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[OBF-401020-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 20. Oktober 1940

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde] Du! Holde mein!

Wohlbehalten bin ich aus Kiel zurück um dieselbe Stunde wie am vergangenen Sonnabend. Es war ein erlesener Tag gestern, gegen Mittag, sommerlich warm, ich habe geschwitzt auf dem Wege zum Autobus. Habe wieder eingekauft in Kiel, eine große Traube, Äpfel, Bücklinge, ein paar Kleinigkeiten für die Kameraden.

Am Bahnhof begegnete ich meinem Bettnachbarn H.. Mit ihm bin ich durch den Hafen gefahren. Interessant ist diese Fahrt. Die Schiffe zu sehen, Kriegsschiffe darunter, die ausgedehnten Werften, die Abwehrmaßnahmen. Alles hier um Kiel dient der Marine. Im Frieden mag dieses Bild noch großartiger sein. Gegen 5 kehrte ich von der Rundfahrt zurück. Genau am Bahnhof legen die Dampfer an. Ein Ansicht vom Hauptbahnhof hatte ich Dir wohl zugedacht. Gestern habe ich nun eine aufgetrieben. Von den Schäden der feindlichen Bomben ist so gut wie nichts zu sehen. An der Ufermauer umstanden viele Menschen ein großes Loch. Ich hielt es nicht für lohnend, mich dazuzustellen. In einer vom Angriff betroffenen Straße unterhielt ich mich mit einem Manne, der mich sogar in seinen Hof führte. Was ich von ihm erfuhr, erzähle ich Dir. Die Hauptsache: Menschenleben sind noch nirgends zu beklagen. Froh kehrte ich heim. Dein lieber Bote lag schon auf meinem Bettlein. Und als ich über diesem Tage die Hände faltete, durchströmte es mich warm von Liebe und Dank zu Dir, Geliebte, Holde mein! Ich bin noch ohne Sorge um Dich und warte geduldig und getrost auf das erlösende Wort. Fast, als sollte ein Kindlein kommen, Du! Voller Geheimnisse ist der Schoß des Weibes, ihm selbst ein Geheimnis. Um eines bitte ich Dich, Geliebte: Wenn Du einmal krank würdest, daß zu Sorgen anlaß ist, verbirg es mir nicht, rufe mich, mach es ein wenig schlimmer, als es ist, schicke ein Telegramm, damit ich kommen kann und nicht zu spät komme.

Eine Mordsgeschichte, die Du mir erzählst – sie klingt von hier so unwirklich – sie hat zu unsrer Welt der Empfindungen so wenig Beziehungen: Haß, Treubruch, Eifersucht. Geliebte, diese Gäste des Teufels lassen wir nicht in unser Haus. Ich kenne diesen jüngsten S. nicht. Ich mußte an den denken, den wir beide kennen. Liebste, ohne Eifersucht und ohne ihm wehtun zu wollen, sage ich: Hüte Dich vor ihm! Der Pfarrer sollte sie alle drei beerdigen, ohne irgendwie zu richten. Das ist auch meine Meinung. Er soll aus schwarz nicht weiß machen. Aber er hat hier ein seltenes Exempel für die Gewalt des Bösen, für die gottfeindlichen und gottfremden Mächte, für ein furchtbares Gottesgericht, aus dem menschliche Ohnmacht und Schwachheit ebenso sichtbar wird wie Gottes Hand, zur Lehre für jedermann, zu einer Predigt von seltener Eindringlichkeit. Als Du so allein warst am Donnerstag und meiner dachtest, befanden wir uns auf dem Rückmarsch vom Scharfschießen in Holtenau. Das Buch, das Dir Elfriede gab, ist nicht das gesuchte. Ist auch gut so. Diesen Roman lesen wir, wenn wir froh wieder miteinander sind, allein machst [Du] Dir zuviel Gedanken darüber, und ich kann Dir nicht helfen sie [zu] ordnen.

Herzallerliebste! Heut abend will ich noch einmal Deiner schreibend denken, aber nun schon in die andre Richtung, Du! Nach O., nach Deiner, unsrer Heimat, nach unserem Kämmerlein, Holde! Verlebe noch ein paar frohe Tage und Stunden in meinem Elternhause. Laß Dir noch recht viel Süßes träumen in meinem Bettlein! Schone Dich recht! Halte Dich schön warm! Rege Dich nicht unnötig auf! Bleibe stark Herzliebes! Es schmerzt wohl, aber desto schöner wird die Erfüllung sein, auf die wir beide sehnlich warten und hoffen. Behüte Dich Gott! Er helfe Dir gnädig durch alle schwachen Stunden! Sei froh, Herzallerliebste! Ich bin Dein [Roland], nur Dein [Roland] für alle Zeit! Ich mag nur Dir gehören. Du bist meine Heimat, mein Glück, mein Leben! Ich lasse Dich nie und nimmer!

Ich küsse Dich, Du! Ich herze Dich, Geliebte! Ich liebe Dich über alles, Holde! In unwandelbarer Treue bleibe ich Dein [Roland].

Und Du bist meine [Hilde]! Meine Holde! Du!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946