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[OBF-401020-001-02]
Briefkorpus

Sonntag den 20. Oktober 1940.

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde], Du! Holde mein!

Ganz häuslich ist Dein Hubo heute. Zu Mittag hat er sich ein Bäuchel angegessen von Schweinebraten, Kartoffeln und Rotkraut. Dann ist er in den Duschraum gesprungen und hat ein Bad genommen. Splitternackt hat er sich unter dem Strahl der Brause getummelt und alle Körperteile mit dem lieben Naß bekannt gemacht, die in der Woche darin zu kurz kommen.

Dann hat er sich mit einer wohligen Mattigkeit auf sein Bettlein gestreckt — das Stübchen hat er schon vor dem Essen gefeuert — und nun fehlte nur noch eines zu einem erquickenden, süßen Mittagsschläfchen — der Kuß und die Nähe der Liebsten. Und er kam! Du! Welch schöne, liebe Stunde an diesem Sonntag! Dazu ein Päckchen mit Naschwerk von der Kantorei. Wenn ich es über mich bringe, bekommst auch noch was ab davon.

Holde! Geliebte! Sei tausendmal bedankt! Bedankt auch für das erlösende Wort, Du! Es geht mich eigentlich nichts an, Du! Aber ich freue mich ganz sehr mit Dir. Und es geht mich doch etwas an, bin doch Dein Gärtner, Du! Vielleicht hat es gerade an seiner Mühewaltung gefehlt. Weil nur nun alles in Ordnung geht! Bin ich nicht ein guter Rechenmeister? Ach Du! Er hat auch schon weiter gerechnet, und einstweilen will seine Rechnung noch gar nicht aufgehen. Besuchst mich vor dem 15. Nov., kann ich noch nicht versprechen, ob meine Vorbereitungen alle beendet sind. Besuchst mich hernach, kommen wir so weit hinein ins Jahr. Ach Liebste! Es wird sich ergeben. Und wir hoffen, daß alles gut wird.

Bist nun frei von einer Sorge und darfst erleichtert in Gottes Tag schauen, Du! 4 Uhr ist es. Kühl ist es draußen. Die Sonne verbreitet heute ein mattes fahles Licht. Ich will zu Haus bleiben heute. Wir sind nur noch 6 Mann auf der Stube. Gemütlich ist es nun und ungestört kann ich mit Dir plaudern. Nichts Besseres wußte ich, um diese Sonntagsstunden auszufüllen. Ich sehe Dich mit den Eltern, läufst neben ihnen her, sprichst mit ihnen — und bist doch halb abwesend, und die Bei[n]chen schlenkern ein wenig unfolgsam zur Seite, als könnten sie jeden Augenblick durchgehen mit meiner [Hilde], weit, weit, nach Norden, dorthin, wo das Ringlein weist von Deiner lieben Hand, zu seinem Bruder. Über den Berg geht Euer Weg. Dieser Berg, der den Blick freigibt in den hohen, weiten Norden, die Sehnsucht kann einer dort lernen, wenn er sie noch nicht kannte.

Und wenn Ihr dann Heimkommt, hast Du die Musik, die ich nun schon schon [sic] so lange entbehre. Verloren und verlassen wie ein Kind, das sich verlaufen hat, dringen ihre Töne zuweilen aus dem Qualm und Bierdunst der Kantine. Ohne zu werten: die Empfänglichkeit für die gute Musik scheidet die Menschen. Und die dafür empfänglich sind, wird man feststellen können, sind empfindsamer, empfindlicher, zarter besaitet. Der Mensch läßt sich wohl für diese Kunst erziehen. Aber ich glaube, die rohen Genüsse des Alkohols zumal machen den Menschen taub für die feineren Regungen im Reiche der Kunst. Dem scheint zu widersprechen, daß Betrunkene gern singen (aber der Gesang ist auch danach). Meist liebt man im Gasthaus eine Musik dicker Gemütlichkeit. Zum andern auch, daß etliche Komponisten handfeste Trinker waren. Also es wird wieder sichtbar: es ist undankbar, nach festen Regeln zu suchen, weil es keine gibt. Wichtiger ist, daß wir beide auch in diesem wichtigen Punkte zusammenpassen. Das wäre überhaupt einmal ein ergiebiges Thema, das ohne einen Schuß Humor und Übermut gar nicht abzuhandeln wäre, und bei dem ich auf Deine Mithilfe nicht verzichten könnte: In welchen Stücken wir zusammen passen, Du! Auf ein furchtbares oder überraschendes Ergebnis brauchen wir uns nicht zu spitzen, denn es ist schon bekannt: Geliebte, Holde! Gut passen wir zusammen. Gut? ist gar kein Wort dafür. Wir beide gehören zusammen, unzertrennlich für alle Zeit! Wir wissen es, wir glauben es, wir fühlen es! Du und ich. Keines mag mehr sein ohne das andere. Inbrünstig streben unsre Wesen zueinander, wollen einander durchdringen und verschmelzen — unser Kindlein, Du! Wer von uns beiden könnte dieses Glück verraten? Undenkbar!

