[401023–2‑1]
Mittwoch, am 23. Oktober 1940. O.
Herzallerliebster! Mein lieber, lieber [Roland]! Du, Geliebter!
Daheim! Ich sitze wieder in unseren niedlichen Zimmern, doppelt niedlich und klein sind sie mir geworden nach der langen Zeit, die ich in Eurem Heime weilte.
Planmäßig […] begann mein Start — die altbekannte K.er Bummelei stellte sich bald ein. Halten — halten, wieder halten! Glücklich nach[…] war das Zügle in Dresden. […] ging mein Zug weiter. Ich mußte, gleich vielen anderen warten, bis ¾ 11 = Eilzug München. In unserer schönen Ecke, im Wartesaal 1. Klasse weißt [Du], auf dem grünen Ecksofa, wo wir einmal diesen herrlichen Baumkuchen schmausten!! Es war die Zeit, als ich Dich in L. besuchte. Dort habe ich ganz gemütlich den Morgenkaffee, ja es war wohl “Kaffee” eingenommen. Mutters Reisegepäck, Du kennst ja die Sorte, habe ich mich dabei entledigt. Und ich mußte an Dich denken mein Lieb, die ganze Zeit. So viele Soldaten kamen und gingen, es gibt glaub ich bald keine Männer mehr in Zivil. Eine paarmal setzten sich einer oder 2 zu mir an den Tisch. Ach, was hätte ich darum gegeben wärest Du es gewesen, der mich immerzu ansieht. Wenn sie noch so nett sind und liebenswürdig und höflich. Ich mag keinen, keinen leiden neben mir, als nur den Einen. Du! Du! Wenn ich bald reisen könnt zu ihm! Um […] war ich in Chemnitz, in ¼ Stunde fuhr ein Zug nach O.. Und so bin ich nun glücklich kurz vor […] angekommen. Papa war an der Sperre! Er hat diese Woche seine Ferien. Meinen Koffer mußte ich in K. aufgeben, er war zu schwer; er ist noch nicht da (d[a]rum hab[‘] ich auch nicht mein Briefpapier!) Man hat mich schon lang sehnlichst erwartet. Besonders die Mutsch! Bepackt war ich sehr. Meine große Tasche, meine Handtasche. Einen Karton, worin die Schlafdecke und alle Wolle steckte. Einen Karton, worin ich den Weihnachtsmann vielleicht auch noch mehr versteckte!!
Ich hab[‘] mich nach dem verspäteten Mittagsmahl gleich frisch an die Arbeit gemacht. Aufwaschen, meine geheimnisvollen Sachen verstecken und — Deinen so lieben Boten schön in Ruhe lesen! Du! Herzlieb! Sei tausendmal bedankt für Deinen lieben Sonntagsboten! Hast alles so vor Augen gehabt, ebenso wie sich mein letzten Sonntag in K. gestaltete. Mein [Roland]! Einen ganz lieben langen Kuß von mir nimm als Dank, Du!Über alles hab[‘] ich mich ja so gefreut, was Du mir erzählt [hast]!
Nun bist mir wieder nachgefolgt, wie mein getreuer Schatten, Liebster! Ach, ich wüßte ja nicht, wie ich es ertrüge Du! Wenn es nicht so wäre zwischen uns, wie jetzt, Du! Wie ich Dich liebe!!
Der Kohlenmann war eben da, die Winterfeuerung brachte er. Du kennst ja die Marotten der tollen Frau Uhle! Ich kann eben aus dem Keller, hat gescheuert, alles; sogar den unteren Hausflur, die große Treppe vorn herunter, die Steine davon. Nun ist sie’s zufrieden. Und ich hab[‘] es satt, bin seit 5 Uhr auf den Beinen. Eine unruhige Nacht hatte ich, der Junge träumt so viel u.[nd] redet laut. Die armen Kinder sind alle ganz nervös durch die vielen Nachtangriffe in Hamburg. Ja das ist nun mein Heimkehr gewesen! Mit beiden Beinen hinein!!! In den Scheuereimer!
Ich will nun erst mal schön ausschlafen, mein Großer! Dann, morgen erzähl ich Dir noch [ein] bissel [sic: bisschen], ja? Jetzt, auf Wiederseh[‘]n! Mutter wird gleich kommen. Behüt[‘] Dich Gott, erhalte er Dich froh und gesund! Mein liebster [Roland]! Du — ich liebe Dich aus tiefstem Herzen! Ich bin in unvergänglicher Treue ganz Deine Holde.