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[OBF-400924-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 24. September 1940.

Herzallerliebster! Du, mein lieber, lieber [Roland]!

Die vierte Woche hast Du schon begonnen, als Matrose, als Soldat. Wo ist die Zeit hin? So muß man sich fragen.

Und was mir anfangs schier unüberwindlich schien, die Trennung von Dir, das ist Gewohnheit geworden. Gewohnheit nicht in dem Sinne wie das Wort lautet. Besser gesagt, es ist mehr ein geduldiges Fügen in etwas Unabänderliches. So bescheiden sind wir geworden in dieser Zeit, und wir fügen uns ohne Murren [in] alles - wir müssen. Was könnte hier der Einzelne ausrichten, wollte er sich auflehnen? Unsere Zeit verlangt Opfer, und was wir beide jetzt bringen, gewiß es ist auch ein Opfer. Aber Liebster, wenn ich bedenke, wieviel schwererer, grausamerer Art schon Opfer gebracht worden sind von Menschen, die genau so glücklich, genau so jung und hoffnungsvoll vor der Tür ins gemeinsame Leben standen, dann werde ich ganz stumm und auch die kleinste Bitternis, der letzte Kummer über Dein Fernsein schwindet. Wie so dankbar müssen wir dem Herrgott sein dafür, wie er mit uns fügte. Ich weiß Dich nicht in unmittelbarer Gefahr. Das allein schon ist mir Trost. Und überall, wohin Du auch gehen wirst, ist Dein Beschützer mit Dir. Das ist mir die schönste Gewißheit, das ist, was mir die Kraft gibt auszuharren, ohne zu verzweifeln. Was wären wir ohne Glauben?

Wo der Menschen Verstand zu Ende ist, wo der Menschen Rat wertlos ist, da kommt die erschreckende, kalte Leere so vielen entgegen. Aber uns, die wir glauben ist nicht so, überall wo Menschengeist uns verläßt, spüren wir den starken Arm Gottes, der uns umfängt und nicht fallen läßt auf dieser Welt. Ist es nicht wunderbar? - Zu denken, daß so viele noch im Dunkel gehen, wie glanzlos gehen sie durch die Tage.

Kirchweihfest will nun werden. Alles rüstet schon darauf im Ort. Man schrubbt und putzt. Die Bäckerei wird zusammengetragen. Heute noch will ich mit Dir feiern, mein Lieb - morgen dann lasse ich mich anstecken von dem geschäftigen Treiben. Es ist so Sitte, daß der Jahreszeit angepaßt das letzte Mal, bevor der Winter kommt, alles gründlich gesäubert wird. Wie z.B. Sofa draußen klopfen, Federbetten lüften, Wände abkehren, Öfen ausputzen, Gardinen frisch machen, Fenster und Doppelfenster waschen und vieles m[eh]r. Ich werde mit all dem schon allein fertig werden. Sonnabend früh backen wir 2 Kuchen, Pflaumen und Apfel. Anderen, als Obstkuchen[,] kann niemand backen, es fehlt an Zutaten. So gerne würde ich Dir davon eine Kostprobe schicken! Aber paar Tage abgeschlossen von der Luft in Pappkarton nassen Kuchen verschicken, das verträgt sich nicht. Ich werde Dir schon einen Kirmesgruß zurechtmachen, Liebster! Und wenn er Dich auch erst nach der Kirmes erreicht, weil mir's nun an der Zeit fehlen wird. Am Sonnabend werden die Chemnitzer hier eintreffen, da will ich dann fertig sein. Wie herrlich wär es nun, könnte ich Dich auch empfangen, Du!

Ach, Liebster! Vor einem Jahre, Du! Denkst auch Du zurück?

"Wer aus mir trinkt, will immer mehr."

Ein volles Jahr ist das Geheimnis mir nun unser, Du!

Ich meinte, die Welt müßte versinken, so voller Glück und Süße, so voller Seligkeit war mir der Augenblick. Da wußte ich, daß nie im Leben ein and[e]rer würde Deinen Platz in meinem Herzen ausfüllen können, Du! Daß mir soviel Glück geschehen konnte, wirklich soviel Glück! Ich hätte es vorher nicht geglaubt. Nur in meinen Träumen, in meinen Vorstellungen lebten diese Bilder. Und daß ich das alles mit Dir erleben durfte, mit Dir, Du! Das war so überwältigend für mich. Du lebtest so nur in meinen Träumen. Wenn ich an diese Liebe dachte, so standest Du so weit, weit über mir. Und daß überhaupt im Leben jemals Du mir so ganz gehören würdest, das hatte ich damals immer für unmöglich gehalten.

Wie maßlos, wie unendlich ich Dich liebte all die Zeit, das wußte, das fühlte niemand. Auch Du nicht. Und ich hatte mich i[m] Innern schon so an den Gedanken gewöhnt: Du wirst wohl diese große, übernatürliche Sehnsucht immer durchs Leben tragen müssen. Denn eines stand fest. Wenn nicht Du, einem anderen hätte mich niemals schenken können. Ich hätte es nie gekonnt. Verstehst Du das? Und wenn ich darum niemals im Leben die Liebe kennen gelernt hätte. Ich hab Dich viel zu lieb, daß ich auch nur einen Gedanken an andere verschwendet habe, darum. Und weil nach dieser Stunde keinen Augenblick auch nur eine Leere zwischen uns war, darum bin ich so voll Glück, Du! [Un]d darum habe ich schon so viel Angst, so viele dunkle Gedanken gehabt, Liebster! Du konntest das immer nicht verstehen.

