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[OBF-401007-001-01]
Briefkorpus

Montag den 7. Oktober 1940

Herzallerliebste! Meine liebe, liebe [Hilde], Du!

Welch eigenartige Situation! Da weilst Du nun in meinem Zuhause, in der Höhle des Löwen sozusagen, und der Löwe— er bleibt aus. Ach Du! Er käme so gerne, es zieht ihn zurück — aber er ist selber gefangen. Nun muß ich Dich anderwo [sic] suchen mit meinen Gedanken.

Glaubst mir, daß ich nach Oberfrohna schneller finde als nach Kamenz? Daß Dein Wesen, daß unsre Liebe deutlicher vor mir steht vor dem Hintergrunde Deines Zuhause [sic]? Dort, wo ich einsam ging; Dort wo wir uns trafen; in Deiner Heimat, in der Landschaft, deren Kind Du bist; in dem Hause, — nein, in dem Schlosse, — das von unseren trautesten Stunden weiß, und das überall das Walten deiner lieben Hände zeigt — ist es ein Wunder? Du! Wie gern ich in dem Schlosse einkehre! Unser, mein Zuhause, zeigt allenthalben männlichere  Züge, es atmet weniger Heimlichkeit, das ist wohl auch natürlich, wo lauter Jungs zu Hause sind. Spaßig! So wie wir als Kinder und Geschwister uns einst fühlten, einander nachahmten und abguckten — nun ist jeder für sich ausgezogen, sein Lieb zu suchen, ist eingebrochen in den Kreis einer ganz anderen Familie, und wie es bei uns war— hat zunächst seine 'Beute' eigensinnig vor dem anderen verborgen. Und nun hat ihn das Liebe eingefangen und zieht ihn an sich, stärker als das Zuhause, und [^]nun drängen beide nach einem Neuen und Eigenen.

Wieder sind wir in eine neue Woche gestolpert. Am Vormittag hat es noch geregnet in Schauern. Heut abend ist der Himmel Blank, nur an den Rändern stehen große Wetterbäume, und wenn du hier wärst, würdest du schnell ein paar Bilder und Gestalten herauslesen. Der Mond ist aufgezogen, Du siehst ihn auch, und er Dich. Vorhin habe ich mir die Nachrichten angehört. Ihr habt auch lauschend am Apparat gesessen. Man ist versucht so leichthin zu sagen, sie brachten nichts Neues. Und doch fordert dieser tägliche Kampf den Einsatz vieler Menschen, die alle auch anderen Menschen verbunden sind, Eltern, Frauen, Bräuten.

Die Engländer umjubeln einen neuen Luftmarschall! Bin gespannt, ob er eine erhöhte Aktivität entfaltet und wir etwas davon zu spüren bekommen. Seit Mittwoch hat sich hier nichts gerührt.

Nach dem Sonntag hapert es mit der Post. Dein Bote blieb heute aus. Nun freue ich mich desto mehr auf den morgenden [sic] Tag und sehne ihn herbei.

Herzliebes! Überallhin verfolge ich dich, mit meinen Gedanken und Empfindungen, mit meinem Boten — und nun auch mit meinen Anliegen. Ich habe heute wieder ein Päckchen Wäsche auf den Weg geschickt.

Herzallerliebste! Ich weiß heute nichts mehr. Ich bin mit meinen Gedanken nicht ganz beisammen. Die Kameraden stehen so herum, und ich argwöhne, daß sie mir einmal länger als schicklich über die Schulter gucken.

Behüte dich Gott, Geliebte!

Laß dir etwas recht süßes träumen im Kinderzimmer! Läßt mich vielleicht mit ein in den Traum? Du! Halt dich recht schön warm!

Du! Ich habe dich aus tiefstem Herzen. Ich sehne mich nach dir. Du bist mein, ich bin Dein! Das ist mein ganzes Glück, mein Leben!

In Treue immerdar

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946