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[OBF-401024-002-01]
Briefkorpus

Donnerstag, am 24. Oktober 1940

Herzallerliebster! Mein [Roland]! Geliebter Du!

Hilflos wie ein kleines Schulmädel sitze ich vor meinem Bogen Papier. Aber nicht so, daß ich keinen Gedanken fassen könnte, Du! Ach Geliebter! Mein [Roland]!! Wie nur, wie sage ich Dir's, wie so glücklich Du mich gemacht hast!? Du! Ich bin ganz durcheinander vor Freude, vor Jubel!! [Roland], lieber [Roland]! Weißt Du, daß Du meinen Herzenswunsch erfüllt hast?

Ach, am liebsten hätte ich mich heute morgen eingeschlossen ins Kämmerlein Du, zusammen mit Dir, Geliebter! Stundenlang kann ich Dir ins liebe Antlitz schauen, unverwandt! Alles vergesse ich um mich her, Du! Du bist es!! Mein [Roland]! Mein Geliebter! Einziger! Riesengroß ist die Sehnsucht nach Dir aufgestiegen.

Herzallerliebster! Bei Dir sein, bei Dir, das ist mein innigster Wunsch. Nichts will ich haben, als Dich, Du. Wie ich Dich auf diesen Bildern schaue, Du!! Du!! Kannst Du auch ein kleines [sic] nur nachfühlen von dem, was dabei in meinem Herzen sich regt? [Roland]!! [Roland]!! Ich möchte fliehen vor mir selbst, so schmerzlich süß ist das Gefühl, Du! – Und niemand, der mich erlösen kann. O möchte sich doch unser beider innigster Wunsch bald, bald erfüllen, Du! Liebster! Ich weiß nicht mehr wie ich es ertragen soll, wenn ich Dich in diesem Jahre nicht mehr bei mir haben soll. Du! Wie ein Fieber ist es nun über mich gekommen, wie ein unlöschbarer Durst, seit ich Dich so nahe vor mir habe. Herzlieb, so nahe bist Du mir!! Ich liebe Dich!! Du!! Hinausschreien könnte ich es, damit ich doch erlöst wäre von dieser übermächtigen schmerzlichen Sehnsucht. [Roland], Du!! Hol mich zu Dir!! Müde von der Fahrt, müde von der Arbeit, vom Erzählen, habe ich gestern abend mein Kämmerlein aufgesucht. Unser kleines, so kleines Dornröschenschloß, Du! Immer, wenn ich es abends aufsuche, dann steigen vor meinem Auge Bilder auf, aus vergangener Zeit, aus Tagen voller Seligkeit und Liebesglück mit Dir, mein Roland. So auch gestern. Wie Du es alles vor Deinem geistigen Auge sahst, Herzlieb! Ja, so vollzog sich nun mein Tun. Fast erschrocken las ich Deine geliebten Zeilen heute früh noch einmal darum. Die letzte Hülle fiel — im Nachthemd dann noch einen Blick in den Spiegel. Ein wenig bleich, dunkle Schatten unter den Augen sah ich mir entgegen im Spiegelbilde. Vor meinen Nachtschränkchen blieb ich sinnend stehen. Dein liebes Bild sah mich an, hinter kaltem Glas. Du, Dir kann ich's doch sagen. – Ich küßte Dich; heiß, innig, Du! Das war meine Heimkehr, mein Willkommen für Dich.

Dich immerzu ansehend zog ich den Kasten auf, worin Deine Briefe liegen, die letzten, bevor ich reiste. Ein paar griff ich heraus, nickte Deinem Bilde glücklich zu und wollte ins Bettlein schlüpfen. Da — die Schere! Verwundert und sogar ein wenig ärgerlich auf Mutter, ob solcher Fahrlässigkeit — denn ebenso hätte ich ja im Dunkeln ins Bett kriechen können; zog ich das Deckbett vollends zurück. Und — ein Brief!! Staunend besah ich mir den braunen Brief, mit einem roten Kreuz, von Deiner Hand. Hart faßte er sich an. Du hattest mich ja schon empfangen mit Deinem lieben Boten, Du!? Ich wußte zunächst nicht, was ich denken sollte. Erst kroch ich nun mal rein ins Bett, setzte mich auf und öffnete den geheimnisvollen Braunen. Die anderen Briefe lagen unangetastet auf dem Bett. Liebster! Die erste Hülle fiel — noch ein Umschlag — Du!! Plötzlich durchzuckte mich ein heißer Schreck!! Ein Bild? Aber nein, so schnell, sogleich verwarf ich den kühnen Gedanken. Aber ich fühlte in mir jetzt ein unzufriedenes Gefühl aufsteigen, ein Gefühl der leisen Enttäuschung, wenn [es] wirklich kein Bild, nur ein Brief wäre. Und ich war wie verstimmt, daß ich doch an den Gedanken, Du könntest mir Dein Bild geschickt haben, auch nur gerührt hatte. Jetzt war die Öffnung da an der letzten Umhüllung — ich faßte hinein — zog etwas heraus[,] fest griff es sich an, glatt! Ich mußte, wie in einer plötzlichen Schwäche die Augen schließen, Du! Das Herz setzte ein paar Schläge lang aus! Ich mein, Du mußt es ja gefühlt haben [Roland] [wi]e sehr, wie froh ich erschrak! Und als ich die Augen öffnete — Du!! Du!! Da sahst Du mich an, Du!! Mein so heißgeliebter [Roland]!! So schön — o so wunderschön bist Du auf diesen Bildern, genau so, wie ich Dich sehe in Wirklichkeit, wenn ich Dich so sehr lieben muß!

