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[OBF-401017-002-01]
Briefkorpus

Donnerstag, am 17. Oktober 1940 in Kamenz.

Herzallerliebster! Du mein geliebter, guter [Roland]!

Eben habe ich meine Hausarbeit beendet. Die Wohnstubenuhr schlägt 2 Uhr. Das Radio bringt den Wehrmachtbericht, den höre ich so nebenbei mit an, dann soll es ganz still um mich sein. Deine lieben Briefe habe ich nummeriert, es sind nun schon wieder 34, Du! In 14 Tagen ist Deine Ausbildung zu Ende, hoffentlich wird diesmal der Termin nicht wieder geändert. Ich habe ja doch nun auch so meine Pläne für mich Du, und es geht auch mich etwas an, was man mit Euch vor hat. Am 31. Oktober, zum Reformationsfest. Da bin ich wieder in Oberfrohna daheim. Und dann wird der November kommen. Ob er viel glückliche Tage für Dich und mich birgt? Du! Wie so gern wüßte ich's! Wir wollen geduldig sein, hoffen, Du! Herzliebster! Ich bin heute ganz allein in der Wohnung, bis heute abend um 6. Wenn Du mich nicht am Nachmittag besuchen kommst, ich würde mich so freue! Früh kamst Du heute noch nicht zu mir. Ich will Dir erzählen: Vater und Mutter sind nach Großröhrsdorf zur Beerdigung gefahren. Ich bin aus dem Grunde zu Haus, weil Tante Gretchen für 4 Wochen die Hausdame eines Dr. L. in Großr. [sic] vertritt — sie hat noch keine Feuerung, darum nahm sie das Angebot an und ich wüßte ja sonst nicht, wo ich mich den ganzen Nachmittag aufhalten sollte. Bei R.s? Nein. Da bin ich nicht mal für mich. Ich will viel lieber mit Dir allein sein, Du! Ich bin eigentlich froh, daß es so kam.

Du kennst gewiß den jüngsten Sohn von S.s?

Er hat in Großröhrsdorf den Bahnhof. Ist verheiratet, hat ein Söhnchen von 4 Jahren. Er ist zur Zeit beim Militär gewesen. Ganz in der Nähe, ich glaube in Grimma. Kurz, er war 3 Wochen auf Urlaub da und sollte vergangenen Montag wieder eintreffen.

In der Nacht zum Montag erschoß er seine Frau, sein Kind und zuletzt sich selbst. Eine furchtbare Tragödie.

S.s waren ganz außer sich. Der Grund zur Tat soll Eifersucht sein. Wir erfuhren von S.s so allerlei. Sie ist nicht nett zu ihrem Mann und Schwiegereltern gewesen, von jeher. Nun er eingezogen war, hat sie in ihrer eignen Gastwirtschaft einen Mann kennen gelernt, der angeblich 'besser' dasteht, als ihr eigener Mann; der sie heiraten wollte. Wer weiß, was alles noch zwischen ihnen vorgekommen ist, sie soll ein Kind erwarten. Von wem? Sie hat in den Tagen, da ihr Mann auf Urlaub da war, Streit mit ihm gehabt, hat die Scheidung beantragt. Er wollte sie nicht frei geben, ihr auch das Kind nicht lassen. Um das Kind ging es in der Hauptsache. Und nun hat er sich zu dieser furchtbaren Tat hinreißen lassen. Daß 'sie' ein Kind trägt, haben S.s garnicht der Staatsanwaltschaft angegeben, sonst hätte sich das Ganze wohl noch mehr verstrickt. [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

Es ist schrecklich, das alles zu hören. Herr S. ist ganz gebrochen. Und sie, wer weiß überwindet sie den schweren Schlag. Nun will der Pfarrer in Großröhrsdorf (nicht L.) bei der Trauerfeier und auch beim Geläut den Sohn S.s ausschließen. Er wäre nicht Selbstmörder, sondern Mörder.

Das ist nun unbegreiflich für die Eltern. Ich kann es ihnen nachfühlen. So hart sollte man über einen Toten nicht richten. Als Pfarrer sollte er das auch nicht, es ist nicht gut. Es gibt so viele Sprüche in der heiligen Schrift, die darauf hinweisen, wie z. B. Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet u.s.w. Es ist dann kein Wunder, wenn so viele aus der Kirche austreten. Man weiß ja, wie gerade auf diese äußeren Dinge geachtet wird unter den Leuten.

Herr S. ist sofort zum hiesigen Superindentenden gegangen, er will mit dem dortigen Pfarrer Rücksprache nehmen.

Die ganze Stadt ist voll von dieser Schreckenstat. Und wie Tante Gretchen schreibt, Großröhrsdorf erst recht.

Wir haben S.s in diesen Tagen beigestanden, so gut wir konnten. Mutter versorgte die Gänge aufs Rathaus, wegen Bezugschein zur Anschaffung von Trauerkleidern. Kaufte verschiedene Sachen für sie ein, sie ist ja ganz kopflos. Ich habe ihr ein Kleid geändert. Gekocht haben wir bei uns für die Männer. Sie stehen doch noch mitten in der Kartoffelernte, haben auch noch Freunde als Helfer da.

