
Sonntag, den 6. Oktober 1940
Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde], Du!
Nun kann ich schon wieder mit Dir plaudern. Ist doch eine tröstliche Einrichtung, die Post. Dreierlei hatte sie gestern für mich. Wie ich mich darüber freue! Gestern abend noch erhielt ich Deinen lieben Boten vom Freitag. Ach Du! Ob sich das Geschreibsel immer bis auf die Silbe reimt, das ist nicht so wichtig. Wenn es nur von Deiner Hand ist, und wenn ich nur am Ende lese, daß Du mich lieb hast, dann legt sich Sonnenschein auch über den trübsten Tag. Hoffentlich hat Dich mein Bote in K. richtig in Empfang genommen. Es führen also mehrere Wege von O. nach Kiel, seltsames Zusammentreffen! Nach Deinen Angaben arbeitet der Hauptgefreite beim Regiment in Kiel. Die Kaserne B. kann er da freilich nicht sehen. Den Namen L. hast Du aufgeschnappt. Die sicherste Verbindung hier heraus führt nämlich über Leipzig-Halle-Magdeburg-Stendal-Wittenberge-Ludwigslust-Lübeck-Kiel. Auf dieser Strecke verkehren durchgehende D‑Züge. Also Herzliebes, außer der Welt liegen wir hier nicht. Schon vielmal habe ich daran gedacht, daß Du mich einmal besuchen könntest. Aus den Mmancherlei Erwägungen dazu haben sich diese Punkte herausgeschält:

Was eng damit zusammenhängt ist die Frage des Urlaubs. Du hast den Matrosen U. gesehen. Entweder hat er einen Sonderurlaub, oder man steckt ihn nach Belgien oder Holland und hat ihn vorher noch einmal nach Hause fahren lassen. Nun höre, Liebes, in Kürze die Urlaubsbestimmungen. In der Ausbildungszeit gibt es grundsätzlich keinen Urlaub. Sobald wir beim neuen Kommando sind, steht einer Beurlaubung theoretisch nichts im Wege. Dem Soldaten kann Urlaub gewährt werden. Den Reservisten, das sind wir, 28 Tage Erholungsurlaub. Dazu kommen die Tage des Festagsurlaubs (zirka 6 Tage um Weihnachten). Zweimal wird zu diesen Urlaubstagen auch Zeit zur Hin- u.[nd] Rückreise gewährt. Das klingt alles in allem gar nicht so übel. Ich habe nun so gedacht: Meinen Urlaub will ich doch recht geschickt einteilen (Du sollst mir ja Deine Wünsche dazu sagen!). Wenn all[e] Voraussetzungen erfüllt sind, darfst mich im November besuchen!! Um Weihnachten bekomme ich Festtagsurlaub, höchstwahrscheinlich erst zu Sylvester. An diesen Urlaub gedenke ich einige Tage meines Erholungsurlaubs anzuhängen, damit Du mich im kältesten Teil des Jahres recht lange bei Dir haben kannst, Frosthäschen, liebes!
Na, und weiter wollen wir erst mal nicht rechnen. Und auch diese Rechnung wollen wir zunächst noch kühl und nüchtern betrachten, jederzeit gewärtig, daß sie sowohl nach der günstigen wie nach der ungünstigen Seite umgestoßen werden kann. Hast [Du] alles verstanden? Du! November, das wäre gar nicht mehr so lange hin. Und Dezember? Auch der wird bald heran sein. So, nun darfst Du ganz im geheimen Deinen Wunsch hegen. Ach Liebste, wir dürfen doch recht dankbar sein, daß wir noch so in Reichweite sind. Wenn es gar nicht anders geht, dann kannst [Du] mich nach dem 31. Oktober jeden Tag erreichen. Dieser Gedanke ist so tröstlich!
Was diese Reise kostet, Liebste, das weißt Du, das zählt nicht (bis zu einer gewissen Grenze)! Du ‚beichtest’ mir von Deinen Ausgaben. Da ist nichts zu beichten, und Du sollst das auch nicht. Wenn Du mir von Deinen Plänen schreibst, dann freut mich das. Daß Du nichts verschwendest und rechnest, das weiß ich längst. Kaufe Dir, Liebste, was Du für notwendig und wünschenswert hältst, was Dich flott und schick macht, Du! Um die Zahlen im Kontobuch brauchst Du nicht zu bangen. Von jedem Monatsgehalt bleiben noch reichlich 30 M[ark] in S. überstehen. Du fragst, ob nicht hier etwas zu kaufen sei. Ich will mich am kommenden Sonnabend schon einmal umsehen in Kiel. Aber Kleider für Dich einkaufen, ganz allein, das wage ich mir [sic] doch nicht. Wie wenig ich verstehe, das hast Du mir gestern erst wieder unter die Nase gerieben. Da habe ich nun mal ein Hemd ohne Ärmel, das mich zu allerhand Vergleichen anregt, und [^]Du nennst das Ding Ärmelhemd, das ist weibliche Logik, in der ich mich noch nicht genug auskenne.
Herzliebes, da kommt mir eben noch ein Gedanke, der eigentlich zum gestrigen Brief gehört. So gut ich Dich nun schon kenne, Dich verstehe, in allen Winkeln Deines Herzens bin ich noch nicht gewesen. Wie wäre das auch möglich, wo man uns nach 6 Wochen schon wieder auseinanderreißt? Kannst Dir denken, Geliebte, daß ich mich darauf freue, auch in diesen Winkeln heimisch zu werden? Meine liebe [Hilde], Du!

Herzliebes Du, jetzt höre ich auf, damit ich morgen noch etwas übrig habe. Für heute also auf ein herzlicher Wiederhören. Behüte Dich mir Gott, mein Lieb!
Der Sonntag geht zu Ende. Wieder ein Sonntag ohne Dich, aber immer mit Dir. Deine Bilder haben mich begleitet. Ohne Dich, das ist ein Tag, der ausklingen muß im Wünschen und Sehnen nach Dir, Herzallerliebste! Bei Dir allein wird mein Herz ruhig und wunschlos. Ich küsse Dich, Du! Ich bin Dir ganz nahe und flüstere Dir ins Ohr, und es bedeutet soviel wie Herzlieb, liebes, teures Herz! Du mein Glück, mein Leben, mein Ein und Alles, meine liebe [Hilde], Du! Ich bleibe Dein in Treue immerdar,