
Freitag, am 4. Oktober 1940.
Herzallerliebster! Du mein lieber, lieber [Roland]!
Heute früh erhielt ich Deinen Dienstagbrief. Ja, ich merke auch, daß die Post ein bisserl [sic: bisschen] schleppt. Du! Sei recht vielmals bedankt für Deine lieben Zeilen, ich habe mich recht gefreut. Reif ist bei Euch schon gefallen!? Nun, da ist[‘]s also noch kälter als bei uns. Sei nur vorsichtig, damit Du mir nicht krank wirst! Ein kleines bissel [sic: bisschen] könntest Du ja ruhig krank werden, wenn ich wüßte, daß Du dann heim darfst, Du! Solch wildes Hundevieh habt Ihr nun dabei? Ich möcht wahrhaftig mal zusehen, wenn der so emsig mittut; da werdet Ihr nun noch einen manchen Spaß haben. Was ist denn der neue Leutnant für ein Mensch, daß er sich ein ‘Mascottchen’ hält? Mußt ihn mal näher anschauen.

Na glaubst, Euer Johann ist ja wirklich köstlich! Laß Dich mal bloß nicht erwischen Du, Karikaturenzeichner! Er ist wohl auch ohne Haar? Wir haben so gelacht alle, ich hab ihn den Eltern vorgeführt.
Ich glaube, schon um dessentwillen mußte ich Dich einmal besuchen, was meinst [Du]? Würde ich mich in ihn verlieben?
Na, einen Hanswurst muß ja jede Kompanie haben.
Gestern abend in der Singstunde kam nun das Ereignis!
Du, Frechdax! [sic]
Alles raunte und kicherte bei dem Satz ‘vom kleinen Mädel in der Heimat, daß mich so heiß geküßt!’ [wohl: “Und sein kleines Mädel, das sehnt er sich her,/ Das zu Haus so heiß ihn geküßt!”] Du! Dein Glück, daß die Fortsetzung dann eine geschickte Wendung nahm. Wir wurde ganz heiß und ein Herzklopfen bekam ich, ich hab mit aufgerissenen Augen gespannt, wie es wohl weiter geht. Na, alter Schulmeister, da hast Du so das Recht getroffen für die Kantorei! Sie haben sich alle recht sehr gefreut. Heißen Dank, Du! Für Deine besonderen Wünsche u.[nd] Grüße an mich.
Es ist etwas im Gange, Du wirst in den nächsten Tagen hören, ich freu mich für Dich! — Schluß. —
Heut mittag kam Dein Packerl [sic: Paket] mit der Wäsche, das ist aber nun zu spät zum Waschen. Wir nehmen[‘]s gleich mit nach K. Welche Beleidigung, Du! Bald wie meine Hemdeln [sic] sind Deine? Ich hab doch keine Ärmelhemden [sic: Hemdsärmel]! Die hatte meine Mutter in ihrer Jugendzeit!! Ich will mich Dir mal im Hemd vorstellen Du, da guckt viel mehr raus, als bei Dir! An den Armen natürlich meine ich. Ach, das ist überhaupt kein Thema zum schreiben—nun lachst Du mich auch noch aus. Wehe, wenn Du nochmal behauptest ich hätte Ärmelhemden! Wo ich so schöne Reizwäsche hab. Soso — da wird mein Hubo sogar im Schlafe reich. So weit habe ich[‘]s nun doch noch nicht gebracht. Das ist aber sehr nobel, daß man Euch durchwachte Stunden in der Nacht vergütet. Sag[‘]s nur auch, wenn Du Wache hast, oder schlecht schlafen kannst! Dann kriegst Du noch mehr.
Das Geld für die Versicherung habe ich heute fortgeschickt, früh. Auf der Girobank hab ich diesmal 50 M[ark] abgehoben, davon wollte ich nun Herrn H. bezahlen, verreisen, 2 Paar besohlte Schuhe bezahlen und es ist auch immer mal eine Kleinigkeit und da klappert[’s] sich zusammen. Daraus wird aber nun Essig. Ach, ich hole das schöne Geld ja garnicht [sic] gerne runter; aber was soll ich weiter machen? Wirst Du zanken, wenn ich Dir soviel Geld vertue? Da schrieb nun heute Deine Mutter, sie hätte Wolle noch für 1 Schlafdecke bekommen, 30 M[ark][,] sie will mir das Vorkaufsrecht lassen, ob ich meinen Eltern eine arbeiten möchte zu Weihnachten [sic].
Nun muß ja wieder der liebe Mann her. Ich bin doch nun arm. Was meinst Du dazu? Wollen wir das den Eltern als Weihnachten schenken? Du müßtest sie bezahlen und ich arbeite sie.
Na sieh, wenn ich nun einmal beim Beichten bin, so will ich auch noch das Letzte sagen. Ich schrieb Dir doch, daß ich den amerikanischen Mantel zum Schneider geschafft hab, weil ich nichts für die Woche im Winter hab. Es wird aber kein richtiger langer Mantel wiederdraus, nur eine halblange Jacke u.[nd] dazu schlug er mir vor, einen schönen, schwarzen Rock (Kammgarn) dann ist es wie [ein] Kostüm, schwarz-weißgemusterte Jacke. Meinst Du, daß ich darf?
Ich bin ein rechter Plagegeist und ein Verschwender, nicht wahr? Nun hab ich für den Rock nichts Warmes, einen Pullover, oder was; müßte höchstens die Pumseljacke [sic] anziehen. Aber elegant sieht das dazu nicht aus, da müßte ich etwas Schickes, Lebhaftes haben; weißt so einen Pullover, wie wir mal in Chemnitz in dem Landarbeitsgeschäft sahen? Ärmel kurz und entweder bulgarische Stikerei [sic] bunt, oder eine gewählte Farbe in Angorawolle. Gibst Gibt’s so was nicht bei Euch da draußen?
Meine Zeit! Du wirst jetzt schon erschrecken über Deine anspruchsvolle Frau. Aber schreib mir nur ehrlich wie Du darüber denkst, ich will nicht eigenmächtig handeln, Liebster!
Heut [sic] früh bin ich auf dem Bahnhof gewesen, hab [sic] mir eine Verbindung geholt. Wir fahren um 1055 in Chemnitz weg u.[nd] ab Dresden 1310 sind schon […] in K. Zu O. fahren wir morgen früh um […] weg mit dem Bus, wir wollen erst noch Deine Angorajacke abholen, wir haben die Punktkarten bekommen. Da können wir sie gleich mal Deinen Eltern zeigen.
Wie ich am Schalter stehe, ist vor mir einälterer Herr mit einem kleinen Mädel an der Hand dran um Auskunft. Er ließ sich die Verbindung nach Kiel herausschreiben. Ich hab tüchtig gespannt. Uniform wie auf Deinen Bild, Schulterstücken: Anker mit einer flammenden Granate, so sah es aus. Er fand es drinnen nicht gleich—wir kamen ins Gespräch. Und ich fragte ihn, ob etwa nach F. führe. Nein, aber nach L., oder so, glaub ich.

