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Dienstag am 8. Oktober 1940
Herzliebes! Mein liebes, teures Herz! Meine liebe [Hilde], Du!
Eigenartig, immer wenn wir Sport hatten bisher, Dienstag und Donnerstag, haben wir schönes, warmes Wetter. Auch heute ist es für einen Oktobertag unverhältnismäßig warm. Ich sitze wieder draußen zur Mittagspause. Wie schön, wenn man nur den Stuhl ein wenig zu rücken braucht und schon im Freien sitzt. Wie schön auch, wenn man sich so leicht bekleidet im Freien tummeln kann in Luft und Sonne. Möchtest Du das wohl auch? Zusammen mit Dir, Geliebte, am weiten Strand, mit Dir werfen und springen und um die Wette laufen, und — der erste will ich ja doch sein — Dich auffangen am Ziel, und dann strecken wir uns lang zur Rast in den warmen Dünen — Du! möchtest Du das wohl auch? — Ja, wir beide möchten uns wohl ein rechtes, schönes Leben zimmern, aber jetzt müssen wir uns gedulden mit tausend ander[e]n, können nur warten und hoffen.
Herzallerliebste! Was für ein Stock bin [ich] doch geworden! Zum Abschiedsabend am Freitag habe ich mich richtig über mich selbst geärgert. Ich bringe keine Unterhaltung mehr im Gang, kein Gespräch interessiert mich mehr, alles Reden scheint mir so überflüssig. Auf dem Sonntagspaziergang habe ich überlegt, wie das wohl kommen mag. Der Maat hat mir schon einigemal [sic] vorgehalten, daß ich immerzu ein so böses Gesicht ziehe. Weißt, wie ich mir alles erkläre? Mein ganzer Mensch, mein ganzer Wille ist jetzt darauf eingestellt: Hindurch! Hindurch durch diese böse, harte Zeit der Unfreiheit, der Trennung von Dir? Ja, so ist es. Alles and[e]re ist nebensächlich, liegt am Rande, ist zweiten Ranges. Reden und Feiern lenkt nur ab, will nur betäuben und vergessen machen. Und ich will doch wach bleiben mit allen Sinnen. Ich mag mich hier nicht häuslich einrichten, mag mich mit diesen Verhältnissen nicht anfreunden. Als einen Durchgang will ich diese Zeit nur ansehen, als einen dunklen Gang, dessen Ende ich eilig zustrebe und an dessen Ausgang ich Dich weiß, Geliebte, Dich und unser Heim und unser Leben! Du rufst und ziehst mich! Deshalb bin ich nicht böse, das weißt Du ja, und deshalb habe ich auch die Sprache nicht verloren, das siehst Du ja. Mit Dir könnte ich mich immerzu unterhalten. Nein, ich habe immer noch denselben Gleichmut im Dienst, der mir alles leicht fallen läßt. Es ist nur ein Ernst in mir, ein sturer Wille: Zu Dir! Zu Dir! Viele Kameraden, zumal die mit kleinen Kindern zu Hause, denken und wünschen sich oft nach Hause. Etwa 4 sind [es], die täglich und aller [sic] 2 Tage nach Hause schreiben und von Hause Nachricht erhalten. Ihnen merkt man auch an, daß ihnen das Zuhause viel bedeutet.
Seit Montag befehligt uns unser Exerziergefreiter, der lange Reinke aus Schleswig, Hein mit dem Spitznamen, vielleicht bis zum Schluß. Das ist uns natürlich ganz nach Wunsch. Für seine Nachfolge hat sich unser Maat noch kräftig eingesetzt. Weiß nicht, wie es kommt, daß ich bei unserem Gefreiten wie auch bei unserem Zugführer alles lieber mache als bei unserem geschiedenen Maat. Es geht von ihnen mehr Ruhe, mehr Güte aus; uns[e]r Maat war kühl, befehligte freudlos. Abend ist es nun wieder, Herzliebes! Ich warte auf Deinen Boten. Jeden Augenblick kann er kommen. Wie ich warte, Liebste! Eben war ich selbst drüben, zum 2. Postempfang. Kein Brief von Dir, Herzliebes, schon den dritten Tag! Vergessen hast [Du] mich nicht, das kann nie und nimmer sein! Dann ist wohl die K.er Post Schuld. Über die K.er Bahn haben wir ja schon oft geklagt. Aber ganz leer bin ich nicht ausgegangen: Dein Päckchen mit der Pasta, die Du so kühn Dir gekapert hast, ist gekommen. Sei recht bedankt dafür. Nun muß ich mich bis morgen gedulden. Hoffentlich mußt Du nicht auch so warten. Behüte Dich Gott, Herzallerliebste! Bitte grüße uns[e]re lieben Eltern. Du! Alle Menschen dürften mich vergessen, dürften mich verlassen, mich hassen — ich wollte es ertragen, wenn ich nur Dich behalte, Herzliebes, wenn Du mir nur bleibst, wenn Du mich nur liebhast — Dann bin ich froh und reich und glücklich! Du, mein Alles! Mein Glück, mein Leben! Ich bleibe in Treue immerdar