Bitte warten...

[OBF-401026-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend den 26. Oktober 1940

Mein liebes, teures Herz! Geliebte! Holde! Meine liebe [Hilde]!

Sonnabendnachmittag. Die grobe Arbeit ist getan: Stiefel geputzt, Spind sauber gemacht, Koppelzeug blank, Knöpfe angenäht, gebadet. Nun kann ich die feine Arbeit vornehmen. Fast leer ist die Stube. Viele sind wieder nach Kiel gefahren. Ich will heute häuslich bleiben. Morgen am Nachmittag will ich mal ausrücken. Dies ist wahrscheinlich der letzte Sonnabend hier. Wo werde ich dann sitzen, mit Dir zu plaudern? Kommenden Sonnabend, heißt es, werden wir umziehen. Alle sind gespannt. Laune und Übermut ist in alle gefahren, die Vorgesetzten nicht ausgenommen. Für sie geht ein Stück Arbeit zu Ende, für uns die Rekruten- und Ausbildungszeit. Für Besichtigung wie für Abschiedsfeier wird zugleich gerüstet. Meine Verse sind fertig und abgeliefert. Es war nicht schwer, über jeden einen Vers zu schreiben. In zivil sahen wir uns zuerst. Die Zivilkleidung erleichterte es, von jedem rasch einen besonderen Eindruck zu bekommen. Dann verschwand zunächst alle Eigenart in der Uniform. Langsam, aber desto deutlicher, schaute durch das graue Kleid wieder die Individualität eines jeden. Späße, Dummheiten, Gewohnheiten im Dienst und außer Dienst, nüchtern und angeheitert, häuften sich allmählich bei jedem. Die Uniform macht fürs erste alle gleich. Und von dieser äußeren Gleichheit bleibt bis zuletzt, daß ein jeder ganz von vorn anfängt. Außer zu statistischen Zwecken fragt niemand nach Zivilberuf, Vorbildung. Jeder hat sich neu zu bewähren an den Dingen des Soldatenspiels. Da wird manchem die falsche Würde und eine zugelegte Maske heruntergerissen. Da kommt viel Menschlichkeit zum Vorschein wie bei Kindern. Geiz, Ehrgeiz, Egoismus, Rechthaberei, Streitsucht, Mißgunst—alles tritt zutage, wie es im Zivilleben nicht sich zeigt, weil der Mensch in der Sicherheit seiner Gewohnheiten sich besser beherrscht und seine Schwächen zu verbergen sucht.

Wie steht Dein Hubo in dieser Gesellschaft? Ich habe dir schon davon geschrieben. Du weißt, wie ich dieses Soldatsein auffasse: als eine unerbittliche Notwendigkeit. Darin liegt eine gewisse Passivität. Etliche unter den Kameraden meiner Stube hatten sich freiwillig gemeldet, wenn auch zu anderen Truppenteilen, es sind welche, die gern Soldat sind, die sich schon früher dafür interessiert haben. Wir sind zu Hause eine unsoldatische Familie. Also, ich tue hier meine Pflicht. Die mir gestellten Aufgaben löse ich nach bestem Können, ohne dabei einen besonderen Ehrgeiz zu entfalten. Wer musikalisch ist und Gefühl für Rythmus hat, kann nie ganz unmilitärisch sein, dem fällt auch alles leicht, und dieses Leichtfallen fängt an beim raschen Auffassen des Befehls und dessen zackiger, das ist rythmischer, Ausführung. Du weißt auch, daß ich mich schon vorher innerlich auf dieses Leben einstellte, und zu dieser Einstellung brauchte ich mich gar nicht sehr zu zwingen. Den Lehrer herauskehren, rechthaberisch, empfindlich sein, sich hervortun wollen, Schrullen nicht lassen können und was dergleichen noch mehr ist, und bei Soldatens [sic] auffällt, das habe ich ohnehin nicht an mir, oder habe es mir abgewöhnt. Mit den Vorgesetzten besteht also gar keine Konfliktmöglichkeit. Und in der Stube? Damit man meine Einsilbigkeit entschuldigt und mich träumen läßt von Dir, Geliebte, gebe ich mich mit einem kleinen Nachdruck als kleines Original: Die Ämter des Heizers und Lüfters eignete ich mir stillschweigend an. Mein Spind steht als einziger auf dem Flur, und die kleinen Verstöße gegen die Ordnung (Tasse stehen lassen, Messer, Mütze), die sich aus diesem Umstand ergeben, lasse ich mir gern als Vergeßlichkeit eines Professors auslegen. Kommt hinzu die Gewohnheit (deren Echtheit sie freilich nicht durchschauen und die allen rätselhaft erscheint und gewiß die Neugier vieler spannt, Du!) des täglichen Schreibens: das gibt doch eine Person, von der man,— zwar nicht viele—, doch reden kann. [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

Und das genügt, um Rufe zu haben und doch den Rücken sich freizuhalten. Den anderen begreiflich zu machen, daß man doch auch guter Kamerad [^]sein kann ist, wenn man nicht mittrinkt und mitraucht und überhaupt auf ein paar Eigenheiten hält: das ist gar nicht so leicht. Es ist mir gelungen. Auf dem neuen Posten, rechne ich, kann ich ohnehin mehr für mich sein—schon während der Arbeit. In der Freizeit kann ich ausgehen, oder mich ins Schreibzimmer zurückziehen. Es hat wenig Sinn, darüber zu spinnen, ich werde mich ebenso einrichten wie anderwo.

Herzliebes! Meine Bilder schicke ich Dir noch einmal. Weiß nicht, ob es Dir recht ist. Die Ausschnitte haben das Format Deiner Bilder und zeigen das Wesentliche noch eindringlicher. Liebes! Bis mit [sic] Dienstag magst Deinen Boten mit meiner alten Nummer abschicken. Dann mußt erst einmal auf meine neue Nummer warten. Mein Bote wird regelmäßig D weiter erscheinen, nur den Deinen muß ich dann ein paar Tage schmerzlich missen. Weiß nicht, ob Du vielleicht [nach] Eckernförde postlagernd schicken könntest. Ich überlege es mir noch.

Geliebte! Sonnabend bei Euch! Oft schon war ich dann Euer Gast, Dein Besuch! Die ganze Woche freute ich mich darauf, auf das Wiedersehen mit Dir! Wenn ich dann endlich in Chemnitz war, war ich Dir schon ganz nahe, Du! Dann, auf der Fahrt hinaus nach Oberfrohna, mischte sich in die Erinnerung an graue, einsame Tage, die Empfindungen der Wärme und Innigkeit meines großen Glückes: daß ich dich, Geliebte, fand—daß mir Deine große, reiche Liebe geschenkt wurde—daß mir Dein Herz offen stand – Du! Meine [Hilde]! Holde! Geliebte!

Behüte Dich Gott!

Bitte grüße die lieben Eltern!

Du! Ich käme so gern wieder zu Besuch! Wie damals. Und ich weiß, es würde noch schöner sein wie ehedem, wir würden einander noch fester und lieber haben, weil die trennende Ferne uns nur deutlicher zeigt, wie lieb wir einander haben, und wie köstlich der Schatz solcher Liebe ist!

Du! Meine [Hilde]! Ich liebe Dich aus ganzem, vollem Herzen. Ich bin immer bei Dir! Du! Du! Ich küsse Dich! Ich liebe Dich!

Ich halte Dich ganz fest und gebe Dich nimmer frei! Du! Holde!

Ich bleibe in Treue allezeit Dein Hubo und [Roland]! Meine [Hilde]!!

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946