
[401007–2‑1]
Montag, am 7. Oktober in K., 1940.
Herzallerliebster! Du mein geliebter [Roland]!
Es ist vorbei, das Gefühl des Verlassenseins, Du!
Was war das gestern? Es hatte mich wieder einmal übermannt. Schuld daran trug vielleicht meine gegenwärtige Umgebung; die schwermütige, süße Musik; die Unterhaltung der anderen, und ich mitten drin und doch so verlassen, so voll ungestümer Sehnsucht nach Dir, mein [Roland].
Wenn ich das Gefühl kommen sehe, dann ist am besten, ich gehe hinaus. Im Gleichmaß meiner Schritte finde ich auch am sichersten mein inneres Gleichmaß wieder.

Aber so handeln wie es das Herz verlangt, Du! das kann ich ja nur, wenn ich allein bin, nicht in Gesellschaft Deiner und meiner Lieben; ich muß Rücksicht nehmen, wenn es noch so bitter schmerzt. Das fällt mir oft so schwer, mein wahres Gefühl zu unterdrücken, um nach außen gleich fröhlich und lieb zu sein. Viel lieber ist mir doch, wenn ich mich wieder einmal ausweinen kann, damit mir leichter wird. Unterdrücktes Weh schmerzt und wühlt im Herzen fort, es macht traurig. Als ich gestern nach dem Kaffee mit den anderen spazieren ging, da kam ich langsam wieder zur Ruhe innerlich. Die Vernunft besiegte meine Schwäche. Und ich weiß, wenn ich meinem Schmerz nachhänge, mache ich mir ja alles nicht leichter. Ich muß mich überwinden lernen. Allein wird es mir schwer. Du fehlst mir, Liebster. Ein liebes, gutes Wort von Dir, ein Händedruck, ach so viel leichter machte mir es dann alles. Auf diese Art bin ich so garnicht [sic] tapfer, bin so weichlich, ein rechtes Mädchen. Ich werde erst tapferer sein, wenn ich die letzte Reife erlebt habe. Das Muttertum. Dann gehört mein Denken, meine Trachten, all mein Leben zuerst dem Lebewesen, das um mich ist, das mir durch Deine Liebe geschenkt wird, und dann bin ich ja nicht mehr allein — keine Minute — Du bist es dann, der in diesem kleinen Menschen zu mir spricht.

Ich muß durchhalten, bis Gott will, daß wir uns wiedersehen. Ach, ich weiß, Liebster! Du verstehst mich so ganz, verstehst auch meinen Schmerz. Und ich darf Dir alles sagen. Du trägst mit mir. Auch Du sehnst Dich nach mir, Du! Daß Du mein bist! Du! Es ist immer die gleiche, große Welle Glückes, die mein Herz umflutet, wenn ich daran denke. Und daß wir einander in Liebe, in Treue harren, das allein gibt uns auch immer wieder Kraft und Mut auszuhalten, zu warten, bis wir zueinander dürfen.

Wir brachen auf. Ich hatte keinen Schwips, Vater mußte mein Bier noch trinken, ich bring[‘]s absolut nicht hinter.

Als wir heimkamen, deckten wir immer den Abendbrottisch, bald darauf trottelten die beiden an. Sie waren in der Kirche gewesen, da führten die Kinder gegen Abend ein Erntespiel auf. Na, das war noch mal gut abgegangen.
Wir saßen dann noch gemütlich zusammen, im Scheine der Leselampe, bei Musik und häkelten, ich an Frau H.s Schlafdecke, die wollen Lotti und Elfriede fertig häkeln. ½ 11 gings schlafen. Heut[‘] früh weckte mich etwas Kaltes auf meiner Wange. Es war Dein lieber Freitagsbote, Du! Hab vielen Dank, mein Herz! Er hat mich heut geküßt, Du! Nun aber schnell gelesen, raus und Deine Wäsche von der Bleiche geholt, fertig gemacht zum Trocknen. Auf dem Boden hängt sie nun, denn heute regnet es wieder.

Euer D. ist ja ein tüchtiger Kerl, na ich gönn[‘] es ihm, wenn er was wird. Er kümmert mich nicht, wenn er noch so schneidig ist, wenn er noch so nett ist und noch so viel Orden und Sterne hätte. Ich will meinen [Roland], nur ihn, Du! Hörst Du? Alles andre läßt mich kalt.
Du mußt Dir nun auch das Trinken bissl [sic: ein bisschen] angewöhnen, ja in solcher Runde kann man sich dann schecht ausschließen und vor allem bei einer Feier. Na, mein [Roland], Du weißt ja allein am besten, was Dir gut ist. Ich mache mir auch darüber keine Sorge. Im Gemeinschaftsleben muß man sich in ein Manches schicken, das man in der Freiheit weitab stehen ließ. Das sind Notwendigkeiten oder besser Unabänderlichkeiten, die Du erst mit Deiner persönlichen Freiheit fallen lassen kannst. Und es ist gerade gut, wenn einer unter vielen standhaft sich zeigt, erlegt so den ander[e]n unwillkürlich Zurückhaltung auf.
Na, (die Neuen) der Neue scheint auch sehr anständig zu sein. Ich möchte Dich begleiten, wenn Du nach Kiel fährst. Kannst an mich denken, Du! Ich bin da grade in der nächstegrößeren Stadt, in Groß‑D.!! Wo wirst denn gestern herumgestrollt sein? Uns hat es alle geschluckt, am Tage und abends. Die Frau Briefträgerin hält sich jetzt gar immer lang bei Frau S. auf, die junge Frau wartet! Du mußt überhaupt eine Bemerkung zuschreiben, ob jung oder alt! Du! Bei 2 Kannen ist das gefährlich, wenn ich nun mal meinen Brief nicht beanspruchen kann?? Du! Weil [Hilde Nordhoff] d[‘]raufsteht, einfach [Hilde]? Schreib einfach mit oder ohne Kopf!
Mein [Roland]! Mein Herz! Behüt Dich Gott! Bleib froh und gesund! Ich küsse Dich Du! Ich liebe Dich von ganzem Herzen!
In Treue immer Deine [Hilde].