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[OBF-400921-001-02]
Briefkorpus

Sonnabend den 21. September 1940

Herzallerliebste, Du meine liebe [Hilde]!

Ich habe mich beiseitegestohlen, sitze draußen und lasse mir die Sonne auf den Buckel scheinen. Ich will Dir jetzt einiges von den Kameraden auf der Stube erzählen. Wir liegen also 19 Mann auf der Stube. Unser Johann ist am Mittwoch zurückgekehrt. So, nun will ich mal der Reihe nach gehen, mal sehen wie weit ich komme. Der Reihe nach, das ist der Größe nach. Mit unsrer Stube bilden wir eine Gruppe, drei Gruppen bilden einen Zug, 2 Züge eine Kompanie. Jede Gruppe hat einen Gruppenführer oder Korporal, das ist für uns Feuerswerksmaat D.. Dazu noch einen Exerziergefreiten. Das ist bei uns ein baumlanger, gutmütiger Kerl, Tischlersohn aus Schleswig, R. mit Namen. Auf einem Bilde wird er gelegentlich mit erscheinen. Also, ich beginne nun. Nr. 1 H. aus Zittau, seines Zeichens ein Lebensmittelkleinhändler, ich glaube 05 geboren, schon ein Graukopf, ein Rundkopf mit Henkelohren, platter Nase, ein gutmütiger Mensch, vielleicht ein wenig kleinlich ^und Haus backen. In Stralsund war er für ein paar Tage unser Stubenältester. Er teilt die Rationen, Wurst, Käse, Butter. Dieses Amt macht ihm niemand streitig, und er versieht es mit der ^wichtigen Gewissenhaftigkeit eines Krämers. Nr. 2 N., Versicherungsagent, ebenfalls aus Zittau, jetzt unser Stubenältester, etwas rechthaberisch, mit der Wendigkeit eines Advokaten versucht er stets recht zu behalten. Nr. 3 Z., Reisender in Ölen und Fetten aus Bautzen, gebürtiger Berliner, bedient sich seiner "schönen" Muttersprache auch im täglichen Umgang, eine stattliche, korpulente Erscheinung, ein Genußmensch, besucht täglich die Kantine, schnäpselt dazu noch aus einer Privatflasche, erhält oft große Pakete mit jetzt allerhand raren Sachen, als die sind Salamiwurst, oder beste Bonbonnieren, ich muß an Deinen Onkel M. denken, er hat anscheinend auch viel Geld, hat zum Bergfest mehrere Runden gegeben und zu meinem Verwundern von seinen Kostbarkeiten freigebig ausgeteilt. Zu diesem Menschen könnte ich absolut kein Verhältnis finden.  Nr. 4 F,^S.. ein typischer Dresdner, dauernd ein wenig muckend und raisonnierend, von schlapper Haltung, die ihm mancherlei Schwierigkeit einträgt, dazu hat er einen Knieschaden, wenn er was verhauen hat, ist er sofort dabei, sich zu rechtfertigen. Nr. 5 S., Finanzbeamter aus Hellerau, mein rechter Nebenmann, eine Type, ein Schalk, wir necken uns manchmal. Beim Exerzieren müssen wir einander kommandieren. Diese dienstliche Pflicht dehnt er dann gern auch auf die Freizeit aus. Gestern kostete ihn diese Neckerei eine Ehrenrunde um den Kasernenplatz. Er glaubte sich unbeobachtet und stellte sich kommandierend vor unsre Gruppe. Aber der D. hatte es doch bemerkt. S. ist Junggeselle, er begreift nicht, was wir einander immer zu schreiben haben. Wenn er nur wüßte, daß ich ihn jetzt abmale für Dich. Nr 6 ein gewisser [Nordhoff], seines Zeichens ein Lehrer, ein wenig Außenseiter, raucht nicht, trinkt nicht, geht abends philosophierend über den Exerzierplatz, ganz jung verheiratet, Sensation! mit einer 20 Jährigen, aus den Flitterwochen zu den Soldaten geholt, empfängt fast täglich Kost von seiner jungen Frau, und wenn man ihn sieht, dann schreibend - an seine junge Frau, na, kein Wunder, nach 6 Wochen hat man sich noch mancherlei zu sagen, gleich zu Beginn erhielt er einen Brief von 14 Seiten!, sonst ist er ein stiller, etwas schweigsamer Junge, stilles Wasser! ein guter Kamerad mit stets gleich bleibender Miene, scheut sich vor keiner Arbeit, lächelt auch noch, wenn er abkommandiert wird, das Schießhaus zu säubern, er ist unser Feuermann, und wenn alles in der Koje liegt, steht er noch einmal auf, und öffnet die Fenster, und alle respektieren zufrieden schmunzelnd dieses feierliche Amt. Nr. 7 M., aus Zwickau, ein weicher, unsoldatischer Mensch, schlecht gebaut, was ihm viel Schwierigkeiten ^macht, dazu zaghaft und ängstlich aber sehr gutmütig, er ist dauernd dran beim Exerzieren. Nr. 8 K., eine behaarte, mannbare Erscheinung, aus der Eiffel gebürtig, wohnhaft in Wurbis, an der Arbeit in Großpostwitz bei Bautzen, also dem Ort meiner ersten 6 jährigen Wirksamkeit, er hat sich das Rollen schon ganz schön angewöhnt, ein recht gut zu leidener, liebenswürdiger Kamerad. Nr. 9 F. aus Elsterwerda, etwas dicklich und bequem, läuft stets etwas gedrückt umher, anlehnungsbedürftig, ganz von selbst hält er sich manchmal an mich, nennt mich als einziger [Roland], was mir ganz wunderlich vorkommt. Nr. 10 H., aus Pirna, Teilhaber des väterlichen Holzverarbeitungswerkes, gut gestellt, hat einen erstaunlichen Gesichtskreis und gutes Urteil, wenn mir dieses etwas pappige, schnoddrige Dresdner Deutsch nicht wäre! Mit ihm kann man sich auch mal über etwas abliegende Probleme unterhalten.

