
Mittwoch den 16. Oktober 1940
Mein liebes, teures Herz! Du meine liebe, liebe [Hilde]! Geliebte!
Es ist heut[e] Mittag noch mal zum Draußensitzen. Ganz allein bin ich für mich und kann ungestört mit Dir plauschen. Wirst [Du] jetzt Dein Köpfchen in[’]s Kissen drücken zur Mittagsruhe? Ziehst [Du] auch immer brav Dein Kleidchen aus dabei, damit es nicht zerknittert wird? Ach Du! Schon schreiben wir den Oktober wieder zweistellig. Vor drei Wochen noch schien das eine so endlose Spanne Zeit! Und nicht lange, schreiben wir dasselbe Datum im November. Heut[e] sind wir alle noch ganz müde. Die Engländer brachten uns um die Hälfte der Nachtruhe. Sie flogen von 10 Uhr an einzeln ein und drückten sich hier herum, von einem Flaknest zum ander[e]n gejagt, wie ein Gewitter, das nicht hinausfindet. Gewieß war Kiel das Ziel ihres Angriffes. Aber dahin einkommen ist nicht so leicht. Bis gegen 3 Uhr hat es gerumpelt und geballert, einmal fern, dann wieder in der Nähe. Solange die Nächste so hell sind, ist mit diesem Besuch zu rechnen.
Der Dienst heute ist nicht anstrengend. Nun bist [Du] wieder eingelaufen im Hafen der Heimat II. Ihr seid also am Sonntag bis zum S. gestiegen. Ein ganz ordentlicher Spazierweg. Ob am Vormittag oder Nachmittag war nicht zu erkennen. Aus den Zeilen Deiner beiden Begleiterinnen entnehme ich, daß Ihr Euch gut verstanden habt. Es stand da auch etwas zu lesen, von Durchdenkakaoziehen. Na, ich habe da kaum etwas zu fürchten, brav war ich immer. Und so gut wie Du kennt mich ja sonst niemand außer meiner Mutter und meinem Bruder Hellmuth, und die beiden auch nur in gewissen Dingen. Wie lieb wir einander haben, Du, das wissen nur wir zwei! Das zeigen wir auch sonst niemandem! Ich weiß es nicht, aber ich glaube, sie ahnen es nicht, wie lieb wir uns sind, am ehesten noch Deine liebe Mutter. Von ihr erhielt ich heute mit der ersten Post einen Brief als Antwort auf den Brief, den ich Deinem Vater in seiner Strohwitwerzeit schickte. Sie erzählt mir, was ich schon weiß von Dir vom K.er Besuch. Von O. berichtet sie nichts Neues.
Morgen Donnerstag fahren wir zum Scharfschießen nach Holtenau. Holtenau liegt dicht vor Kiel. In Holtenau tritt der Nord-Ostseekanal in die Kieler Förde. Er wird dort von einer mächtigen Hochbrücke überspannt. Verflossene Woche haben wir schon vorgeübt mit Platzpatronen. Die Übungen, die wir morgen schießen, heißen in der Militärsprache „am Anstand sitzend” (eine Vorübung, die nicht gewertet wird) und „knieend an Freihändig”. Wenn ich gut geschossen habe, schreibe ich Dir mein Ergebnis.

Herzallerliebste! Genug für heute. Einen Brief an Deine Eltern habe ich eben fertig geschrieben. Gleich will ich noch mein Koppelzeug für morgen klar machen, den Brotbeutel und die Flasche anhängen. Das sind so Soldatensorgen, die ich nun teilen muß, ob ich will oder nicht. Ein kleines Bildchen kann ich Dir wieder beilegen, aufgenommen im Exerzierdienst. Diese Bildchen mußt [Du] alle mitbringen, wenn Du mich besuchst, dann erkläre ich Dir Umstände und Namen, wenn uns dafür Zeit bleibt, Du!
Herzallerliebste! Wenn ich nicht schlafen kann, und morgens ein Stündchen vor[’]m Wecken, dann muß ich Dein denken! Du! Dann bist Du mir ganz nahe, Herzliebes, dann denke ich an unser Wiedersehen, denke der seligen Stunden, da wir einander ganz gehörten und so lieb hatten, denke dieser Stunden mit der heißen Hoffnung und Zuversicht, daß sie uns recht bald wieder beschieden sind. Behüt Dich Gott! Geliebte! Dein liebes Köpfchen halte ich in meinen Händen, ganz ganz leis und behutsam und herzinnig küsse ich Dich, Du, über alles Geliebte! Meine liebe, liebste [Hilde]!