Herzallerliebster! Ich weiß nicht, wie mir geschah! Alles um mich war in strahlendstes Licht getaucht und ich — Du, ach ich konnte die Augen nicht öffnen, klar zu sehen all die Herrlichkeit.

Mein [Roland]! Ich mußte weinen, so sehr weinen. Vor Glück, vor Jubel, vor schmerzlicher Sehnsucht, vor Rührung und Dankbarkeit, ich war so sehr aufgewühlt, erschüttert von dieser köstlichen Überraschung. Ich habe geweint, geschluchzt, hemmungslos, Du! Ach Du! Ich hörte es 10–11–12 schlagen. Ich lag in den Kissen, nun im Dunkeln, die Tränen rannen mir unaufhörlich aus den Augen. Wie nur ein Mensch so sehr, so lange weinen kann.

Du, es hatte mich zu sehr erschüttert. So sehr habe ich mich noch nie im Leben überfreut.

Ich fand den Schlaf nicht. Nicht vor Morgengrauen. Dich an mein Herz gepreßt, immer wieder bebte mein ganzer Körper vor Erregung, lag ich lange, o lange wach. Mein Kopfkissen war so naß vor Tränen, so kalt. Ich mußt es heute früh am Ofen trocknen.

Wie ich mich mir so erregen konnte. Nichts, nichts, kein vernünftiges Denken konnte mich beruhigen. Es war mir alles wie ein wunderbarer Traum. Weil ich immer, immerzu Deiner denke, weil mein ganzes Leben nur Dir gehört, weil ich Dich ganz fest in mein Herz, in meine Seele, in meine Gedankenwelt eingeschlossen habe, weil ich Dich liebe bis, ich muß hier dieses Wort brauchen, [Roland], liebe bis zum Wahnsinnigwerden, Du!! Darum hat es nur dieses Anstoßes bedurft, um all meine [ge]staute Sehnsucht und Liebe sich ergießen zu lassen in einen endlosen Tränenstrom.

Herzallerliebster!! Mein [Roland]! Mein Erwachen heute war wie ein Besinnen aus tiefen, tiefen Traum. Und welcher Jubel, die herrliche Wirklichkeit sah mich an, sah mich an aus Deinen geliebten Antlitz. Es ist wahr, wirklich wahr. Du bist zu mir gekommen. Mein [Roland]!! Mein geliebter, bester [Roland)!! Was nützt denn ein dürrer ärmlicher Dank auf diesem Blatt Papier? Du!! Ich muß Dir dan[ke]n, ich selbst muß Dir danken für Deine wunderbare Überraschung. Und ich glaube, ich fürchte mich jetzt sogar ein wenig vor diesem Wiedersehen Du!! Was wollen wir da einander alles danken?

Muß uns nicht beiden bange werden vor soviel Liebe und Seligkeit? Daß ich soviel Glück und Freude und Sonnenschein verdient habe auf dieser Welt! Womit habe ich es nur verdient? So innig drang gestern mein Gebet zum Herrgott. Mein [Roland]!! Wie so glücklich sind wir doch in seiner Vaterhut. Wäre unser Glück so rein ohne ihn, unseren Beschützer? Herzliebster mein! Ich wandle in lauter Sonnenschein, trotz trüben kaltem Wetter. Ich bin bis in Ewigkeit Dein!! Dein!! Nur Dein!! Ich liebe Dich, Du!! Mein Glück! Mein Leben!

In Treue immerdar

Deine Holde.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946