicht noch mehr allein als ich, unter lauter Männern und keiner noch, der Dein Freund sein könnte. Ich kann bei den Eltern, daheim sein, das ist eine glücklichere Umgebung.

Aber, Herzlieb! Mein Innenleben, das lebe ich genau so allein und einsam wie Du! Ich kann mit niemanden sprechen davon, was mich beb bewegt. Es wird mir schon manchmal schwer für Dich die rechten Worte zu finden, für irgend etwas. Aber bei Dir ist das anders. Wir lieben einander, lieben uns nicht wie das Verhältnis der Kindes- und Elternliebe. Und da gibt es ein viel feineres Verstehen und Empfinden. Was der Mund verschweigt, [da]s tut sich kund in einem Blick in einem Händedruck, in einer Liebkosung. In irgend einer Tat, die das letzte und innige Verstehen des andern bestätigt, uns froh erkennen läßt. Sich mein Herz, so zu leben, äußerlich und innerlich, das vermag ich auf Erden nur mit einem Menschen. und [sic] dieser eine bist Du, mein [Roland].

Seit ich Dein bin gibt es nur noch einen Begriff für mich, einen Inbegriff allen Lebens und der heißt: Du. Darum ist es auch zwischen meinen Eltern und mir anders geworden. Nicht, daß ich sie jetzt weniger schätze und liebe. [Ne]in. Aber all das ist zweiten Ranges. Du verstehst mich schon. Und es muß wohl auch so sein, wenn ein Mensch für den anderen ganz sich einsetzen will, in ihm voll und ganz aufgehen will. Das Band, das mich mit Dir verbindet, ist von Menschenhand unlösbar. Und wenn es das Schicksal doch zerreißen wollte, dann will ich nicht mehr leben. Aber so denken ist Sünde. Du! Du! Wieviele Male haben wir nun schon miteinander darüber gesprochen, hast Du meine schwermütigen Gedanken weggewischt. Ich danke es Dir Herzlieb, daß ich ein Großes überwunden habe von meiner Schwermut. Und jetzt ist ja auch kein Grund dazu vorhanden. Ich weiß, daß Du mein Herz gesund und wohlauf bist. Das ist schon so viel des Glücks. Und unser Herrgott wird Dich auch weiter behüten auf allen Deinen Wegen. Er wird Dich mir behüten und auch den anderen Menschen und -kindern, die Dich so lieben wie ich. Die Dich so brauchen, wie ich. Du!! Mein [Roland]!! Es kann doch garnicht [sic] anders sein und werden.

Wenn Du sehen könntest, welch große, große Freude Du mir mit Deinen Bildern bereitet hast, Du!!

Wie glücklich bin ich, daß ich Dich zu jeder Minute vor Augen habe! Und jetzt kann eben Dein lieber Freitagsbrief. Wie ich mich freue, wie ich Dir danke, Du!! So warm, so lieb sind die Worte von Dir, trotz der vielen Pflichten, die in diesen letzten Tagen Deiner harren. Du! Und wenn ich von Deinem lieben Brief aufschaue in Dein liebes Gesicht, da ist es grad als gehe es wie ein warmes, frohes Leuchten darüber hin: ja meine [Hilde], so wie ich's Dir schreibe, so ist's, so liebe ich Dich.

Ach, mein Lieb! So vielseitig kann man den Ausdruck Deines Antlitzes deuten auf den Bildern. Ich kann alles garnicht [sic] niederschreiben, was ich sehe und herauslese, weil mir die rechten Worte dafür fehlen. Aber eines sehe ich immer und überall wieder hindurchschimmern, Deine Augen, die können nicht verheimlichen , daß Du ein großes Glück in Dir trägst. Und der Glanz, der Blick Deiner Augen, Du!! Der sagt mir alles, was ich wissen will!! Nur mir soll er es sagen, ganze allein nur mir!! Nun hast Du die Bilder übrig. Willst nicht Deinen Eltern eines schenken?, die würden sich bestimmt ganz sehr freuen. Mir allein soll Dein Bild gehören und es ist lieb von Dir, wie Du das Dir gedacht hast, es ehrt mich, es freut mich. Es bleibt auch ein selten schönes Geschenk für mich zeitlebens [s]chon um der Art willen, wie es mir geschenkt wurde, Du! Und das ist und bleibt einzig, einmalig. Darum bitte ich Dich auch: Schenk Deinen Eltern eins, Herzlieb. Was mir Dein Bild verrät, verrät es anderen nie und nimmer, glaub mir. Alles Schöne, Liebe und Geheime hat sich mir ja erst erschlossen, als ich den Boten anhörte, der es begleitete, Du!! Wie ich Dir danke!!

