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[OBF-401009-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch den 9. Oktober 1940

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde] Du!

Endlich! Du! Ein Zeichen von Dir! Der Bote vom Sonntag. Die Post ist schuld, die furchtbare Kamenzer Post. Bist wieder froh, Herzliebes? Ich kann Dir nicht anders helfen, als Dir raten und Dir meine Liebe und Treue erzeigen durch meinen Boten. Herzliebes, sei standhaft! Aber ich spüre es, in Kamenz bist Du noch einsamer als zu Hause bei Deinen Eltern, wo Du Deinen Aufgabenkreis und Deine Mußestunden hast. Wenn es gar nicht anders gehen will, Herzliebes, sprich Dich aus zu meiner Mutter und dampfe wieder nach Hause. Sie wird Dich verstehen. So, und nun muß ich erst einmal energisch werden, richtiger, ich wurde es schon, als ich Deine Zeilen las. Herzliebes! Soviel Heimatrecht hast Du nun bei uns, und soviel Respektierung Deiner Würde als meine liebe Frau darfst Du nicht nun auch meinen Eltern gegenüber beanspruchen, daß Du sagen kannst: „So, jetzt ziehe ich mich mal zurück, jetzt laßt mich einmal in Ruhe, (oder, nachdem sich alles anschickt zum Schlafengehen) jetzt schreibe ich erst noch meinem [Roland]!!“ Verstehst mich, Du? Und dieses Recht sollst Du nicht kleinlaut und verschämt, sondern energisch und selbstbewußt vortragen, daß Vatern jede Lust vergeht, darüber auch nur alberne Bemerkungen zu machen. Herzliebes! Die Stunden, die wir zusammen für uns zu sein zu Hause sonst beanspruchen, die darfst und sollst Du auch in meinem Namen jetzt behaupten. Das ist Dein gutes Recht! Und das and[e]re, was Vater betrifft. Daß Du würdest Ursache haben, Klage zu führen. Konnte ich mir denken. Ich bin gar nicht eifersüchtig und vertraue Dir darin ganz, daß Du ihm die rechte Antwort geben wirst. Nur noch einen Rat dazu:  Sollst auch hier selbstbewußt auftreten. Wenn er Dir wieder einmal nachstellt, sollst Du ihm mal eine Weile böse sein, auf seine Späße nicht mehr eingehen. Dann wird er fragen, warum, und Du sollst ihm dann sagen: „Du tust mir und [Roland] Unrecht, daß Du mir so nachstellst“. Auf Vaters dumme und anzügliche Fragen aber – das mußt Du Dir angewöhnen – gibst Du gar nicht mehr Antwort. Bei Elfriede versucht er es auch nicht mehr, weil er abgeblitzt ist. Wenn Dir aber der Mut ausgehen will, denk an mich, Herzallerliebste!

Du vertrittst unser Recht, und wehrst Dich gegen ein Unrecht. Vater ist in diesen Dingen so unbeherrscht, ein Erziehungsmangel, er ist so jung von Hause fort. Dieses Unrecht wird aber größer, wenn er sich gehen läßt, während ich in der Ferne weile. Du, Herzliebes! Hörst mich? [Du] Wirst es schon recht machen! Ich bitte Dich, mir darüber nichts zu verschweigen. Das Abholen von der Bahn hat noch nie geklappt, wenn es uns betraf, ich bin darüber richtig ein wenig ärgerlich, das werde ich auch den Eltern schreiben. Na, nun habe ich wohl genug gewettert, so aus der Ferne. Es fehlt der Mann im Hause. Mit einem Wort, mit einem Blick läßt sich so schnell etwas in die Reihe bringen. Herzliebes! Soll ich in Deine Klage einstimmen? Ich mag es nicht. In der Klage ist keine Hoffnung. Und die Hoffnung, die Zukunft, ist es doch, an die wir uns halten wollen, an die wir freudig glauben müssen, wenn wir einan[der] gehören wollen. Und das wollen wir doch beide mit unserem ganzen, heißen He Sehnen, mit allen Fasern unseres Herzens. Diese Hoffnung festhalten und Gott bitten, daß er auf dieses arme, menschliche Hoffen gnädig herniederschaue und ihm Erfüllung schenke. Herzallerliebste! Gott sei mit Dir und schenke Dir Kraft und Geduld, Dich zu schicken in seinen heiligen Willen!

Herzallerliebste! Meinem Boten möchte ich auftragen, daß ich Dich aus tiefstem Herzen liebe, daß ich mich sehne, diese Liebe zu erzeigen. Daß ich nichts lieberes tue, als Dich zu schützen, Dein gutes Recht zu vertreten. Meine [Hilde], Du! Meine Arme möchte ich um Dich schlingen, Dich ganz fest an mich drücken und festhalten, und niemand sollte dann versuchen, Dich mir zu entreißen. Die Gewißheit Deiner Liebe zu mir gäbe mir Kraft, mich ganz einzusetzen für Dich, Du! Geliebte! Mein Alles! Mein Glück! Mein Leben!

Meine liebe [Hilde]!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946