Das mag mal fürs erste genügen. Die übrigen mal ich Dir andermal ab. Es ist Sonntagvormittag. Ein herrlicher Septembertag, ein Nachsommertag kündigt sich an. Eben haben wir erfahren, daß es heute wieder Ausgang gibt nach dem Mittag bis abends 18 Uhr.

Liebes, treues, Herz! Gestern abend schon kam dein lieber Sonntagsbote. In der Singstunde warst Du, hast höflich und mit Abstand die zudringlichen und neugierigen Blicke abgewehrt. Recht so. Zur nächsten Singstunde werde ich einen Kartengruß schicken. Was für hohen Besuch Du da empfängst! Steht da etwa irgendwie ein Pferdefuß heraus? Mitgliedschaft im christlichen Frauendienst? Ich bin gegen jede Vereinsmeierei der Kirche. Sie ist nichtsdestoweniger ein notwendiges Übel, und wo die Umwelt zu einem Bekenntnis herausfordert, wird man nicht nun umhin können, beizutreten. Für uns liegt dazu gegenwärtig keinerlei Veranlassung vor. Das bringt mich gleich auf ein paar geschäftliche Hinweise:

1) Bald ist der Monatserste:  Lebensversicherung auf der Post einzahlen. 2) 2. Rate Ehestandsdarlehen.

Hast Du Herrn H. den Rest auf unsre Auflagen schon geschickt? (Postanweisung). Ich besinne mich im Augenblick weder genau auf den Preis noch auf uns[e]re letzte Abzahlung noch auf die Restsumme. Vielleicht hast Du die Zahlen im Gedächtnis behalten.

Du fragst nach meiner neuen Braut.

"Das Gewehr 98 wurde im Jahre 1898 als kriegsbrauchbare Waffe in Heer und Marine eingeführt. Es ist eine gute Schußwaffe und Hiebwaffe und in Verbindung mit dem Seitengewehr eine brauchbare Stichwaffe."  Hast Du's  nun mitgekriegt? Das ist des Soldaten Braut:  Vorsicht, ich kratze, beiße und spucke! Auf die brauchst Du nicht eifersüchtig zu sein.

Wenn wir das Ding nun auch in- und auswendig kennen, ich bin froh, wenn ich es in den Gewehrschrank stellen kann[.]  Es wiegt 9 Pfund  und ist meiner leichten, lockern Hand zu schwer. Aber der Nummer nach ist es wohl die rechte Braut: 5813.

