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[OBF-400930-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 30. September 1940.

Liebes, teures Herz, meine liebe, liebe [Hilde], Du!

Wieder liegen 2 Ruhetage hinter uns. Sie brachten mir die ersehnte Gelegenheit, wieder einmal ungestört zurückzudenken, die Möglichkeit auch, dem Lagerbereich wieder einmal zu entfliehen, das Auge schweifen zu lassen über dieses schöne Land. Willkommen das alles. Doch dann die übrigen Stunden, die Abendstunden, spürt man die Leere, denkt man an verlorene Zeit, wünscht man den Dienst herbei, daß die Ausbildung sich auf kürzere Zeit zusammendrängen möchte - - - doch wenn auch, eher läßt man uns deshalb doch nicht laufen, eh die Zeit um ist. Und wann das ist? Geduld, Geduld. An diesen fesseln [sic] rütteln erleichtert nicht. Gestern Sonntag flog der ganze Zug aus wie verabredet nach Strande. Jeder empfing ein Gedeck Kaffee und Kuchen, 4 Stück guten Kuchen, ich habe noch 2 Stück nachbestellt, die Marken dazu kamen von unsrer Verwaltung. Die Zeche dafür trug jeder selbst. Bis gegen 1/2 9 Uhr bleiben wir dort. Mir wurde die Zeit lang. Gegen Sonnenuntergang ging ich an den Strand, ein herrliches Schauspiel, ein farbenprächtiges Widerspiel zwischen den vergoldeten Wolkenballen und dem blaugrünen Meer bot sich dem Auge.

Mit dem Kameraden Sch. bin ich dann wohl eine Stunde spaziert und habe mich mit ihm recht fein über die Probleme unsrer Zeit gesprochen, unsrer Zeit, die auch nach diesem Kriege voll schicksalsschwerer Fragen und Probleme sein wird, die voll ist von Erscheinungen des Verfalls und von Erschütterungen. Sch. ist ledig. Meine abschließenden Worte waren: Das, was uns dann noch bleibt, sind die wenigen Menschen, mit denen man sich versteht. Und für mich setzte ich fort: mit denen uns echte Liebe verbindet, Herzliebes, Du bleibst mir, wenn alles wankt, Deine große Liebe, unsre Liebe, sie bleibt unwandelbar, des bin ganz gewiß! Gott walte es!

Habe ich Dir schon von unserem Kino erzählt? Im Vorprogramm eine Wochenschau, etwa 3 Wochen alt (Göring leitet die Vergeltungsaktion), als Hauptfilm "18 Mädels [sic:] tanzen um die Welt", aus dem Leben einer Berliner Tanzgruppe. Ganz überraschend hielt sich der Film in den Grenzen des Anständigen, aber filmtechnisch war er mager und unbefriedigend, langweilig, immer dasselbe. Heute Montag ein Lichtblick in unserem Rekrutendasein: Der Dienst geht nur noch bis 5 Uhr. Kartoffelschälen wird in die Zeit bis 6 Uhr gelegt, und ab 6 Uhr sollen wir richtig Freizeit haben. Unser Zugführer, der Stabsfeldwebel, fährt nun doch 12 Tage auf Urlaub. Er strahlte, und wir freuten uns mit ihm, weil wir ihn gern mögen. Unser Lagerleiter (und Leutnant) wurde abkommandiert. Sein Nachfolger tritt heute seinen Dienst an. Heute gab's auch Löhnung. Viel Geld, Du! Für jeden Alarm, der hier um Kiel gegeben wird, gibt es 1 M Alarmzulage. Dieses Geld verdienen wir also sozusagen im Schlafe. Es ist gar nicht wenig. Heute beispielsweise erhielten wir 10 M Löhnung und 8 M Zulage. Meine Börse füllt sich. Aber das hätte ich eigentlich nicht schreiben sollen. Sollst Dich auch ein bissel mitfreuen darüber, vielleicht wird ein schönes Weihnachtsgeschenk daraus! Aber das ist nun mein Geheimnis. So gegefährlich und mehrdeutig wie Deine Geheimnisse kann es ja nun nicht sein, Du! Über Dein Geheimnis bin ich nun beruhigt, Herzliebes. Ein bißchen Dummerle war ich doch, das habe ich mir gleich gesagt, als ich den Brief abschickte. Daß Du mir von so bedeutsamen ^Dingen anders als in einer kleinen Randbemerkung Mitteilung machen würdest, das mußte ich mir bei klarem Verstande eigentlich selbst sagen. Du verzeihst mir, Herzliebes! Es war nur die Sorge um Dich.

Ab heute muß unser Zug nun auch Wache schieben. Mittwoch vielleicht bin ich dran, 2 Std. am Tage, vielleicht auch bei Nacht. Kommst dann rasch einmal zu mir geflogen, Herzallerliebste? "Der Posten darf nicht essen, rauchen, sich nicht anlehnen, nicht sprechen, den Postenbereich nicht verlassen". Ach Du, dieser steife Mann würde Dir wohl nicht gefallen - und ich, Herzliebes? Ich würde dann wohl meinen Posten verlassen, und darauf steht harte Strafe.

Nun einiges Geschäftliche: Ein Muster zur Zahlkarte an die Lebensversicherung schicke ich Dir mit. Meine Feder ist entzwei. Du mußt die Karte noch einmal deutlicher und besser abschreiben. Mit dem Termin ist es nicht ganz so ängstlich. Soviel ich mich besinnen kann, erhielt Herr H. von uns bis jetzt 50ℛℳ u. 80ℛℳ, 70ℛℳ blieben noch Rest.

Heute abend erhielt ^ich den sehnlich erwarteten Boten vom Freitag. Vielen herzlichen Dank, Du! [Du] Hast Dich so abgedrascht [sic] und müde gearbeitet, Liebes, und ich hätte Dir nun zum Dank und Lohn so gern die Hände gestreichelt, Dir etwas Liebes gesagt und Dich an meiner Seite ausruhen lassen! Heute gehen nun auch Eure Feiertage zu Ende. Wirst wieder müde sein, vom Besuch, von der Feiertagswirtschaft. Ich habe Dich kaum schon einmal müde gesehen, und ich weiß, wenn ich jetzt käme, da wärest Du ganz munter, Du Wildfang, Du Leckermäulchen, Du Süßes!

Behüte Dich Gott, Herzallerliebste!

Laß Dich küssen, laß Dich ganz lieb haben, laß Dir sagen, daß ich ganz Dein bin, daß ich Dich liebe von ganzem Herzen, Dich allein, heute und immer.

Du! Du!

Dein [Roland]

Bitte grüße die lieben Eltern.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946