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[OBF-401013-001-02]
Briefkorpus

Sonntag den 13. Oktober 1940

Herzallerliebste! Meine liebe, liebe [Hilde], Du!

Ruhetag ist nun Heute. Ein Teil unsrer Belegschaft ist wieder ausgeflogen, die meisten nach Kiel. Nun wird es erst gemütlich in der Bude. Viel Platz ist an der langen Tafel. Stille ist. Jeder ist mit sich beschäftigt. Im Ofen brummelt das Feuer. Der Himmel ist verhangen, ein wenig frischer ist es als Gestern. Mittag ist vorbei. Eben war ich drüben zum Postempfang. Ich war so voll Erwartung. Dein Bote kommt so unregelmäßig jetzt, Herzliebes! Gestern kam er nicht. Vielleicht kommt er heute abend. Ich könnte mich ein wenig niederlegen, aber ich bin nicht müde heute, habe nach der anstrengenden Stadtreise gut geschlafen. Und nun weiß ich nichts Besseres, als mit Dir zu plauschen, Holde! Ich habe Schreibschulden nach verschiedenen Seiten, ich mag nur mit Dir plaudern, Du! Ein wenig klingt das Stadterlebnis noch in mir nach. Menschen in Zivil, so viel beisammen! Noch nicht lange, gehörte ich zu ihnen, zu den glücklichen. Und ich so fremd und verlassen unter ihnen. Du, die Sehnsucht nach Dir, Geliebte, ist nun so mächtig in mir! Geliebte! Holde! Meine liebe [Hilde]! Wenn nur erst Dein lieber Bote wieder kommt! Ach Du! Jetzt strecke ich mich doch erst ein Stündchen auf mein Lager. Dein Bild will ich betrachten, in Deinen Briefen will ich lesen und dann will ich hier hinüber träumen zu Dir, Geliebte, an Dein Herz, in Deine Holde, beseligende Nähe! Du! Du! –

So, jetzt melde ich mich wieder. Eben drückte ich mich in mein hartes Kissen, da kam Besuch, der Hauptgefreite R. aus Oberfrohna. Ich hatte ihn ja längst vergessen, und freute mich nun doch ein wenig. Ich glaube, so pfiffig wie sein Gesicht ist auch der Kerl; paßt auf alle Kanten und kann sich mit jedermann gemein machen. Er war bald mit der ganzen Stube im Gespräch. Man hört immer gern jemanden erzählen, von dem man denkt, er weiß etwas mehr. R. war erst in der Batterie Marienfelde, 500m von uns an der Ostsee gelegen. Jetzt arbeit er bei der höheren Dienststelle, der Abteilung, die liegt in bei Kiel. Ja, nun war es aus mit dem Träumen. Er forderte mich auf, mal mit nach Marienfelde zu gehen, er wollte dort alte Bekannte aufsuchen. Ich ging ganz gern mit, um mich dort einmal umzusehen. Der Schreiber dort haust nicht ganz schlecht. Er war ein älterer, sympathischer Mensch aus dem Rheinland. Aus der Unterhaltung erfuhr ich einiges von dem Betrieb und der Verflochtenehit in der Laufbahn, in die wir nun bald hineinrutschen sollen. Als ich wieder heimkehrte, hätte ich nun allerlei Hoffnung[en] und Erwartungen guter und böser Art sagen können, aber sie wurden beiseitegeschoben von der festen Zuversicht und Gewißheit, daß Gott uns schicken wird zu unserem Besten, Herzallerliebste, Dir und mir! Nein, ein anderes Wort, das in der Unterhaltung so nebenhin fiel und das ist in verschiedenen Abhandlungen jetzt öfter hören mußte, beschäftigte mich mehr: „Wer nicht raucht und trinkt, ist nur ein halber Mann.“  Du, was sagst Du dazu? Das allein ist mir wichtig. Ein halber Mann mag ich ja nicht sein. Aber ich glaube auch nicht, das [sic] erst die beiden Untugenden den Mann machen sollen. Und ich denke wenn ich ohne sie auch kein Mann bin nach den allgemeinen Begriffen, so kann ich doch trotzdem Dein Mann sein, und mehr mag ich nicht. Du! Geliebte! Mein liebes Weib! Weißt, ich kümmerte mich in vielen Lagen schon nicht darum, was die Leute sagen, fragte nicht nach den üblichen Meinungen, sondern folgte lieber meinem Gefühl und bildete mir selbst ein Urteil, und dabei bin ich bisher immer gut gefahren, und wie ich Dich kenne, hältst Du es auch so.

Ja, Herzliebes! Nun ist der Bogen schon wieder gefüllt. Wieder geht ein Sonntag zu Ende. Wie wirst Du ihn verlebt haben? Was gäbe ich darum, Eurem Frauentrio— ich denke jetzt nur an die jungen – einmal unsichtbarer Beobachter zu sein! Zu sehen, wie Dein Wesen sich absetzt von dem der beiden anderen, was in Euren Köpfen und Sinnen und Herzen sich bewegte. Das eine weiß ich, daß bei allem mein Bild Dir vor Augen stand. Elfriede ist ein gutes, liebes Mädel. Bei ihr ist zu der nordischen Herbheit der Mutter das gemütvolle Wesen des Vaters getreten. Bei Lieselotte bin ich nie warm geworden, aus ihr bin ich nicht klug geworden, obwohl ich nicht zweifle, daß sie ein gutes Mädchen ist. Ich bin gespannt, welchen Eindruck alles auf Dich machte.

Herzliebes, weißt was ich gestern in Kiel kaufte? Einen Fahrplan. An sich ein simples, belangloses Ding. Darin blättere ich, wenn zuviel Krach ist und keine Andacht zum Schreiben. Dann sehen mich die Kameraden über den Zahlen sitzen und denken vielleicht, was für ein doofer Bruder!, und ahnen nicht, welch zarte Hoffinungen und Empfindungen sich um die dürren Zahlen ranken, Geliebte mein! 

Nun weiß ich heute nicht viel Neues mehr. Mögen Dir die Karten ein wenig Freude machen. Auf der einen hat der Schreiber R. einen Gruß vermerkt. Wenn ich Dein Wäschepäckchen erhalte, schicke ich ein neues ab und lege ihm Seifenpulver bei, das uns zugeteilt wird.

Nichts Neues weiß ich mehr, sage ich. Das heißt nicht, das [sic] ich mir nun alles vom Herzen geschrieben habe. Meine liebe [Hilde]! Was das Herz noch bewegt, immer bewegt, das kann ich Dir nicht nicht [sic] schreiben, das bleibt unausgesprochen, Herzliebes, unausgesprochen zwischen Dir und mir! Das müssen wir aufheben. Ach Liebste! Ich denke manchmal, wir müssen ertrinken dann in dem Meer, in dem Meer Deiner Liebe, Du, und – ich will bescheiden sein und mit dem Sänger sprechen – dem Bächlein meiner Liebe. Behüte Dich Gott, Herzallerliebste mein! Er schenke Dir ein starkes geduldiges Herz! 

Ich denke Dein, immer nur Dein, in großer Dankbarkeit, in großer Liebe, in umwandelbarer Treue, Du mein Schützling, Geliebte, meine liebe Frau, mein teures Weib, meine liebe [Hilde]! Holde!

Dein [Roland], nur Dein! Und Du bist mein!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946