Herzliebes! Du hast mir so oft geschrieben und soviel geschickt diese Woche! Ich danke für alle Liebe, die Du mir damit erweist. Ich ersehe daraus, das Du mich so suchst wie ich Dich, daß ich Dir fehle wie Du  mir, daß Du Dich sehnst wie ich mich nach Dir. Bei Dir ist meine Heimat, meine Freude, alle Schönheit und Süßigkeit, Du! Alles Planen und Weiterleben ist nicht denkbar ohne Dich! Ich bin glücklich, daß Du mich festhältst, ganz fest, Du! Und ich mag Dich nimmermehr lassen, mag nur bei Dir sein, mag mir in Deinen Armen ruhen. Herzliebes! Nun ist aus Morgen und Abend wieder ein Tag geworden. Er hat gehalten, was der Morgen versprach. Einzelne Haufenwolken segelten über den Himmel, Altweibersommer flog durch die Luft, die ein wenig frisch und herbstlich vom Meere herüberstrich. Ihm galt mein Besuch heut nachmittag. Es gab sich, daß ich ganz allein losschlenderte, es war mir lieb. Das Meer überraschte mit einem seltenen Anblick: glatt und eisblau, dunkelblaue Strähnen und Bahnen ^drin, zum frieren, aber schön, unirdisch schön, ich liebe diesen Anblick, zumal, wenn sich das Meer absetzt gegen die mütterliche Erde, gegen den ragenden Wald. Das Rätsel der Elemente dieser Erde schaut uns nirgends freier und deutlicher entgegen. Mit Dir in friedlicher Ferienzeit hier zu wandeln, was könnte ich mir lieberes wünschen? Das Ziel meines Ausflugs war der Leuchtturm, am Eingang der Kieler Bucht gelegen. Zum Leuchtturm gehört eine kleine Wirtschaft. Kaffee und 1 Stück Apfelstrudel, mehr gab es nicht. Ja, und nun bin ich wieder Heimwärts geduselt, allein, ich hatte nicht Lust mich zu anderen zu gesellen. Ach Liebste, so müssen wir nun wieder getrennt, [sic] laufen, der Gedanke nähert sich so rasch, es sei verlorene Zeit, und es ist doch Unrecht, so zu denken. Das sagt ja auch unser Trauspruch.

Ein Bild kann ich Dir heute beilegen auf die Gefahr hin, daß Du davon enttäuscht bist. Vorigen Sonntag erschien ein Photograph und hat die ganze Kompanie mit seiner Kunst beglückt, für unseren Truppenausweis brauchen wir solches Bild. Heute ist die ganze Kaserne voll Geschimpfe über diesen Stümper. Etliche Kameraden haben die Bilder gleich zerrissen. Ich bin nicht ganz unzufrieden damit. Und bis ich Gelegenheit habe, ein neues zu erhalten, mußt Du Dich mit diesem begnügen. Es ist nicht ganz unwahr. Ich habe ganz fest an Dich gedacht, als ich so Modell saß. Etwas von der Härte ist drin, auf die ich Dich schon vorbereitete.

Herzallerliebste! Nun will ich mein Schreiben schließen, nicht ohne Dir zu sagen, daß ich Dich von ganzem Herzen liebhabe. Manchmal denke ich, wie das einmal anders zu sagen wäre; aber vor diesem Geheimnis, vor dieser Gewalt, versagen die Worte. Dann steigen nur die Tage unseres Glückes auf, des glücklichen Wandelns Seite an Seite, die traulichen Stunden der Erholung, des Ratens und Planens, und Liebste, die süßen Stunden in Deiner Nähe. Und mit diesen Bildern die Sehnsucht nach ihrer Wiederkehr, mit der Sehnsucht nach Dir, Herzlieb!

Darfst nicht zu schwarz sehen mit dem Urlaub. Wenn nicht bis, so doch bestimmt zu Weinachten, Herzliebes, wenn wir überhaupt einmal Rechnungen anstellen wollen. Wenn ich nur erst einmal an meinem vorläufigen Bestimmungsort bin, will ich schon auch noch nach anderen Möglichkeiten Ausschau halten. Mancherlei kann dazu noch von der politischen Entwicklung abhängen, schnell kann irgendeine Entscheidung heranreifen. Und dann wollen wir nicht vergessen, unserem guten Stern zu vertrauen und uns daran zu halten, daß es kommt, wie Gott es haben will.

Ich aber will mich bis dahin mit der Freude trösten, daß ich Dich habe, daß Du mir bleibst, mein teures Weib, meine liebe, treue Frau, mein Schatz, mein Reichtum, mein ein und alles, daß über dem Wandel und der Unrast dieser Tage fest und unerschütterlich un[se]re Liebe steht, über der Gott schützend seine Hand halten möge! Gott behüte Dich auf allen Wegen! Bleibe froh und gesund. Ich küsse Dich, Du! Ich liebe Dich von ganzem Herzen!

Ich bin ganz Dein heute und immer!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946