Meine Güte! Ich verplappere mir jetzt die ganze Zeit mit Dir. Und ich hab doch noch soviel vorzubereiten für die Reise.
Aber ich mußte auch nochmal richtig mit Dir reden, wer weiß wenn der nächste Brief folgen kann Du!

Die Bilder hast Du immer noch nicht bekommen! Aber am Mittwoch bestimmt.
Wenn noch ein Brief von Dir nach O. kommt, Papa [hat] Weisung von mir, daß er ihn nachschickt.
So, mein Herzallerliebster, Du!

Nun ist aber ernstlich Schluß! Sonst wundert sich die Tante Lene, was ich gemacht hab, wenn sie in ½ Stunde kommt.
Das Wetter ist schön, Herr Lehrer, willst [Du] nicht mit auf Reisen geh[e]n?
Liebster, Du! Wenn Du nun auch nicht dabei sein kannst, in meinen Herzen bist Du doch immer und ewig. Überall, wohin ich mich wende folgst Du mir, als mein getreuer Schatten.
Und wie könnte es anders sein? Wie könnt’ ich’s anders ertragen? Du bist ganz der meine, und Du mußt bei mir bleiben immerdar. Um Nichts in der Welt will ich Dich lassen. Du! Du! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich aus tiefsten Herzen!
Ich bin und bleibe in unwandelbarer Treue
immer Deine [Hilde].
Herzliche Grüße vom Papa! Er steht auf, sollst Dir[‘]s gut gehen lassen.
Ätsch, auch du kannst nicht [‘]ne Stunde länger schlafen, die Sommerzeit bleibt bestehen!