Bitte warten...

[OBF-401006-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 6. Oktober 1940

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde], Du!

Nun kann ich schon wieder mit Dir plaudern. Ist doch eine tröstliche Einrichtung, die Post. Dreierlei hatte sie gestern für mich. Wie ich mich darüber freue! Gestern abend noch erhielt ich Deinen lieben Boten vom Freitag. Ach Du! Ob sich das Geschreibsel immer bis auf die Silbe reimt, das ist nicht so wichtig. Wenn es nur von Deiner Hand ist, und wenn ich nur am Ende lese, daß Du mich lieb hast, dann legt sich Sonnenschein auch über den trübsten Tag. Hoffentlich hat Dich mein Bote in Kamenz richtig in Empfang genommen. Es führen also mehrere Wege von Oberfrohna nach Kiel, seltsames Zusammentreffen! Nach Deinen Angaben arbeitet der Hauptgefreite beim Regiment in Kiel. Die Kaserne Bülk kann er da freilich nicht sehen. Den Namen Ludwigslust hast Du aufgeschnappt. Die sicherste Verbindung hier heraus führt nämlich über Leipzig-Halle-Magdeburg-Stendal-Wittenberge-Ludwigslust-Lübeck-Kiel. Auf dieser Strecke verkehren durchgehende D-Züge. Also Herzliebes, außer der Welt liegen wir hier nicht. Schon vielmal habe ich daran gedacht, daß Du mich einmal besuchen könntest. Aus den Mmancherlei Erwägungen dazu haben sich diese Punkte herausgeschält:

1) Besuchen darfst Du mich erst dann, wenn die Engländer nicht mehr so oft einfliegen. Nach dem letzten Zusammentreffen Mussolini-Hitler scheint mir sicher, daß der Angriff gegen das Inselreich noch vor diesem Winter erfolgt. 2) Besuchen kannst Du mich erst dann, wenn ich in meinem künftigen Standort eingerichtet bin, also frühestens Mitte November. Wenn ich wirklich nach Eckernförde zu liegen komme, dann kann das leicht ein Geschick kriegen. Eckernförde ist Badeort, nehme ich an, ein schönes Zimmer wird also unschwer aufzutreiben sein. 3) Auf diese Reise lasse ich Dich nur in der Zeit vor Weihnachten, in der Frühjahrskälte bis zum März darfst Du nicht fahren. Liebste, Herzliebes! Vielleicht erschrickst Du über diese glatte, knappe Formulierung dieser Punkte. Du darfst mir gern glauben, daß ich das alles für mich auch schon ganz anders, in viel wärmeren Farben ausgemalt habe. Diese knappe Formulierung kommt nur daher, daß ich alles schon so oft bedachte. So gern ich Dich hier hätte, so ungern lasse ich Dich allein auf diese lange Fahrt.

Was eng damit zusammenhängt ist die Frage des Urlaubs. Du hast den Matrosen U. gesehen. Entweder hat er einen Sonderurlaub, oder man steckt ihn nach Belgien oder Holland und hat ihn vorher noch einmal nach Hause fahren lassen. Nun höre, Liebes, in Kürze die Urlaubsbestimmungen. In der Ausbildungszeit gibt es grundsätzlich keinen Urlaub. Sobald wir beim neuen Kommando sind, steht einer Beurlaubung theoretisch nichts im Wege. Dem Soldaten kann Urlaub gewährt werden. Den Reservisten, das sind wir, 28 Tage Erholungsurlaub. Dazu kommen die Tage des Festagsurlaubs (zirka 6 Tage um Weihnachten). Zweimal wird zu diesen Urlaubstagen auch Zeit zur Hin- u. Rückreise gewährt. Das klingt alles in allem gar nicht so übel. Ich habe nun so gedacht: Meinen Urlaub will ich doch recht geschickt einteilen (Du sollst mir ja Deine Wünsche dazu sagen!). Wenn all[e] Voraussetzungen erfüllt sind, darfst mich im November besuchen!! Um Weihnachten bekomme ich Festtagsurlaub, höchstwahrscheinlich erst zu Sylvester. An diesen Urlaub gedenke ich einige Tage meines Erholungsurlaubs anzuhängen, damit Du mich im kältesten Teil des Jahres recht lange bei Dir haben kannst, Frosthäschen, liebes!

Na, und weiter wollen wir erst mal nicht rechnen. Und auch diese Rechnung wollen wir zunächst noch kühl und nüchtern betrachten, jederzeit gewärtig, daß sie sowohl nach der günstigen wie nach der ungünstigen Seite umgestoßen werden kann. Hast alles verstanden? Du! November, das wäre gar nicht mehr so lange hin. Und Dezember? Auch der wird bald heran sein. So, nun darfst Du ganz im geheimen Deinen Wunsch hegen. Ach Liebste, wir dürfen doch recht dankbar sein, daß wir noch so in Reichweite sind. Wenn es gar nicht anders geht, dann kannst mich nach dem 31. Oktober jeden Tag erreichen. Dieser Gedanke ist so tröstlich!

