[400921–1‑2]
Sonnabend den 21. September 1940
Herzallerliebste, Du meine liebe [Hilde]!

Das mag mal für[‘]s erste genügen. Die übrigen mal ich Dir [ein] ander[n]mal ab. Es ist Sonntagvormittag. Ein herrlicher Septembertag, ein Nachsommertag kündigt sich an. Eben haben wir erfahren, daß es heute wieder Ausgang gibt nach dem Mittag bis abends 18 Uhr.
Liebes, treues, Herz! Gestern abend schon kam dein lieber Sonntagsbote. In der Singstunde warst Du, hast höflich und mit Abstand die zudringlichen und neugierigen Blicke abgewehrt. Recht so. Zur nächsten Singstunde werde ich einen Kartengruß schicken. Was für hohen Besuch Du da empfängst! Steht da etwa irgendwie ein Pferdefuß heraus? Mitgliedschaft im christlichen Frauendienst? Ich bin gegen jede Vereinsmeierei der Kirche. Sie ist nichtsdestoweniger ein notwendiges Übel, und wo die Umwelt zu einem Bekenntnis herausfordert, wird man nicht nun umhin können, beizutreten. Für uns liegt dazu gegenwärtig keinerlei Veranlassung vor. Das bringt mich gleich auf ein paar geschäftliche Hinweise:
1) Bald ist der Monatserste: Lebensversicherung auf der Post einzahlen. 2) 2. Rate Ehestandsdarlehen.
Hast Du Herrn H. den Rest auf uns[e]re Auflagen schon geschickt? (Postanweisung). Ich besinne mich im Augenblick weder genau auf den Preis noch auf uns[e]re letzte Abzahlung noch auf die Restsumme. Vielleicht hast Du die Zahlen im Gedächtnis behalten.
Du fragst nach meiner neuen Braut.
“Das Gewehr 98 wurde im Jahre 1898 als kriegsbrauchbare Waffe in Heer und Marine eingeführt. Es ist eine gute Schußwaffe und Hiebwaffe und in Verbindung mit dem Seitengewehr eine brauchbare Stichwaffe.” Hast Du’s [sic: Du es] nun mitgekriegt? Das ist des Soldaten Braut: Vorsicht, ich kratze, beiße und spucke! Auf die brauchst Du nicht eifersüchtig zu sein.
Wenn wir das Ding nun auch in- und auswendig kennen, ich bin froh, wenn ich es in den Gewehrschrank stellen kann[.] Es wiegt 9 Pfund und ist meiner leichten, locker[e]n Hand zu schwer. Aber der Nummer nach ist es wohl die rechte Braut: 5813.

Herzliebes! Du hast mir so oft geschrieben und soviel geschickt diese Woche! Ich danke für alle Liebe, die Du mir damit erweist. Ich ersehe daraus, das Du mich so suchst wie ich Dich, daß ich Dir fehle wie Du mir, daß Du Dich sehnst wie ich mich nach Dir. Bei Dir ist meine Heimat, meine Freude, alle Schönheit und Süßigkeit, Du! Alles Planen und Weiterleben ist nicht denkbar ohne Dich! Ich bin glücklich, daß Du mich festhältst, ganz fest, Du! Und ich mag Dich nimmermehr lassen, mag nur bei Dir sein, mag mir in Deinen Armen ruhen. Herzliebes! Nun ist aus Morgen und Abend wieder ein Tag geworden. Er hat gehalten, was der Morgen versprach. Einzelne Haufenwolken segelten über den Himmel, Altweibersommer flog durch die Luft, die ein wenig frisch und herbstlich vom Meere herüberstrich. Ihm galt mein Besuch heut[e] nachmittag. Es [er]gab sich, daß ich ganz allein losschlenderte [sic: los schlenderte], es war mir lieb. Das Meer überraschte mit einem seltenen Anblick: glatt und eisblau, dunkelblaue Strähnen und Bahnen [^]drin, zum frieren, aber schön, unirdisch schön, ich liebe diesen Anblick, zumal, wenn sich das Meer absetzt gegen die mütterliche Erde, gegen den ragenden Wald. Das Rätsel der Elemente dieser Erde schaut uns nirgends freier und deutlicher entgegen. Mit Dir in friedlicher Ferienzeit hier zu wandeln, was könnte ich mir lieberes wünschen? Das Ziel meines Ausflugs war der Leuchtturm, am Eingang der Kieler Bucht gelegen. Zum Leuchtturm gehört eine kleine Wirtschaft. Kaffee und 1 Stück Apfelstrudel, mehr gab es nicht. Ja, und nun bin ich wieder Heimwärts geduselt, allein, ich hatte nicht Lust mich zu anderen zu gesellen. Ach Liebste, so müssen wir nun wieder getrennt, [sic] laufen, der Gedanke nähert sich so rasch, es sei verlorene Zeit, und es ist doch Unrecht, so zu denken. Das sagt ja auch unser Trauspruch.
Ein Bild kann ich Dir heute beilegen auf die Gefahr hin, daß Du davon enttäuscht bist. Vorigen Sonntag erschien ein Photograph und hat die ganze Kompanie mit seiner Kunst beglückt, für unseren Truppenausweis brauchen wir solches Bild. Heute ist die ganze Kaserne voll Geschimpfe über diesen Stümper. Etliche Kameraden haben die Bilder gleich zerrissen. Ich bin nicht ganz unzufrieden damit. Und bis ich Gelegenheit habe, ein neues zu erhalten, mußt Du Dich mit diesem begnügen. Es ist nicht ganz unwahr. Ich habe ganz fest an Dich gedacht, als ich so Modell saß. Etwas von der Härte ist drin, auf die ich Dich schon vorbereitete.

Herzallerliebste! Nun will ich mein Schreiben schließen, nicht ohne Dir zu sagen, daß ich Dich von ganzem Herzen liebhabe. Manchmal denke ich, wie das einmal anders zu sagen wäre; aber vor diesem Geheimnis, vor dieser Gewalt, versagen die Worte. Dann steigen nur die Tage unseres Glückes auf, des glücklichen Wandelns Seite an Seite, die traulichen Stunden der Erholung, des Ratens und Planens, und Liebste, die süßen Stunden in Deiner Nähe. Und mit diesen Bildern die Sehnsucht nach ihrer Wiederkehr, mit der Sehnsucht nach Dir, Herzlieb!
[Du] Darfst nicht zu schwarz sehen mit dem Urlaub. Wenn nicht bis, so doch bestimmt zu Weinachten, Herzliebes, wenn wir überhaupt einmal Rechnungen anstellen wollen. Wenn ich nur erst einmal an meinem vorläufigen Bestimmungsort bin, will ich schon auch noch nach anderen Möglichkeiten Ausschau halten. Mancherlei kann dazu noch von der politischen Entwicklung abhängen, schnell kann irgendeine Entscheidung heranreifen. Und dann wollen wir nicht vergessen, unserem guten Stern zu vertrauen und uns daran zu halten, daß es kommt, wie Gott es haben will.
Ich aber will mich bis dahin mit der Freude trösten, daß ich Dich habe, daß Du mir bleibst, mein teures Weib, meine liebe, treue Frau, mein Schatz, mein Reichtum, mein ein und alles, daß über dem Wandel und der Unrast dieser Tage fest und unerschütterlich un[se]re Liebe steht, über der Gott schützend seine Hand halten möge! Gott behüte Dich auf allen Wegen! Bleibe froh und gesund. Ich küsse Dich, Du! Ich liebe Dich von ganzem Herzen!
Ich bin ganz Dein heute und immer!