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[OBF-400928-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 28. September 1940.

Liebes, teures Herz, meine liebe, liebe [Hilde] Du!

Einen Kirmesgruß hast Du angekündigt, einen Kirmesgruß sollst Du von mir haben, sie sollen sich kreuzen zum guten Zeichen, Du! Wie wird Dich meine Bote treffen, am Montag, dem richtigen Kirchweihtag? Liegst vielleicht noch in deinem Bettlein, das liebe Köpfchen ins Kissen gedrückt? Nimmst mich gleich noch ein bissel mit hinein, Du, bitte, bitte!? Herzliebes, diese Kirmeszeit erinnert uns an die Stationen und das Werden unseres Glückes. So gern lenke ich meine Gedanken zurück zu den geheimnisvollen Quellen unseres Glückes. Da ist der Kirmestag, an dem ich ganz unschuldig Dich fragte, was ich wohl mit den beiden Feiertagen anfangen könnte, die Frage, von der Du so betroffen warst und freudig erschrocken, daß ich vielleicht Deine große Liebe zu mir erkannt haben möchte. Enttäuscht habe ich Dich stehen lassen. Herzallerliebste mein! In einem Deiner letzten Briefe hast Du mir noch einmal Deine große Sehnsucht und heiße Liebe zu mir damals und heute bekannt. Dieses Bekenntnis ist so beglü[c]kend, und hält mich doch jedesmal wieder an, mir Rechenschaft darüber zu geben, daß ich Dich verkannte, daß ich Deine Liebe nicht erwiderte, daß Du den ersten Schritt tun mußtest. Ich habe Dir schon mehrmals darüber geschrieben und ich habe dazu auch Neues nicht zu schreiben. Feigheit war es nicht, Du! Schranken und Zweifel vor diesem bedeutsamen Schritt schon eher.

Ich sah hin nach den [sic] Mädchen, sah aus nach dem Glück und träumte von ihm und stattete es aus mit allen Idealen und Strebungen, die ich kannte, so anspruchsvoll und eigensinnig, wie ich eben sein kann. Und ich machte nur wohl ein Bild von meiner Liebsten, von meinem Schatz. Schön sollte er sein, und doch auch keine flache, hohle Schönheit. Und dann sah ich Dich: der hohe Wuchs gefiel mir wohl, in Deinem Gang lag soviel holde Weiblichkeit — Dein Antlitz war nicht nach meinem Wunschbild, nicht, daß mich etwas empfindlich störte, aber ich verstand nicht wie heute, aus Deinen Augen und von Deinen Lippen zu lesen, darin war ich noch ganz unerfahren, das hast Du mich erst gelehrt. Und dann kam die Zeit, daß Du mir es ganz leicht machtest und mir die Hand reichtest. Warum ergriff ich sie nicht? Ich schlug sie nicht zurück. Aber warum ergriff ich sie nicht? Liebste, Herzallerliebste, hast Du mir das verziehen? Konnte ich ahnen, daß die einzige, die beste, die treueste, die schönste weit und breit vor mir stand? Die einzige weit und breit, die trotz ihrer Jugend so entschieden und 'altmodisch' liebte, daß sie unter dieser Liebe lieber leiden als von ihr lassen wollte? Herzliebes, konnte ich das ahnen, noch dazu in eurer Gegend, in der ich soviel entgegengesetzte Bilder sah? Konnte ich ahnen, daß ein Menschenkind vor mir stand, daß wie kein anderes auf dieser Welt mir so gleichgestimmt war? Und nun hat das Schicksal geholfen, das Schicksal, dem ich schon damals vertraute. Fügen mußte es sich, wenn ein Segen darauf ruhen sollte. Und nun danke ich Gott, daß es mich ein feines Ohr haben ließ für sein Raunen, für seine Möglichkeiten, das mich auch wach bleiben ließ für unsere Möglichkeit. Herzlieb, das habe ich Dir schon gestanden, daß ich in einem Winkel meines Herzens die Hoffnung nährte, daß sich über die Ferne hinweg etwas anspinnen möchte zwischen uns, ein ganz dünnes Fädchen ließ ich, und Wunder, an diesem Fädchen spann sich unser Schicksal weiter.

Herzallerliebste, den liebsten all Deiner Briefe, Du verwaltest ihn jetzt. Nun kamen wir an den Punkt, das Du einzige Dich trafst mit meiner Eigenart. Mein wundes Herz ward überwältigt von Deiner Treue, der Treue, in der sich alle tiefe, große Liebe erst bewähren kann. Mit dieser Treue fandest Du den Weg zu meinem Herzen, sie räumte fürs [sic: für das] erste alle Bedenken aus dem Wege, daß ich schreiben konnte: "Ich habe den Wunsch, Sie kennen zu lernen".

So gewannst Du Dir Deinen Hubo, diesen Kauz, diesen Außenseiter, der es liebt, hintenweg zu gehen, der von der Liebe so altmodische Begriffe (von der Liebe) hat wie Du. Nichts beglückt mich mehr als von Deiner Hand zu lesen, daß Du glücklich bist an meiner Seite und daß auch Du empfindest, daß wir füreinander zu großem, reichem Glück bestimmt sind. Es hat sich gefügt zwischen uns. Der Traum von ^der Liebsten will sich erfüllen. Die beste, die liebste, die schönste ist die meine geworden. Liebes! Einen Schatz habe ich erworben, den ich mit aller Liebe, Treue, den ich mit Stolz trage und hüte.