Aber nun in die Einzelheit! In der Länge? Gut passen wir zusammen. Ein bißchen länger bin ich doch! Mußt aufschauen zu mir Herzliebes! Respektvoll? Das mag ich nicht, steht Dir auch nicht. Aber so wie auf Deinem Bilde, Du! mit Deinen großen, lieben tiefen Augen, weißt so verliebt, Du? Dann kann Dein Hubo nicht mehr geradeaus gucken, dann verzichtet er gern auf die 5 cm und läßt sich herab. Du weißt es nur zu gut, Schelm, süßer! Und es tut ihm auch nicht weh, sind ja nur 5 cm. So wie diese Länge im Ganzen uns zupasse kommt, so auch die Länge der einzelnen Teile. Ich denke an die Beine. Kannst Dich nicht herausreden und entschuldigen mit kurzen Beinen, mußt brav Schritt halten. Ich habe mich auch noch nicht beklagen können.

In der Armlänge bist ja reich bedacht worden. Ich fürchte mich nicht davor. Kann mich leichteren Gewissens einmal mit Dir häkeln und balgen, und Du kannst mir nicht vorwerfen, daß ich mit ungleichen Waffen kämpfe. Von der Länge mag ich nun nicht länger reden, es könnte verfänglich werden, meine Sachkenntnis reicht dazu auch nicht aus. Ich dachte eben nur an die Zunge.

In der Breite? Du weißt, woran ich da zuerst denke, an Dein mächtiges Rückenschild, Du Mannweib!, es ist mir ein wenig zu breit, Du, ist auch das Ding, das Dir den Vorsprung im nassen Element sichert, ja, ja! Aber ich habe mich schon damit ausgesöhnt, die Ausnahme, die zur Bestätigung jeder Regel gehört. Und für das Mannweib darfst mir einen anderen Kosenamen an den Kopf werfen.

Und nun zur dritten Dimension. Gut passen wir zusammen, meine ich. Der Vergleich ist nicht so einfach. Die Polster sind hier zu verschieden verteilt. Überhaupt verträgt das Verhältnis in dieser Dimension allerlei Schwankungen, ohne daß die Harmonie sogleich gestört wird. Man spricht auch vom dicken Köpfchen. Du spielst gerade in Deinem letzten Briefe davon darauf an. Ich freue mich auf das dicke Köpfchen, das durch die Wand will. Wenn ich dann bei Dir bin, bin ich die Wand. Liebste! Beiseiteschieben läßt sie sich nicht einfach. Und wenn auch keine Beulen, ein paar dicke Lippen wird sich das Köpfchen wohl holen, wenn es gar so stur vorwärts will! Aber ich will nicht prahlen mit meiner Kraft und will Dir meine Waffen nicht verraten. Du möchtest sie benutzen zur Abwehr meines dicken Köpfchens. Genug für heute mit diesem Thema. Dieser Bote soll Dich in Deiner Heimat erwarten und empfangen. Herzliebes! Daran muß ich denken, wie ich Deiner wartete auf dem Bahnhof in Dresden: voll seliger Freude, verhaltenen Jubel vermischt mit leisem Sorgen und Bangen. Wenn dann der Zug einfuhr — die Menschen sich zur Sperre wälzten, fremde gleichgültige Menschen — und Eine wußte ich darunter, die Vertraute meines Herzens, die Meine — und wenn ich dann Dich erblickte und unbemerkt Dir folgte — wie Dein Auge mich suchte — ein wenig scheu, ein wenig ängstlich, aber wach und gespannt von heißem Sehnen,— wie Du mich suchtest, Geliebte! ich werde es nie vergessen!! — und wenn dann unsre Hände zum Gruße sich umschlungen hielten, Du! Dann ging eine Tür auf, und schloß sich hinter uns: Die Tür zum Glück, zur Seligkeit des Zweiseins und doch Einsseins. So warte ich Deiner wieder, jetzt in Gedanken — wills Gott, recht bald in Wirklichkeit! Alles Gute wünsche ich Dir für Deine Reise, Liebes! Gott sei mit Dir auf allen Wegen! Er schenke Dir ein starkes Herze!

Dann weiß ich Dich wieder daheim, in Deinem Wirkungskreis, in Deiner Heimat; an dem Ort, da die Quelle unseres Glückes liegt; ich liebe ihn, liebe ihn doppelt darum, und bin froh, Dich dort zu wissen. Holde mein! Wohin wird Dich die nächste Riese führen? Näher und näher rückt unser Plan! Wir wollen Hoffen, und froh Gott vertrauen! Wie lieb und köstlich etwas ist, wir ermessen es erst, wenn wir es entbehren. Wir wußten es schon, als wir Abschied nehmen mußten, Geliebte! Aber nun aus der Ferne leuchtet es noch herrlicher, der Schatz Deiner Liebe, das Gold Deiner Treue, das Glück Deines Besitzes. Aus Deinen Augen leuchtet mir das gleiche, heiße Sehnen, zu meinem Glücke, zu meines Herzens Seligkeit! Laß Dich küssen, Liebste! Laß Dich herzen, Geliebte! Nimm an meinen Dank, meine Liebe, Du! Geliebtes Weib! Meine liebe [Hilde] Du! Holde mein! Ich liebe Dich aus ganzem Herzen, Dich allein, in Treue auf alle Zeit!

Dein [Roland]! Nur Dein!

Und Du bist mein! Holde! Mein!!

 

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946