Zu der Druckerei waren wir, an den Kranz kommen doch die großen, bedruckten Schleifen, weißt? Ach so vielerlei gibt es da zu versorgen. Und Herr S. muß immer weiter, seine Arbeit läßt ihn nicht eine Stunde ruhen. Es ist zu bedauerlich.

Lieber [Roland]! Rege Dich aber bitte nicht auf, über das alles, Du! Ich wollte Dir anfangs garnichts davon schreiben, aber nun habe ichs doch nicht übers Herz gebracht.

Ich will Dir nun noch etwas Frohes erzählen. Von Deinen Brüdern. Hellmuth schrieb gestern, er ist noch in Röstfelde und wir haben umsonst gebangt, daß er nach Rumänien mit einmarschiert ist. Wir nahmen das schon in Großdehsa an, weil er nicht schrieb. Übrigens, was sagst Du eigentlich zu dem neuesten politischen Errungenschaften? Wie ich das hörte, am Sonntag, war ich platt! Denke nur, Hellmuth bekam von Schibock, von der Partei ein Liebespäckchen!! Pfeifentabak, Backpflaumen, und Postkarten, alles Dinge, die Hellmuth besonders gern mag! Mutter will ihm wenigstens noch eine Meerschaumpfeife schicken. Haben wir gelacht!

Sonst geht's ihm noch gut, nur sehr langweilig ist es ihm. Siegfried ist der fleißigste Schreiber! Vaters Liebling!!

Bei ihm hat sich sonst nichts geändert bisher. Weißt Du schon von der Fahrt nach Hamburg? Wo sie am Zuge lang klettern mußten bei Nacht? Es würden sich bei ihm langsam Kriegsleiden einstellen. Er hat das Reißen. Vater hat er einen entzückenden Pullover geschickt, wie ein 20 Jähriger sieht er darin aus!!

Schade, daß Du da nichts Raffiniertes kaufen kannst. Und ich habe immer gedacht, da oben an der See, wo Allerweltsbetrieb ist, würden sie mit dem Neuesten aufwarten. Na ja, da geht man ja im Sommer, wenn die Fremden da sind, mehr oder weniger nackt, nicht wahr? Mußt gut Obacht geben, ob das stimmt, Du! Na und im Winter, da zieht man halt das an, was man hat. Wenn ich Dich besuche, muß ich wohl nicht fürchten, ich falle auf in meiner sächsischen Garderobe? Du! Einen Fahrplan hast Du schon?

Ach, ich habe mit soviel Vergnügen und heimlicher Freude Deine beiden letzten Briefe gelesen. Immer wieder, Du! Überhaupt, ich lese jeden Abend vor[’]m Einschlafen in Deinen Briefen, Du! Dann träume ich so schön hinüber in den Schlaf mit Dir, mein [Roland]! Ich sehe Dich dann ganz, ganz deutlich vor mir, Dein Wesen, Du! Und ich denke voller Liebe und Sehnsucht Dein. Ich bin so glücklich, daß Du mein bist! Du, ich will Dich nicht anders, als Du bist, Herzallerliebster! Hörst du mich?

Aber ein freundliches Gesicht selbst Du außetzen [sic], Du! Auch wenn Du mir fern bist! Hörst Du auch, Du!? Du bist doch froh und glücklich mit mir? Die Kameraden denken doch sonst Wunder, was Du für [’]ne alle Frau haben mußt, u. die gucken mich womöglich alle schief an, wenn sie mich mal sehn! Mutter u. Vater sagen auch immer, wenn sie vor Deinem Bild an Nähtisch sitzen: “Hu Großer! Was hab[’] ich aber Dir getan? Wir behandeln doch Deine [Hilde] so gut, brauchst garnicht [sic] so böse gucken!”

Aber ich weißes ja, Du! Du! Mein [Roland]! Wie Deine lieben Augen leuchten können, wie Dein Lächeln das ganze liebe Gesicht überstrahlt! Und ich könnte Dich dann in dem Augenblick gleich fressen, Du! Vor lauter Liebe! Mein lieber, guter [Roland]! Du! Heute will ich nun schließen. Lieber [Roland]! Ich habe Elfriede gefragt um das Buch, das wir suchten; dessen Titel ich aber nicht weiß. Sie gab mir eines, was Dir gehört: “Amor Dei”! Kolbenheyer, eine Spinozaroman. Ist das etwa das schöne Buch, was wir zusammen lesen wollten? Ich will noch [ein] Stück über den Berg gehen, mich in die liebe Sonne setzen und Deiner deken, mein Roland!

Ich fühle mich garnicht sehr wohl. Ich bin so sehr matt.

Es wird alles gut werden, Du! Nicht sorgen, Du! Bitte, Liebster!

Mein [Roland]! Ich bin ganz Dein, in alle Ewigkeit.

Behalte mich lieb, Du! Behüte Dich Gott!

Ich liebe Dich! Mein [Roland]! In Treue immerdar

Deine Holde.

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946