Und nun der Kirmestag vor einem Jahre. Du selbst erinnerst an ihn. Die Erinnerung daran gibt mir Gelegenheit, Dich mir ^mich dir über etwas zu erklären. Zitternd vor Freude und Glück standen wir voreinander, war es nicht wie die Kinder, ein wenig einfältig und verwundert vor uns selbst? Und doch auch voller Ahnung von dem Augenblick, von dem höchsten Glücke des Einsseins, Du? Lange vorher einmal las ich von dem Siegel vor dem Gärtlein, Du! Mehr als die körperliche hat mich damals die symbolische Bedeutung dieses Ringleins beeindruckt, dieses Symbols der Mädchenehre, der Unberührtheit. Und in das Glück unsrer Lust mischte sich jederzeit die Sorge und das böse Gewissen, ich möchte dieses Sigel [sic] brechen, ehe Du ganz mein seiest. Wir beide liebten einander. Mein und Dein Verlangen trafen sich. Die Menschen draußen, die sich mehr als wir die Köpfe um unsre Liebe zermartert haben mögen, sie werden am ersten zu dem Schluß gekommen sein, daß wir beide einem Abenteuer zum Opfer gefallen seien und nun daraus die Folgerungen zögen. Vor diesen Menschen, aber auch vor uns selbst, den Ernst und die Tiefe unsrer Liebe zu behaupten, war mein fester Wille. Zum anderen aber bewegte mich der Gedanke: daß, wenn unserem Bunde das Schicksal hindernd sich entgegenstellte, Du auf jeden Fall achtbar und ehrbar zurücktreten könntest. Schändlich und furchtbar wäre es mir, wenn mir die Menschen nachredeten, ich hätte ein Mädchen mißbraucht. Achtung vor allen Menschen, vor Mädchen und Frauen besonders, vor dir aber allermeist, Herzliebes, heute noch und immer trotz unseres tiefsten Vertrautseins beseelt mich. Diese Achtung hat mich gehindert, dich zu rauben, wie es wohl vieler Männer Art und vieler Frauen Wunsch ist, sie wird mich allezeit hindern, gegen Deinen Willen Rosen zu pflücken im Gärtlein. Liebste! Nicht Magd und Dienerin und Sklavin sollst Du sein der Laune Deines Mannes, sondern allezeit möchte ich Dich sehen als Herrin des Gärtleins, von der ich mir das Schönste schenken lasse. Mein Verlangen und Dein Darbringen müssen sich begegnen, müssen einander entgegengehen den halben Weg, wenn ich gan[z] glücklich sein soll. Herzliebes! Daß Du mein Empfinden verstehst, habe ich beglückend schon gespürt. So wie wir Hand in Hand geschwisterlich durch die Straßen schreiten, so will ich Dich gleichachten als meine Lebensgefährtin, meine liebe Frau, gleichachten in Deiner Persönlichkeit, Deinem Willen. Herzliebes! Du schreibst, daß Du mich weit über Dir stehen sahest, wenn Du an die trautesten Stunden des Glücks dachtest. Das würde bedeuten, daß ich mich hätte herablassen müssen zu Dir, daß mich die Liebe zu Dir herniedergezogen hätte. Du! Nie war ich erhaben über die Dinge und Regungen der Liebe. Und wenn es den Anschein hatte und wenn ich meine Sehnsucht verbarg, dann deshalb, weil es die anderen Menschen nicht sehen sollten, weil ich es als das Heimlichste vor den anderen verbarg, und darin, das weiß ich, bin ich ganz wie Du geartet. Herzallerliebste! Noch nicht einen Augenblick hatte [ich] das Gefühl, daß Du meiner unwert bist, aber schon immer das glückhafte Bewusstsein, daß Deine Liebe ein unersetzlicher Reichtum, ein köstlicher Schatz, ein Geschenk des Himmels ist.

 

Viel Gelehrsamkeit, viel Scharfsinn, viel Höflichkeit ist in der Welt — bei Dir fand ich das seltene Geschenk eines großen Herzens voll Liebe und Güte. Viel wilde, böse Lust, und Gier und darauf öde Leere ist in der Welt — an deinem Herzen fand ich tiefste Geborgenheit, in deiner holden Nähe erlebte ich das Glück erst weiblicher Hingabe. Liebste! Du! Stolz darfst Du sein im Inner[e]n Deines Herzens und mein größtes Glück ist es, daß Du mich Deiner für wert hältst, daß Du mich als allerersten und einzigen in Dein Herz geschlossen hast.

 

Herzallerliebste Du! Nimm diese Zeilen als Dank und Ausdruck meiner großen Liebe zu Dir!

 

Ich sehne mich nach deiner Liebe, nach Deinem Herzen, nach Deiner Nähe, Du liebe, holde.

 

Gott schenke uns eine friedliche, glückliche Zukunft.

 

Er halte seine Hand über unseren Bund, daß wir unsere Liebe halten und nicht verderben.

 

Ich liebe Dich von ganzem Herzen und bleibe für immer in Treue

 

Dein [Roland].

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946