[401006–2‑1]
Sonntag, am 6. Oktober 1940 in K..
Herzallerliebster! Mein geliebter [Roland]!
Du! Ich hab[‘] es ja gewußt! Dein lieber Bote begrüßte mich, als ich nun gestern mit Mutter hier ankam. Du, Liebster! Mein [Roland], wie danke ich Dir. So sehr erfreut hast Du mich. Weil mir nur meine Überraschung gelingen ist, weil Du Dich nur gefreut hast, Herzliebster, nun ist alles gut. Es drängt mich so sehr, Dir zu erzählen was mich bewegt. ½12 ist es. Wir sind alle vom Kirchgang heim, außer Vater, der hat Dienst. Du, wie schön war es heut[‘] wieder, ach und ich fühlte mich so garnicht [sic] verlassen, ich wußte Dich ganz nahe bei mir Liebster. Immer wird es in der K.er Kirche so sein, Du! Denn immer, wenn ich mit Dir da war, hat mich alles, die Umgebung, der Gottesdienst ganz eigen berührt. Du wirst auch im Gotteshause gewesen sein, heute zum Reichserntedankfest. Viele, viele Menschen waren gekommen und sie sind gewiß alle so froh und gestärkt heimgegangen wie ich.
Ich habe Deiner ganz lieb und fest gedacht.
Der Vater ist heimgekommen, Du! Du! Ich muß tüchtig auf der Hut sein. Er will, er will… ich möchte nicht klatschen, ich werd[‘] schon fein wachsam sein. Du! Bitte nicht etwa dem Vater etwas davon schreiben, ich wäre beschämt dann. Also, nun ist es vorderhand a bisserl [sic: ein bisschen] vorbei mit meiner Ruhe!
Ich will Dir nun mal berichten von unser Fahrt.
Wie geplant fuhren wir früh … mit dem Bus nach Chemnitz besorgten unseren Weg und noch einiges dazu, als da ist. Strickwolle für Vaters Socken, Taschentücher und ein Nachthemd für mich. 10:55 ging der Zug ab in Richtung Dresden, … min. Übergang—dann nach K., um 3 Uhr nachmittags kamen wir an. Bepackt, beladen; niemand war von den lieben Gesichtern zu seh[e]n. Sie hatten um 1:00 gehofft und nahmen an, wir kamen dann erst um 6 Uhr. Frau S. guckte aus dem Fenster und winkte aus! Sie besuchte uns am Abend und warf es Deinen Eltern paarmal vor, daß niemand uns abholte! 2 junge Hähnchen brachte sie, es ist ein zu gutes Luder; bei allem, glaubst? Bis 10 Uhr war sie da und wir waren dann auch rechtschaffen müde. Morgens 5 Uhr standen wir auf, weil wir dem Vater noch alles zurecht gemacht haben, der Arme hat keine Ferien bekommen und da möchte er doch auch jeden Tag was ordentliches zu essen haben. Die Mutter will am Dienstag zurück, es tut ihr leid, wenn er sich alles soll allein machen. Der Vater ist ein Quatschloch, ich kann jetzt nicht weiter schreiben, vielleicht hält er dann Mittagsruhe! Ich kann absolut meine Gedanken nicht zusammenhalten. Du weißt es ja.
Herzlieb! Ich komme wieder. Du! Vater schläft, aber wie lange? Ich will mich beeilen. Es ist 2 Uhr. Mittagessen und Arbeit vorbei. Es gab guten Pökelbraten mit Blumenkohlgemüse, Apfelkompott; Apfelmost und Suppe, ja Suppe! Und ich mußte Deinen Teller voll mit essen, Du! Ich fürchte für [sic] meine schlanke Linie! Nachrichten kommen, ob Du jetzt auch vorm Kastl sitzt? Die Mütter stricken, häkeln. Die Sonne kommt manchmal durch, wir wollen ein Stück gehen. Wohin ist noch unbestimmt. Du, wie habe ich gestrahlt, als heute früh, grade [sic] als wir den Gang zur Kirche austreten wollten, Dein so lieber Bote kam. Er war mit mir. Du! Ich danke Dir, mein [Roland].
Die Eltern horchen ja schön, wenn Du immer mehr Verhaltungsmaßregeln anführst. Vater ist ganz verrückt auf Dich! Wir haben einen Spaß darüber! Mutter hat extra für mich den Glasschrank ausgeräumt und nun will ich nicht hinein. Ach, wie ich geschlafen hab[‘], Du? Schön, warm, weich; aber nicht tief, Du! Ich mußte gar so viel denken, Liebster! An Dich, an die Zeit, da Du neben mir im Bettlein lagst. Und meine Sehnsucht, o, sie war so groß, Herzlieb!
Du mußt es ja gefühlt haben, wie so sehr ich Deiner denken mußte. Im Bettlein, wo ich schon immer lag, schlief ich. Wenn Du bei mir sein konntest!
Du! Es war wirklich schwer, das Wiedersehen mit unserem Zimmer, das all unser Glück noch birgt.
Ich will ganz geduldig sein und denken, daß Du sicher zum Weihnachtsfest bei mir sein darfst. Und wenn nicht, so bin ich bei Dir, Liebster.
Am Mittwoch hattest Du Wache? Du! Da hab ich ja von Dir geträumt, und konnte gar nimmer ruhig sein bis zum Morgen. Ach mein Lieb! Alles, alles, das Geheimste, Schönste, ich will es aufheben für Dich, nur für dich, den Vertrautesten meines Herzens. Wen könnte ich mit meiner Lieber außer Dir beschenken, Du? Weißt ja, Herzlieb, ich liebe Dich allein. Und wenn das Maß meiner Liebe voller und voller wird — keinen einzigen Tropfen will ich verschwenden, wenn Du auch ertrinken mußt in aller Liebe, die sich ergießen wird, Du! Wenn Du zu mir kommst. Ach, sie spielen Musik, uns[e]re Musik; Deine Lieder, die mir gehören. Ich könnte weinen vor Sehnsucht nach Dir– Liebster, ich möchte hinauslaufen weit, weit—bis hin zu Dir, möchte nichts als bei Dir sein! Weißt Du, wie qualvoll es ist, das Warten? Herzlieb, was ist es, daß ich heute so schmerzlich, so innig an Dich denken muß? Es erinnert mich alles so sehr an Dich, alles um mich her. O, Du! Komm zu mir, Du! Ich bin so allein, [Roland] Du! Ich kann nicht weiter Du, ich muß weinen. Keiner soll es sehen, wie ich Dich liebe, Du! Du! War ich doch bei Dir—alles, alles wäre gut. Herzlieb bitte, bitte sei nicht traurig, verzeih mir—ich kann nicht mehr! Du! Herzallerliebster mein!
In endloser Liebe
immer Deine [Hilde].