
Sonnabend, am 12. Oktober 1940, G..
Herzallerliebster! Du mein geliebter, guter, [Roland]!
Auf der verschlungenen Fahrt all die Zeit daher, landete ich gestern nachmittag in L.. Elfriede erwartete mich an der Bahn. Wir gingen durch die Straßen bis zur Rathausnähe, dort wohnt die Dame, bei der sie Gesangstuden nimmt; die Stunde fiel in die Zeit zwischen 3–4 Uhr. Ganz plötzlich sprach uns so im Gehen jemand von hinten an, es war Elfriedes Schwester Marianne. Nun hatte ich gleich eine nette Gesellschafterin. Erst besorgten wir einen Weg und anschließend setzten wir uns zusammen in ein Cafe, dessen Namen mir aber schon wieder entfallen ist. Elfriede kam dorthin und wir fuhren gegen 6 gemeinsam mit Lotti, die wir auf dem Bahnhofe entdeckten heraus nach D.. Ein paar schöne Blumen nahm ich aus der Stadt mit für Mutter Hermann. Wir fanden sie im Bett liegend, doch wie ich nun urteilen kann, da ich sie zum erster Male sehe, sehr wohl aussehend. Rote Wangen, garnicht [sic] fiebrig—klare Augen und auch ziemlich lebhaft. Der Abendbrottisch war schon gedeckt, die Stütze Hanna ist ganz tüchtig. Wir saßen am Abend noch bis 11 beisammen, wir 3 Mädels; vorher waren wir noch ein Stück an die Luft gegangen. Schön, wie der Tag, war auch der Abend. Die beiden Sterne, unsere weißt [Du], die waren sich gestern am nächsten. Jupiter und Saturn. Aller [sic] 260 Jahre kann man das nur beobachten. Hast Du wohl auch mal geguckt? Elfriede erzählte dann noch von ihrer Reise nach Röstfelde. Wir haben viel gelacht! Allerhand hat sie erlebt mit den Soldaten, mit ihren u.[nd] Hellmuths Wirtsleuten. Es ist nun doch, bei aller Heimlichkeit herausgekommen, daß [Nordhoffs] Frau da gewesen ist! Das hätte eingeschlagen wie eine Bombe, schrieb Hellmuth. Ja, die Unterhaltung gestern abend war für mich sehr aufschlußreich. Lotti erfährt so vielerlei bei ihrer Stellung im Amt und beim täglichen Umgang mit soundsoviel Leuten. Überhaupt die beiden haben einen erweiterten Gesichtskreis in vielen Dingen. Elfriede allein schon durch ihre Bildung, und ich merke ihnen eben auch das Alter an, mit dem sie mir voraus sind. Bedrückt oder dumm bin ich mir durchaus nicht vorgekommen dabei, sie sind ja auch nicht so veranlagt, daß sie sich mit ihrem Wissen hervortun und prahlen wollten. Und im Innern hab[‘] ich mir gedacht, es ist wohl fast besser, wenn eine Frau sich nicht so sehr mit politischen Problemen befaßt und sich nicht mehr damit befaßt, als es ihr als Frau zukommt. Es kommt eben auch auf jedes Einzelnen Umgebung und Einfluß an. Ich glaube, ich bin mehr weiblicher als Elfriede und Lotti. Ich kann mir die beiden als richtige Frauen und Mutter nicht vorstellen. Und dabei sind sie doch sonst so nett und lieb. Du sprachst mit mir ja schon einmal darüber.
Mein [Roland]! Geschlafen habe ich gut. Nur lang nicht einschlafen konnte ich, mein Kopf schmerzte so sehr. Ich weiß garnicht [sic] wie das kam; es ist ja sonst nicht so gewesen, wenn ich bei fremden Leuten schlafen mußte. Vielleicht hat mich das viele Reden [ein] bissel [sic: bisschen] überans[t]rengt. Die beiden Schwestern und auch die Marianne sind sehr lebhaft; das bin ich nicht gewöhnt.
Bis 9 Uhr schlief ich fest, dann kam Elfriede, nach dem Rechten sehen. Wir frühstückten gemeinsam mit Mutter und setzten uns dann raus in den Garten. Gut warm eingepackt, es ist heute wieder trübe und kalt; ich hatte an den Füßen solch friesisches Wärmeöfchen, schön, sag ich Dir. Weiß nicht ob Du das kennst. Die Mutter Hermann hat es mitgebracht, hier findet man nicht solche. Nun ist Mittag vorbei, Lotti kam heim und schläft jetzt ein wenig. Elfriede schneidet Sülze und schreibt dann Hellmuth. Mutter liegt wieder draußen und ich will ihr nachher noch [ein] bissel [sic: bisschen] Gesellschaft leisten, sie hat sonst nichts weiter und es wird ihr ja die Zeit so lang. Sie tut mir reicht leid.
Am Montag nach Mittag will ich hier weg fahren. Ich treffe mich mit Deiner Mutter in Bischofswerda. Sie ist nämlich in P. zur Kirmes, bei Geislers! Vater kann nicht mit, er bekommt keine Vertretung. Der Ärmste! Morgen nachmittag wollen Marianne mit ihrem Mann u.[nd] Christian kommen. Für uns Mädels ist ein Ausflug geplant zur kleinen Landeskrone. Mal sehen, ob das Wetter hält.
Dich, mein Dickerle, such[e] ich heut und auch morgen, weil ich nicht weiß, wann in Kiel, Du! Denk auch mal an mich! Ich bin immer bei Dir, Du! Zärtlicher kann ich heute nicht schreiben. Elfriede möchte Grüße beifügen für Dich. Ich glaube, Du verstehst mich schon. Nun komm ich vielleicht erst wieder in K. dazu, Dir zu schreiben. Also spätestens am Dienstag auf Wiedersehen!
Von Lotti die herzlichsten Grüße und gewiß auch von Frau Hermann, wenn sie mirs auch nicht extra auftrug, weil sie draußen liegt. Du aber bleibe froh und gesund!
Behüt[e] Dich Gott!
von Deiner [Hilde].
Lieber [Roland]!

Wir haben von Deinem neuen Lebensabschnitt, dem militärischen, von K. u.[nd] [sic] jetzt durch [Hilde] immerfort erfahren u.[nd] lenken unsere Gedanken nun auch des öfteren in den Norden, wo wir nicht ganz unbekannt sind. Du schwebtest dabei mit Bändchenmütze (á la Bändchenkerl) u.[nd] [in] Blau mir vor, nun sehe ich mich darin enttäuscht. Die Hauptsache aber ist, daß Du Dich gut einlebtest u.[nd] es Dir einigermaßen gefällt, soweit man bei Militär von Gefallen reden kann. – Neulich war ich bei Hellmuth in Röstfelde 3 km von der polnischen Grenze. Nun weiß ich wie es um ihn herum ausschaut u.[nd], was nicht unwichtig ist, daß er bei netten Leuten wohnt. Das Wiedersehen war seltsam genug u.[nd] nicht ohne Stachel u.[nd] so wird’s bleiben bis der graue Rock ausgezogen werden wird. – Mehr Platz ließ “man” – sie mir nicht. Auch gut, meine Feder ist verstaucht.
Dein Kartengruß ist angekommen. Hab Dank!
Mit den besten Wünschen für Dich u.[nd] den herzlichsten Grüßen von uns allen! Deine Elfriede.
Meine Verwandten laden Dich herzlich ein zu Ihnen zu kommen. Remmers[,] N., Fritz-Reuterstr. Nr. 5. Wochenendausflug!