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[OBF-401028-001-01]
Briefkorpus

Montag den 28. Oktober 1940

Mein liebes, teures Herz! Herzallerliebste, Holde mein!

Siehst, wie der Oktober abnimmt, Du? Wie launisch sind wir Menschen mit unseren Wünschen, wie die Kinder, mal soll es schneller, mal langsamer gehn. Schon wieder sind wir bei der Kirmeszeit. Die Jahreszeit treibt die Menschen wieder in die Häuser, in die Stuben, weiß sie wieder auf ihren häuslichen Kreis. Aus der Kindheit her ist mir diese Zeit so lieb geworden – mein und Hellmuths Geburtstag liegen darin, es geht auf Weihnachten zu. Weißt, Herzliebes, wie auch wir zum erstenmal heimgingen? Du! Finstre Nacht war es – einsame nächtliche Stille um uns – und wir zwei allein – Du! Ich wundere mich heute, daß wir so standhaft blieben – heute könnten wir das nicht mehr, Holde! Glaubst mir’s? Und doch, meine ich, war es recht, wie wir es hielten. Ich hätte ja gar nicht anders handeln können. Und glaubst, die Tiefe unseres Sehnens ist erst, seitdem wir wußten, daß wir einander gehören, seitdem ich Deiner ganz gewiß bin.–Du hast mich letzthin an etwas erinnert, als Du von dem Liede „An die Musik“ schriebst.

Geliebte, Du! Ich habe es damals nicht am schönsten gesungen, aber alles legte ich hinein, was mich damals an Bangen und Hoffen, an Lieben und Sehnen bewegte. Ich sang es heraus, frei und offen, mein ganzes Herz breitete ich aus damit vor Dir, legte es vor Dir hin wie zur Auswahl. Herzliebes! Und dann fand ich Dich so, daß ich zum ersten Male hätte die Hände um Dich legen und Dich heftig an mich drücken können. Aber es war noch nicht so weit. Und heute ist mir, als hätte in Deinem Ausdruck Trauer und Weh gelegen. Trauer und Weh darüber, daß ich Dich und Deine große Liebe noch immer nicht erkannte. Ich weiß nicht, ob ich recht habe damit. Ich weiß überhaupt nicht, ob Du gedacht hast, daß wir uns rascher anfreunden. Aber dem nachzuhängen hat wenig Zweck. So wie es kam, war es recht. Und im Ganzen denken Du und ich unsre Brautzeit als an eine glückliche Zeit zurück. Und unsre Briefe können wir jederzeit als Zeugen anrufen dafür, daß wir uns glücklich Schritt um Schritt näher kamen, daß unsre Zuneigung und Liebe wuchs und wie alle guten Früchte langsam heranreifte. Du! Wieviel schöne und reiche Empfindungen schließt diese Zeit in sich! Wie hat sie Dein altes Dickerle so ganz aus dem Gleichgewicht gebracht. Richtiges: wie hast Du — — — Nun hast ihn auf dem Halse, und wirst ihn nie und nimmer los! Nimmer!

Herzallerliebste! Pünktlich ist Dein lieber Bote wieder eingetroffen. Ich danke es Dir ganz besonderes, Du, daß Du ihn auf den Weg schicktest, trotzdem Du jetzt so viel in Anspruch genommen wirst! Ich freue mich ganz sehr, daß Du Dein Recht behauptest, Deine Zeit, daß Du Dich nicht ausnützen läßt und Deinen Willen durchsetzt, vielleicht sogar auf die Gefahr hin, daß man Dich nicht versteht. An Deiner Bereitwilligkeit kann niemand zweifeln, und Deinen Eigensinn wird man respektieren. Hoffentlich ist zur Wiederauffrischung der Kräfte auch etwas abgefallen für Euch guten, hilfreichen Menschen. Herzliebes! Päckchen von mir – zwei schickte ich ab während Deiner Abwesenheit – sind also eingetroffen. Gestern, Sonntag, habe ich wieder eines aufgegeben. Wenn Du noch nicht wieder abgeschickt hast – warte erst meine neue Nummer ab, die ich Dir so schnell wie möglich (vielleicht Telegramm!) zukommen lasse. Ich sehne mich doch so nach Deinem Boten, Du! Hast Du es schon abgeschickt, ist es auch nicht schlimm, es wird umgeschrieben und nachgeschickt.

Ich habe mich heute mächtig dazugehalten, geputzt und geflimmert, rasiert, Füße gewaschen. Morgen ist Vorbesichtigung durch den Kompaniechef. Wenn Du meinen Boten erhältst, ist auch die Besichtigung schon vorbei durch den Abteilungskommandeur, Mittwoch zwischen 10 und 12 Uhr. Ist auch die Abschiedsfeier schon vorbei, bei der Dein Hubo nüchterner Zeuge bösen Rausches sein wird. Sind wir wahrscheinlich schon auf dem Wege zu unserem neuen Quartier, es heißt, daß es schon Donnerstag abgeht. Alle sind nun unruhig in Erwartung des Kommenden. Auch Dein Hubo, Du! Allermeist darum, weil er nun bald den Ort sehen soll, an dem er sein Herzlieb empfangen will, an dem er ein Stübchen suchen will, unser Stübchen, die Insel unsres Glückes, Du!! Aber fein still noch!

Geliebte! Behüte Dich Gott! Er erhalte Dich froh und gesund! Weißt, manchmal scheine ich mir so arm mit meiner Liebe neben Dir, Du! Bitte, Geliebte! Nimm sie an! Es ist meine ganze, ungeteilte Liebe! Es ist eine eigensinnige, treue Liebe, Du! Weißt, ich glaube, es läßt sich so schlechthin gar nicht vergleichen, mein Lieben und Dein Lieben, ich bin eben ein Mann, Du, Dein Mann, und Du bist ein Weib, mein liebes, geliebtes Weib! Ich mag auch nicht Streit und Eifersucht heraufbeschwören. Ich bin so glücklich, wenn Du mir sagst, daß Du mich liebhast, daß Du mein bist. Das kannst Du doch nur, wenn Du weißt und fühlt, daß ich Dich so sehr wiederliebe, Du! Geliebte! Ich bin so froh und glücklich! Du sollst es auch sein!

Genug für heute.

Holde! Geliebte! Ob ich von Dir geträumt habe? Nein, Du! Ich habe mich so sehr gesehnt, und habe so fest an Dich gedacht, an unser Einssein, Du! Liebste! — — Du, mein holdes Weib! Du! Ich liebe Dich! Ich halte Dich ganz fest! Ich lasse Dich nie und nimmer. Dir gilt meine ganze Liebe! Du, meine liebe, gute [Hilde], Herzallerliebste, Holde mein! Ich bin und bleibe in Treue Dein [Roland], Dein Hubo, Dein Dickerle, auch Dein Gärtner, Du, und Schlüsselein! Und Du bist meine [Hilde], mein, ganz mein!! Holde!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946