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[OBF-401013-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 13. Oktober 1940

Herzallerliebste! Mein liebe, liebe [Hilde], Du!

Zurück bin ich aus der großen Stadt. Und nun drängt es mich, Dir zu erzählen, auch wenn es nichts Bedeutsames ist, Du sollst ja doch alles mit erleben. In großer Hast ging es fort. Wir mußten am Vormittag noch Koks abladen. Kaum, daß wir Zeit hatten, den gröbsten Dreck wegzuwischen, ging schon der Lastwagen, den die Militärverwaltung sonnabends stellt. So ungern ich dieses Vehikel benutze, man spart [eine] ½ Stunde [des] Weges bis zum nächsten Autobus. Na, wir kamen auch etwas verquetscht, aber mit gesunden Gliedern drin an. Heimwärts habe ich den Autobus benutzt. Ich hatte mich mit dem Koffer bewaffnet, um etwas Obstliches einzukaufen. Die gewichtigsten Einkäufe habe ich denn auch gleich getätigt: 5 ℔ Äpfel, eine mächtige blaue Weintraube, die hätte ich gern mit Dir gegessen! Der Vollständigkeit halber sei erwähnt eine Flasche Wasserstoff als vorbeugendes Mittel. Den ich damals von Hause mitnahm, war genau nach Deiner lieben Mutter Weissagung in die Luft gegangen und hatte sich mit den anderen Dingen eng vermählt. Meiner Last entledigte ich mich nun nach der bekannten Weise: Handgepäck Hauptbahnhof. Mit mir fuhren 4 Kameraden aus meiner Stube. Die hängte ich bei dieser Gelegenheit ab, ich wollte gern für mich sein. Nun bin ich durch die Stadt geschlumpert, richtig geschlumpert. Ich glaube, alle Leute haben gesehen, daß ich irgendwie im Stiche gelassen wurde, Du! Zunächst etwas befangen: Fleißig grüßen, tüchtig aufpassen und nach den Rängen schauen. Dazu auch ein wenig beklommen in meiner Uniform. Die Stiefel waren vom Vormittag so naß, daß sie nicht eine Spur Glanz hatten, und die Uniform ist auch nicht mehr die schönste. Na, das alles verlor sich bald. Ich habe dann erst einmal einen Friseur aufgesucht. Die Stadt Kiel. Ihre Größe entspricht etwa der von Chemnitz. Wenn man den Hafen nicht sieht, der natürlich eine Welt für sich bedeutet, so hält Kiel einem Vergleich mit Chemnitz nicht stand. Der Stadtkern (Luftaufnahme) ist klein, die Stadt verliert sich und erstreckt sich der Förde entlang. Repräsentative Gebäude sind einzig das Rathaus mit dem Opernhaus daneben, nicht so schön wie in Chemnitz. Das Opernhaus ist ein Backsteinbau und wirkt schon deshalb furchtbar nüchtern. Die Kirchen sind unbedeutend. Ich glaube, Kiel ist eine der jüngsten Großstädte. Die verkehrsreichste Geschäftsstraße ist die Holstenstraße mit etlichen größeren Geschäften, ziemlich schmal.

Schaufenster habe ich beguckt. Vielleicht haben sich manche gewundert, wenn ich vor Schmuckläden, Möbelläden, Putz- u. Modeläden länger stehen blieb. Das habe ich von Dir gelernt und interessiert mich, seit wir dabei sind, uns einzurichten, Herzliebes! Dabei wurde ich nun wieder zum Vergleichen angeregt. In Konfektionshäusern hat Chemnitz viel mehr los. Nicht ein Pelzgeschäft habe ich gesehen. Ein gutes Möbelgeschäft, ein Fenster mit Daunendecken, eines mit Morgenröcken, dabei habe ich ein wenig länger geguckt. Bei einem hübschen blauen Morgenrock wurde ich daran erinnert, daß ich Dich so gern in Blau sehe, Herzliebes. Unterdes hatte ich mir die Beine müde gelaufen und der Morgen meldete sich. In meiner Verlegenheit kaufte ich mir einen Beutel Studentenfutter, schlug mich in die Büsche am Rathaus und fühlte mich bei Mandeln und Nüssen wie ein Eichhörnchen. Dann zog es mich zum Bahnhof, dort habe ich lange gestanden, in Fahrplänen studiert, wie ich Dich zu mir holen könnte. Urlaub hatte ich bis 24 Uhr. Erst hatte ich vor, ins Kino zu gehen. Keiner der laufenden Filme sagte mir zu. Vor den Kinos standen die Menschen Schlange. So beschloß ich bei mir, schon eher, ½ 8 Uhr, zurückzufahren. Noch einen kurzen Bummel durch die Straßen. Da stieß ich auf die Kameraden. Sie luden mich ein zu einem Schoppen im Ratskeller. Das war mir recht, vor allem auch, um ein wenig auszuruhen. Kamerad Hengst ist für etwas Gutes, das gefällt mir. Wir genehmigten zu dritt ein Flasche guten Mosel, und leerten das erste Glas auf das Wohl unsrer Frauen. Auf wessen Vorschlag wohl? Kurz nach 7 gab es auch etwas zu essen, ein Brot mit fischernen Gabelbissen. Die Kameraden wollten mich überreden zu bleiben, ich blieb jedoch bei meinem Vorsatz. Eines habe ich noch vergessen in meinem Bericht: Ich habe auch nach den Menschen geschaut, nach Mädchen und Frauen. Weißt, wo ich die schönste fand? Im Fenster eines Photogeschäftes. Sie hatte sich fotografieren lassen für ihren Liebsten, in drei Stellungen, ihr Gesicht war gar nicht ganz ebenmäßig, aber aus den Augen leuchteten Liebe und Sehnsucht, und das großgeblumte Kleid brachte ihr Wesen so schön zur Geltung. Weißt, an wen ich da denken mußte? Weißt, an wen ich da dachte voll innerer Freude? Herzallerliebste, Du! Und was ich sonst sah war unter meinen Erwartungen. Nur selten eine kühle, blonde Schönheit, seltener als in Dresden. Mochte auch das Wetter schuld sein, es war warm, aber diesig und trüb. So fuhr ich heim. ½ Stunde Weg durch die monddämmrige Nacht. Ganz windstill war es. Ich fühlte das Wesen dieser schweren, meerumschlungenen Landschaft. Ich kehrte heim, froh, der fremden Stadt entronnen zu sein, kehrte heim, froh, meine Besorgungen erledigt zu haben. Und der Gedanke, daß Dein lieber Bote dasein könnte, beflügelte meine Schritte und mir war wie heimkehren in die Geborgenheit Deines, unseres schönen Heimes; in die Geborgenheit Deiner Liebe und Güte. Herzliebes! Nichts kann uns je auseinanderreißen! Viel zu sehr hat sich unser beider Wesen schon verschlungen, und ich bin gewiß, daß es immer so bleibt.

Behüte Dich Gott! Mein liebes, teures Herz!

Heute nachmittag beginne ich den nächsten Brief.

Ich liebe Dich! Du! Ich sehne mich nach Dir!

Ich bin Dein für alle Zeit! Und Du bist mein!!

In Treue

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946