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[OBF-401022-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 22. Oktober 1940

Mein liebes, teures Herz! Du meine liebe, liebe Hilde! Holde meine! Ganz schnell habe ich gemacht — Gewehrreinigen, Stiefelputzen, Rasieren, Kartoffelschälen, Abendbrot — damit ich noch ein Stündchen gewinne, den Boten auf den Weg zu schicken. Bis zur Besichtigung müssen wir naturgemäß noch etwas dran; aber es ging bis jetzt alles in Gute. In unsrer Freizeit sollen wir auch noch Griffe kloppen, weißt „Gewehr über!", „Gewehr ab!", aber das alles darf nicht von Deiner, von unsrer Zeit abgehen. Ich habe heute gut durchgehalten, obwohl ich letzte Nacht wenig schlief. Ein paar bezechte Kameraden haben uns alle bis über 12 Uhr zur allgemeinen Empörung nicht schlafen lassen, und das nicht zum ersten Male. Weißt, das Hässliche des Trinkens erschien wieder einmal ein hellsten Lichte. Dazu stellte unsre Stube 6 Mann Wache und es gab aller [sic] 2 Stunden ein wenig Unruhe. Der Mond nimmt ab, und der Engländer macht sich seltener. Wir hatten jetzt 2 Nächte Ruhe. Für Deinen lieben Boten von Sonntag sei recht sehr bedankt. Du schreibst von Alarm in der Chemnitzer Gegend. Es freut und beruhigt mich, daß Du umsichtig und vorsichtig sein willst. So dicht unterm Dache, wie unsere (so darf ich doch schreiben) Wohnung liegt, ist es in jeden Falle dann etwas unheimlich und die Höhe unsres Hauses betrachtet, ist der Keller ein guter Schutz. Das wirst auch der lieben Mutter beibringen. Daß ich vorsichtig bin, Herzliebes, habe ich Dir in meinem gestrigen Briefe versichert. Es sind etliche Gelegenheiten in unserem Dienst, bei denen man sich verletzen kann. Aber außer ein paar Rissen an der Hand ist Gottlob noch keinem ernstlich was geschehen. Ich stehe überdies zwischen zwei geschickten und vorsichtigen Kameraden.

Ich denke heute nach Kamenz, zu Dir, Geliebte! Wirst eben die Koffer packen. Du! Dein Koffer, Herzliebes— ich schrieb dir schon einmal davon — ist mir seit deinem ersten Besuch in Lichtenhain — ein Erlebnis, kein so wichtiges, aber doch ein Erlebnis. Wie schön, sauber und sorgfältig geordnet lag alles darin! Ganz ohne Absicht entdeckten es meine Augen. Wie reich und gut warst du mit allem versehen. Aber nun erst der Zauber selbst, der von den Dingen ausging, die da so peinlich verstaut waren. Mußt denken: zum ersten Male in seinen Leben empfing dein Hubo Damenbesuch, und dazu gleich die, die er sich daraufhin ansehen wollte, ob sie seine liebe Braut werden könnte, und dazu solch großes, stattliches Mädchen, Du! Wie mir da zumute war!! Da lagen nun die Schuhe für die Füßchen, die das Liebchen tragen. Da lagen die mancherlei Hüllen, in denen sich Dein Dickerle heute noch nicht ganz auskennt, und da waren die schönen, schönen Kleider, das strenge und ernste, das duftige und reizende, und da waren die Dinge, die ich überhaupt nicht schon durfte und die Du noch heute vor meinen Augen verbirgst. Wieviel Glück, wenn Du Dein Zauberköfferle auspacktest, um Dich für einige Stunden oder Tage häuslich einzurichten. Bei mir! Du!! Vorahnung für das Einrichten in unserem Heim!! Und wieviel Traurigkeit lag in der Stunde, da Du die ganze Herrlichkeit zusammensuchtest und zusammentrugst und der Zauberkoffer sich schloß. Herallerliebste, meine [Hilde]!! Denkst auch du noch der Zeit.

Über 14 Tage warst nun in Kamenz. Sie sind verronnen. Mit Riesenschritten geht es auf das Jahresende zu und ich weiß, Du freust Dich mit mir, wenn diese Tage der Trennung schnell verrinnen bis zur Stunde unsres Wiedersehens. Wollte heute eben schreiben, daß du Vater in Deinen Briefen gar nicht mehr erwähnt hast; aber gerade heute schreibst du von ihm. Bist auf meinen Brief von damals überhaupt nicht eingegangen. Gefreut habe ich mich aber ^doch,  daß mein Soldatenbild auf Mutters Nähtisch allenthalben Respekt eingeflößt hat, und daß Vater gleich, von schlechten Gewissen gerührt, davon gesprochen hat, daß Dir doch gar nichts geschähe. Besser konnte ich Dir nicht zu Hilfe kommen. Trotzdem hoffe und wünsche ich, daß Du Dich in meinen Elternhause wohl und geborgen gefühlt hast und daß Du daraus scheidest, um gern dort wieder einmal einzukehren. Wills Gott, daß nächste Mal mit mir, Geliebte! Dann sind wir wieder die Kinder, Du! Und gehören uns Kinderzimmer! Herzchen! Kinder dürfen auch mal unartig sein und Dummheiten vollführen, Du! Daß ist doch auch etwas für meine wilde, übermütige [Hilde]! Und Dickerle muß einfach mitmachen! Muß, ob er will oder nicht! Ob er wohl will? Du!

Herzallerliebste! Holde! Gott behüte dich! Reise glücklich! Grüße die lieben Eltern, in deren treuer Obhut ich mein Herz nun wieder weiß, wenn es auch von selber folgt und im richtigen Augenblicke auch nicht folgt! Liebste! Geliebte! Ich möchte so gern bei Dir sein! Bei Dir, Du! In Deinen Auge, in Deinen Armen, ein Deinen Herzen. In Deinen Herzen bin ich immer da ganz allein!! Daß weiß ich, Du! Ganz sicher! Ganz gewiß! Und bin dessen so froh und glücklich und dankbar! Lieben muß ich Dich, Du! Lieben ohne Ende! Lieben für alle Zeit! Du, meine geliebte [Hilde]! Mein liebes, teures Herz! Holde mein!!

Dein [Roland], ganz Dein!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946