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[OBF-400926-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag den 26. September 1940.

Mein liebes, teures Herz, Du, meine liebe [Hilde]!

Wenn ich auch heute von Dir kein Zeichen erhalte (woran ich übrigens nicht glaube), so will ich doch nicht vergessen, Dich, wie ich hoffe mit einigen Zeilen zu erfreuen über Deiner großen Kirmesarbeit. Nun ist es doch dahin gekommen, daß wir uns täglich schreiben, ganz von selbst ist es dahin gekommen, und Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Gestern konnte man bei uns viele enttäuschte Gesichter sehen: Unsre Ausbildungszeit ist bis zum 31. Oktober verlängert worden! Erst hieß es 14 Tage, dann rechneten wir mit 4 Wochen und nun werden es reichlich 8 Wochen. Was ich dazu sage? Da kann man halt nix machen. Unser Zugführer selbst ist bitter enttäuscht. Er kommt mit uns weg, es ist ihm hier zu öde, außerdem rechnete er mit Urlaub nach unsrer Ausbildung. Der Trost darüber ist ein mannigfacher: Soldat sein müssen wir hier und dort. Ob wir es dann besser treffen, ist die Frage. Es gibt Schreiberstellen bei der Kompanie, deren Unterkunft der Bunker ist. Wir sind jetzt hier ganz gut eingerichtet. Außerdem bleibt die Möglichkeit, daß wir jeden Tag abberufen ^werden können. "Bei der Marine ist alles möglich" ist hier auch bei den Vorgesetzten ein geflügeltes Wort. Da fällt mir ein: Wir dürfen z.B. [bei Frauen] unterhaken, was Soldaten von anderen Truppengattungen nicht dürfen. Ist das nicht ein Vorzug?

Ein paar Fragen aus vorangegangenen Briefen haben [sic] ich Dir noch nicht beantwortet. Von den beiden Oberfrohnaern U. und K. habe ich nichts gehört. Sie sind gewiß von Stralsund aus anderen Abteilungen zugeteilt worden. Von dem Bombardement des Friedhofs in Rendsburg haben wir hier nichts erfahren.

Rendsburg liegt nicht weit ab von uns. Aus den Briefen von Kameraden geht hervor, daß in den letzten Nächten Engländer wieder in Sachsen gewesen sind: Grumbach bei Freital. In Elsterwerda sollen 6 Bomben geworfen werden sein. In der Nacht zum Dienstag hat es bei uns kurz geballert. Alarm ist hier in Schleswig-Holstein fast jede Nacht, aber das ist ja zunächst nur eine Warnung und bedeutet noch nicht, daß die Flieger wirklich kommen.

Jetzt will ich zur Erheiterung ein paar Ausdrücke aus dem Lexikon der Kosenamen, wie sie hier üblich sind, auführen [sic]: lausiges, müdes Volk! ihr  Lümmels! Sie müder Braten! Sie müder Vogel! Diese Ausdrücke mußt Du Dir nun schon im Munde des Feldwebels gerundet und mit dem nötigen Akzent vorgetragen denken. Unser Zugführer ist Ostpreuße, hinter seinem Grollen steht unmittelbar das Lachen und Spotten.

Ein paar Wünsche: Ich wäre Dir recht dankbar, wenn Du mir mal ein paar Äpfel schicken könntest, wir kriegen hier ganz wenig Gemüsliches und Obstliches. Dem Päckchen kannst Du auch ein Tube Biox beilegen, diese Zahnpasta bekomme ich hier nicht in der Kantine.

Du sprichst vom Gutfolgen. Bei uns ist hier schönstes Wetter. Ich sitze hier zur Mittagspause im Freien und sonne mich.

Herzallerliebste! Ich war heute schon um 4 Uhr munter und meine Gedanken und Empfindungen kreisten dann um Deinen lieben Boten von Gestern, Du Liebe! Aber bis zum Sonntag ist nicht Muße, meine Gedanken und meinen Dank darüber wiederzuschreiben. Mußt Dich gedulden, Liebes!

Es ist wieder abend. Eben erhielt ich Dein Päckchen mit Eurem mühsamen Liebeswerk. Kein anderes Zeichen könnte mir besser Dein und Deiner lieben, ja auch nun meiner lieben Mutter mütterliche Fürsorge deutlich machen. Ich weiß, mein liebes Herz, welch sicheres Fundament diese Tugend für unser Glück bildet. Und soviel Süßigkeit habe ich lange nicht mehr gekostet, seit ich von Dir weg bin.

Eben ist die Kinovorstellung beendet. Heute war sie nun. Wirst aus der Singstunde heimkommen. Siehst auch mal nach den Sternen, Du? Zwei sind Du und ich, ein großer und ein kleiner, wollen wir uns darum zanken? Ach Du, ich will gern der kleine sein und den schönen, großen bewundern. Behüt Dich Gott, Herzliebes. Gleich will ich schlafen gehn. Liegst Du wohl schon im Bettchen, Liebes, Süßes, Du? Ich liebe Dich, Du! Ich bin Dein, ganz Dein für alle Zeit

Dein [Roland].

bitte, grüße die lieben Eltern, der lieben Mutter aber einen ganz besonderen diesmal!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946