Ich hatte Angst vor dem Glück, weil es so groß ist. Kaum im Leben kommt es vor, daß man dem Menschen angehören darf, den man von ganzem Herzen, aus tiefster Seele liebt. Das Schicksal ist meist so hart. Wer mußte nicht erst durch eine Enttäuschung, ehe das Glück kam? Und doch nicht das, dessen Bild uns in der Seele stand?

Und ich liebte Dich so unsagbar, so lange schon, und ich konnte und konnte Dich nicht mehr lassen, nimmermehr. Und dann eines Tages kamst Du mit Deiner Liebe, kam das große Glück und ich stand überwältigt, erschrocken im Innern; bangend, daß es nur ein kurzer Traum - weil es mir zuviel des Glückes schien. Und diese innere Unruhe, sie ist erst vorüber, seit wir unseren Bund vor Gott und vor den Menschen geschlossen haben.

Nun weiß ich, bin ich Dein, ganz Dein, und Du bist mein! Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht scheiden. Nun sind wir im Bunde mit unserem Vater, er weiß alles, was wir tun. Er billigt unseren Schritt, das fühlen wir täglich auf's [sic: auf das] Neue durch seine Gnade und Güte. Und nun bin ich ruhig im Herzen, wir stehen in seiner Hand.

Nun mag kommen, was will - es kommt von unserem Vater im Himmel, der auch Dein Vater ist.

Nach Eckernförde sollst Du mit. Ich meine, das ist gut. Ihr kommt so mehr vom Zentrum der großen Stadt Kiel weg. In Eckernförde ist eine Marineschule, ob Du dahin in die Schreibstube kommst? Ein Georg W. aus Limbach ist da, das ist der Schwager von einer Bekannten von uns.

Dieser Walter U. aus Oberfrohna, nach dem ich Dich schon einmal fragte, sei aufs Schiff gekommen und würde da ausgebildet, wä[h]rend sie gegen den Feind fahren. Ich kann das nicht glauben. Ist das möglich? Sag?

Gestern nachmittag kam Dein lieber, schneller Bote! Sei recht herzlich bedankt, Liebster! Es sah bös aus, mit der schwarzen Masse; ich habe nur monatlich 1 mal zu beanspruchen.

Ich ging ihnen aber nicht von den Fersen, ich hab ein Wäschepaket zu schicken. [sic] sagte ich u. das kann ich doch nicht so sang- u. klanglos wegschicken. Und siehe, trotz der Leere im Laden brachte sie Pralinen unter dem Ladentisch herauf. Ja, das Fräulein K.. Ich hab sie in eine Schachtel gefüllt von Gero, von früher.

Wenn Du brav bist, das wird sich am Wetter zeigen, kriegst Du sie; sonst esse ich sie alle auf!!

Die Eltern haben sich ja so sehr gefreut über Deinen lieben Brief, Du! Mutter wird Dir schon wieder mal schreiben.

Ach, die sind doch neugieriger als ich, sie fragen jeden Tag: Hat [Roland] geschrieben? Was macht er denn, wie geht's im denn? Ich weiß manchmal garnicht, was ich ihnen erzählen soll, wenn Du mir einen recht lieben Brief geschrieben hast, in dem wenig [Ne]ues steht! Ist das alles? Sagen sie dann. Jaja, so geht's mir.

Deine lb. Eltern schrieben auch einen Dankbrief. Sie haben sich recht gefreut. Das ist schön. Sie wären zu Haus geblieben, wegen dem schlechten Wetter. Eben erhalte ich eine Ansichtskarte vom Vater, aus dem Zittauer Gebirge, der Lausche; er hat's doch nicht ausgehalten daheim! Auf [ein] paar Tage ist er dort; Waltersdorf, davon hast Du wohl schon mal erzählt? Oder irre ich mich.

Am nächsten Sonnabend, am 5. Oktober wollen Mutsch u. ich nach Kamenz fahren. Halt den Daumen fest, damit's schön ist, Du! [Ob] ich Dir da auch jeden Tag schreiben kann? Ich schäme mich da vor Deiner Mutter, Du! Sie soll nicht wissen, daß ich Dich so lieb hab. Am Festtag Deiner Ausbildungsschlußparade möchte ich wohl gerne mit Dir sein, Liebster! Hol, Dir keinen Schwips! Hol Dir kein Hafenliebchen! Das wär alles, was ich wünsche. Nein. Einen recht glücklichen Abschluß und viel Glück u. Segen auf die [sic] neue Fahrt, mein [Roland]! Gott sei mit Dir!

Du! Herzallerliebster aber sei ganz gewiß, daß ich Dich liebe, Dich allein, von ganzem Herzen und in unverminderter

Treue bin und bleibe [ich]

Deine [Hilde].

Viele herzliche Grüße von den Eltern.

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946