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[OBF-401015-001-01]
Briefkorpus

Dienstag den 15. Oktober 1940

Herzallerliebste! Meine liebe, liebe [Hilde], Du!

Der Admiralbesuch heute hat richtig den ganzen Kalendar in Unordnung gebracht. Der Dienstplan wurde umgestoßen. Von 9 Uhr an verwandelten sich die Matrosen mit Gewehr und Seitengewehr in Kehrfrauen, Scheuerweiber, Straßenkehrer. Das ganze Lager wurde auf den Kopf gestellt.

Die Mittagspause fiel aus. ¼ 2 Uhr stand alles in Wichs und Gala auf dem Hof angetreten. Gestrenge Blicke musterten uns vom Scheitel bis zur Zeh. Mit der Schnur wurde ausgerichtet. Und dann wartete alles, was im Lager Menschenantlitz trägt des hohen Besuchs. Flacky, der Kompaniehund, mußte vom Platz getragen werden, sonst wäre er nicht gewichen. Nun kamen die Hohen Herren: der körperlich kleinste im Rang der höchste. Er schritt die Front ab, besuchte das uns gegenüberliegende Haus und dampfte wieder ab mit den Herren des Stabes. Das ganze Schauspiel dauerte kaum 10 Minuten. „Die Begrüßung war gut", verkündete der Leutnant, und nun war Feierabend. Geschlossen im Zuge besichtigten wir die uns zunächst gelegene Batterie Marienfelde, deren Ballern uns nun schon vertraut ist. Wir bekommen einen Einblick in den Organismus einer so kleinen Batterie, mit Staunen erkannten wir, welch riesenhafte Mittel zu unsrer Verteidigung in ganz Deutschland eingesetzt sein mögen. ½ 5 Uhr Dienstschluß. Die Sonne ließ noch einmal an einen Sommertag erinnern. Sauber lag die Kaserne, sauber unser So Anzug, Sonntag konnte man glauben.

Ich nüzte die Gelegenheit, dem V Lagertor für das Stündchen eines Spaziergangs durch die herbstliche Flur den Rücken zu kehren. Deine Bilder steckte ich zu mir. Ich holte mir eine Urlaubskarte und zog los. Vor dem Tor gesellte sich Flacky zu mir. Ich wurde ihn nicht los. Und so gingen wir zu zweien. Das Tacken der Trecker erfüllte störend den Frieden des abendlichen Landes. Flacky ging brav an meiner Seite den ganzen Weg. Als ich mein kleines Album hervorzog sah er mit großen Augen schnuppernd zu mir auf. Sonntag, so konnte es scheinen. Aber zu einem rechten Sonnentag fehlte die Eine an meiner Seite. Verloren scheinen mir alle Feierstunden ohne Dich, Herzliebes! 2 Päckchen erhielt ich heute von Dir. Hab vielen Dank! Das nächste sende ich wieder nach Oberfrohna. Vielleicht kommt heute abend noch Dein lieber Bote, vielleicht! Du fragst, wie ich meine Abendfreizeit hinbringe. Sie schwankt zwischen 6/7 Uhr und 9 Uhr. Um 6 Uhr wird normalerweise gegessen. Mit dem kleinen Abendspaziergang wird es 7, ½ 8 Uhr — und dann? Herzliebes, dann setze ich mich hin, mit Dir zu plaudern. So ist es also an günstigen Tagen. An ungünstigen verkürzt sich diese Zeit um eine halbe, manchmal um eine ganze Stunde. Um 9 Uhr rüstet der Stubendienst zur Abendrunde. Das Zimmer wird gekehrt, gelüftet. Dann ist es vorbei mit der Ruhe zum Schreiben. Dann kann man den Hubo sich mit Briefblock und Bleistift sich in den beleuchteten Treppenflur stehlen sehen: Er hat den Gruß an die Geliebte noch nicht fertig. Meist fehlt ihm dann noch der Schl[uß], über dem er gewöhnlich etwas länger sitzt! Du! Herzliebes! Eben komme ich aus der Kantine. Die Nachrichten habe ich angehört. Sitzt Du wohl schon wieder in Kamenz? Ein Kartengruß liegt auf dem Tisch, ein Sonnenstrahl, Du! Hab vielen Dank. Hast nun ohne mich die Gegend gesehen, die viele Jahre den Hintergrund und die Umgebung meines Erlebens bildete, und die ich oft durchstreifte und die mir lieb wurde. Du weißt, Großpostwitz war 6 Jahre meine zweite Heimat und Herr Oberlehrer K. hat mich auf manchen seiner Streifzüge mitgenommen. Und ich ging mit. Manchmal ungern zunächst. Diese Streifzüge brachten Gewinn und Entspannung nur nach einer Seite. Und sonst hatte ich niemand. Du! Wie oft habe ich meine Sehnsucht getragen über die weiten Straßen, in die Bergwälder. Eine andere Landschaft habe ich lieb gewonnen, die ich mit denselben Gefühlen durchmaß, die ich liebgewann mit ihrer Weite, und die ich nun noch viel lieber gewann, weil dort die Wiege steht, des Menschenkindes, das die Erfüllung meiner Sehnsüchte brachte, Erfüllung der schier unerfüllbaren Wünsche. Ach Du, Geliebte, wirklich lieb habe ich Deine Heimat, aber Dich noch viel, viel lieber!

Nun vergiß bitte nicht, mir noch rechtzeitig Deine Heimkehr mitzuteilen! Ich weiß nicht recht, wo sich mein Photoapparat aufhält. Ist er in Kamenz, so könntest ihn an Dich nehmen. Vielleicht, daß Du ihn mir dann mal mitbringen kannst, aber nur, wenn Du ihn noch fortbringst.

Mein liebes, teures Herz! Ich komme nun zum Schluß für heute. Ich möchte Dich in Deinen bösen Tagen so gern umgeben mit meiner Zärtlichkeit, wie ich es so verstehe, Dein Hubo, Dein Dickerle, Dein Dummerle! Sag, tut sie Dir ein wenig wohl? Nur ein weniger von dem, wie es mir wohl tut, wenn ich bei Dir sein kann, wenn Du mir über den Kopf streichelst oder ich in Deinem Schoße ausruhen kann? Herzallerliebste! Ich denke Deiner aus liebenden Herzen! Behüte Dich Gott auf allen Wegen! Erhalte er Dich froh und gesund!

Ich bin bei Dir, Herzallerliebste, immer, mit meiner ganzen Liebe und Sehnsucht! Ich küsse Dich, Du, ganz leis und behutsam heute, armes Liebes! Ich harre treulich Dein, harre treulich Dein! Herzliebes, meine liebe, liebe [Hilde], Du! Holde! Geliebte!

Ich bin ganz Dein [Roland]. Und Du bist mein, ganz mein!!

Du!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946