Wie Du die Bilder zurechtschneiden willst? Eigentlich ist es schade drum. Aber für den Zweck ist es umso reizvoller. Ach, Du bist genau so närrisch wie ich und legst die Bilder nebeneinander. Stellst sie auf, so und so!

Während ich schreibe, stehen auch 3 Bilder von Dir vor mir in Reih und Glied, die größten, die ich besitze. Und wenn es mir auch leid ist, freuen tut's mich doch von Herzen, wenn Du mir für meinen Rahmen eins zurechtschneidest! Immer tüchtig!! Gleich die Maße, bitte: 8 ½ cm x 13 ½ cm! Dann paßt Du hinein.

Dichten muß der Herr Schulmeister, jawohl ist ganz in Ordnung. Laß mich bitte teilhaben an dieser Labung für den Geist!

Pfui, wie ironisch, wirst Du nun denken.

Aber Du weißt doch, wie ich's meine ja?

Noch 3 Tage trennen Dich von dem Neuen.

Herzallerliebster! Du! Ich wünsche Dir von Herzen alles, alles Gute für Deine neue Umgebung, möchtest Du befriedigt sein mit dem neuen Pflichtenkreis. Wenn Du auch nicht das findest, was Du erwartest jetzt. Möge Dir die Kraft wachsen, doch das Beste, das Befriedigende herauszufinden, zu erkennen; damit Dir die Tage, die Zeit, die dann folgen wird[,] nicht so ganz verloren ist. Ich bin bei Dir Du! Ich will Dir tragen helfen wo [ich] nur kann, Du! Wisse das und scheue nicht, Dich mir anzuvertrauen in allem, was auch Dich drücken mag. Herzlieb, vergiß nie, daß ich Dein bin, ganz Dein in Glück, in Sorge, in Not!

Wir wollen gemeinsam vorwärts gehn, mein [Roland].

Nun noch schnell etwas vom gestrigen Tag, ich muß noch arbeiten, Du! Ich muß noch abkommen!!

Es ging früh um 10 los und hörte abends nach 12 auf. Wahnsinniger Betrieb! Zur Kaffeezeit wie zum Abend beim Warmessen. Der Kuchen ist alle, ½ Ztr. Karpfen, eine Ziege, und Enten; sie haben uns rund und rein ausgefressen! Sogar die Wurst und den Käse, der für das Abendbrot der Helfer bestimmt war, haben die Leute fast aufgegessen. Sie ließen und ließen nicht locker. Du kannst Dir gar keinen Begriff machen, wie das zuging, wir sind nicht aus der Küche heraus gekommen zu vieren. Gerade, daß man mit Mühe und Not seine menschlichsten der Bedürfnisse!! (die bekannte Redensart) erledigen konnte. Vorbei, vorbei! Gottseidank! Wir sind wie gerädert heute. Und heute nacht noch von 2 - 4 [Uhr] Alarm. Mächtig geschossen hat es rundum. Es war auch ganz klares Wetter gestern und ein frostiger Stern[en]himmel. Heute früh waren alle Fester gefroren bei uns. Ja — was die Feinde angerichtet haben, davon hört man nichts.

Ist vielleicht auch besser so. Wenn man alles weiß, macht man sich auch viel Sorge. Es ist aber so, wir sind hier nicht weniger in Gefahr, als Ichhr da draußen. Sie kommen überall mal hin. Wie lange noch?

Jetzt Herzlieb, für heute genug. Vielleicht ist das der letzte Brief, der Dich in Friedrichsort erreicht, wenn es am 31. schon fortgehen sollte. Sie werden schon die Post nachschicken. Reformationsfest wird also doch auf den folgenden Sonntag verlegt. Eine schöne Ausrede haben sie wieder mal jetzt, die Kriegslage bedingt es, die Zeit fehlt den Arbeitenden. Na, nur so weiter.

Mein lieber, liebster [Roland]! Der Briefschluß macht uns beide des gewiß, was unser beider Herzen und Seelen bewegen. Ich liebe Dich, Du! Ich liebe Dich allein in alle Ewigkeit. Nur Dir will ich gehören! Nur Dir meine ganze Liebe bringen Mein [Roland]! Behüte Dich mir Gott immerdar!

Alles, alles in mir ruft und drängt zu Dir, zu Dir!! Wie will ich Dich voll Zärtlichkeit und Liebe an mein Herz drücken, am mein Herz, daß in unzerbrüchlicher Treue nur dem Einen schlägt, meinem einzigen, lieben, guten [Roland]!

Ich bin Dein!! Nur Dein!!

Ewig Deine Holde.

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946