Was diese Reise kostet, Liebste, das weißt Du, das zählt nicht (bis zu einer gewissen Grenze)! Du ,beichtest' mir von Deinen Ausgaben. Da ist nichts zu beichten, und Du sollst das auch nicht. Wenn Du mir von Deinen Plänen schreibst, dann freut mich das. Daß Du nichts verschwendest und rechnest, das weiß ich längst. Kaufe Dir, Liebste, was Du für notwendig und wünschenswert hältst, was Dich flott und schick macht, Du! Um die Zahlen im Kontobuch brauchst Du nicht zu bangen. Von jedem Monatsgehalt bleiben noch reichlich 30 M in Schandau überstehen. Du fragst, ob nicht hier etwas zu kaufen sei. Ich will mich am kommenden Sonnabend schon einmal umsehen in Kiel. Aber Kleider für Dich einkaufen, ganz allein, das wage ich mir [sic] doch nicht. Wie wenig ich verstehe, das hast Du mir gestern erst wieder unter die Nase gerieben. Da habe ich nun mal ein Hemd ohne Ärmel, das mich zu allerhand Vergleichen anregt, und [^]Du nennst das Ding Ärmelhemd, das ist weibliche Logik, in der ich mich noch nicht genug auskenne.

Herzliebes, da kommt mir eben noch ein Gedanke, der eigentlich zum gestrigen Brief gehört. So gut ich Dich nun schon kenne, Dich verstehe, in allen Winkeln Deines Herzens bin ich noch nicht gewesen. Wie wäre das auch möglich, wo man uns nach 6 Wochen schon wieder auseinanderreißt? Kannst Dir denken, Geliebte, daß ich mich darauf freue, auch in diesen Winkeln heimisch zu werden? Meine liebe [Hilde], Du!

Nun bin ich zurück von meinem Ausflug hinaus in Sturm und Regen und fliegende Wolken. Ich liebe es auch einmal so. Auf dem Nachhausewege wurde der stramme Matrose [Nordhoff] von dem menschlichsten der Bedürfnisse überrumpelt und entwaffnet, er warf sein Seitengewehr von sich. Ein naher Buchenhain verhütete das schlimmste. Dieser Bericht schreckt Dich nicht mehr, stimmt's, Herzliebes? Aber das ist ja, als wüßte ich Gescheiteres nicht mehr zu schreiben. Eben habe ich Deinen lieben Brief noch einmal durchgelesen. Mit dem Geschenk für die Eltern bin ich ganz einverstanden. Laß Dich das ,schöne' Geld nicht dauern. Sag, wie halten wir es denn mit dem Begleichen der Möbelrechnung? Denk mal bitte mit daran! Was werdet Ihr nun heute angegeben haben? Mein Liebes sehe ich in den Räumen irren und suchen, sehe es dann erst zur Ruhe kommen über einem Schreibebrief an den lieben Hubo. Du! Liebe! Schon zweimal habe ich auf meinen Spaziergängen nach einem Kosenamen gesucht für Dich. Du staunst, liebes Herz? Ich bin nicht unzufrieden mit Deinem Namen. Weißt, seit dem „billchen" [sic] hat mich das leise immer beschäftigt. Einen Namen zu finden, den gar nicht alle kennen, einen Namen, der doch gar kein richtiger Name ist, und doch alles Liebe zwischen uns umschließt und in Erinnerung ruft, der es ruft in seinem Sinn und seinem Klang. Ich weiß nicht, ob Du daran schon einmal gedacht oder Dir heimlich solchen Namen schon einmal gewünscht hast. Wenn ich ,Herzliebes' zu Dir sage, dann schwingt in diesem Wort die ganze Verehrung und Sehnsucht von heute und einst. Daß ich mit diesem Wort ein Menschenkind einmal ansprechen dürfte, davon habe ich lange schon geträumt. Aber dieser Name ist zu lang und für Außenstehende zu durchsichtig. Heute auf dem Heimweg kam mir ein Name ein. Nun wirst neugierig sein! Aber ich bin froh, daß ich auch einmal ein Geheimnis habe, das ich Dir auch nicht eher entdecke, als bis Du dazu Dich einmal geäußert hast.

Herzliebes Du, jetzt höre ich auf, damit ich morgen noch etwas übrig habe. Für heute also auf ein herzlicher Wiederhören. Behüte Dich mir Gott, mein Lieb!

Der Sonntag geht zu Ende. Wieder ein Sonntag ohne Dich, aber immer mit Dir. Deine Bilder haben mich begleitet. Ohne Dich, das ist ein Tag, der ausklingen muß im Wünschen und Sehnen nach Dir, Herzallerliebste! Bei Dir allein wird mein Herz ruhig und wunschlos. Ich küsse Dich, Du! Ich bin Dir ganz nahe und flüstere Dir ins Ohr, und es bedeutet soviel wie Herzlieb, liebes, teures Herz! Du mein Glück, mein Leben, mein Ein und Alles, meine liebe [Hilde], Du! Ich bleibe Dein in Treue immerdar,

Dein [Roland].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946