Bitte warten...

[OBF-400920-002-01]
Briefkorpus

Freitag, am 20. September 1940.

Herzallerliebster! Du, mein lieber, lieber, [Roland]!

Bei uns herrscht heute so ein toller Sturm, daß ich oben in meinem Dornröschenschloß fast meine, er müßte mich ausheben. Wenn ich jetzt so still sitze, bebt alles unter mir; das wird wieder eine unruhige Nacht geben, bei dem Schiefergeklapper. Möchte mal den Seegang bei diesem Sturm erleben.

Ach, ich darf garnicht daran denken, ich erlebte damals in Kol[b]erg ein paar herrliche Abende, an denen das Schauspiel des Wellenganges so schaurig schön anzusehen war. Ganz draußen auf dem Seesteg stand ich - keinen Menschen brauchte ich um mich - eine ganz eigene Sprache spricht das Meer zu einem. Unvergeßlich ist mir dieses Erleben. Ich vergesse dann alles um mich her - es ist schon so, ich fühle mich irgendwie verbunden mit dem Wasser, ich liebe es auch. Und wenn ich zurückdenke, so erinnere ich mich noch ganz deutlich, wie ich da draußen einsam stand und dachte, es muß garnicht furchtbar sein, hier [d]rinnen zu sterben; das Rauschen hat solch eigene Melodie, sie ist so vertraut, sie lockt. Ich weiß nicht, ob ich allein das nur empfinde. Wenn [sic] wird Frieden sein, Liebster! Wenn wir Deine, unsere Ferien wieder gemeinsam verleben dürfen, ich möchte so gerne mit Dir noch einmal das Meer erleben. Nicht in einem Badeort, wo die Welt sich immer wieder in den Vordergrund drängt[.] Ein kleines, stilles Dörfchen müßte es sein, wo man sich ganz naturverbunden fühlt. Würdest Du diesen Wunsch mit mir teilen?

Jetzt steht das alles noch wie ein Traum vor uns, doch ich bin festen Glaubens, daß wir einer glücklichen Zeit entgegenleben, nach diesem Kriege, daß wir einander wieder ganz leben [sic] können. Selbst wenn wir dann doch hier und da Enttäuschungen erleben müßten, die unsre Pläne wieder kreuzen. Wenn wir, die Jungen, nicht Hoffnung haben und Glauben halten wollen, wer sollte es dann?

Die Alten, die den kaum verwundenen, vergangenen Krieg und das gegenwärtige Geschehen fast nicht zu ertragen vermögen, um noch hoffnungsvolle, frohe Tage in ihrem Leben zu verzeichnen?, sind ach [sic] mir zu viele unter uns, von denen wir keinen Ansporn zu Tatbereitschaft erhalten. Sie leben ihr Leben und erwarten nichts mehr von ihm. Das ist doch furchtbar trostlos und traurig.

Wir Jungen, die wir noch ein ganzes Leben vor uns haben, wir wollen es mit allen Sinnen in uns aufnehmen. Wir wollen gefaßt sein auf alles, was da kommen will. Und wir müssen es auch, wir alle im Volk.

Nur mit Lebensmut und -Willen [sic] ist es möglich, die Zeit zu ertragen, die jetzt ist und die kommen wird.

So wie jeder einzelne sein künftiges Leben in der Ehe, in der Familie vor sich sieht, auf eine besondere Stufe gestellt und wie er sich darum müht, es Wirklichkeit werden zu lassen, wie er darum kämpft, wie er auch opfern muß - so ist es auch auf das Große, Ganze ges[eh]en mit unserem Volk, mit Deutschland. Nur wer das alles mit wachen Augen miterlebt, kann seine Aufgaben sehen, kann Schaffenskraft finden - kommt überhaupt nicht dazu, resigniert dem Treiben zu zusehen, ohne Hoffnung auf bessere Zeiten.

Ach Du! Wenn wir Frauen doch nicht philosophieren wollten.

Aber ich denke das so und ich mußte Dir's eben schreiben.

Vielleicht lachst Du mich aus, ob dieser Weisheit, die mir sonst auch garnicht steht. Aber von Dir will ich's mir schon mal gefallen lassen. Du!

Gestern abend ging Deine Frau also zum ersten Male allein aus. Singstunde. Es war schön, ja. In der 'Germania' diesmal. Alle waren erschienen, flott geübt wurde, u.a. "Herr ich habe lieb die Stätte deines Hauses"[,] es war mir eine richtige Freude, die guten, alten Gesänge unserer Altmeister zu erleben. Einen weniger weltlichen 'Kantor' brauchten wir nur! Aber alle Achtung!

Es war gestern nichts zu tadeln an ihm. Er war gut bei der Arbeit. Weil Vollmond war und somit niemand eine Ausrede [ge]brauchen konnte (es war so finster, ich konnte nicht kommen u.s.w.) [ve]rsammelte er uns alle und legte uns nochmals persönlich ans Herz, der kommenden Feste halber, bitte ganz regelmäßig [zu] kommen. Zur Belohnung (so schien es mir) gab es belegtes Brot und Getränke frei, bis zu 1.50 M zusammen. Eine Überraschung. Die kommenden Abende finden wieder im Pfarrhause statt, aber geplant nur 1 Stunde und ohne Pause. Mir ist das recht. Die andern können ja immerhin jedesmal zu Café Falke schwenken. Wenn nichts weiter vorkommt was mich abstößt, will ich mitsingen, das heißt, wenn ich nicht gerade in Kamenz [bi]n an den Festen der Kirche. Herr G., der Vorstand, hob mich paarmal lobend hervor in seiner Rede und bezeichnete mich als unsre 'treue Frau [Nordhoff]' und er freue sich recht sehr, daß ich dem Verein wieder dienen will. Der alte Mehlsack! Herr H. (Schmeichler, der) begrüßte mich auch besonders und gab seiner Freude Ausdruck. Von diesen beiden Herren soll ich Dich besonders herzlich grüßen! Von allen übrigen lege ich Dir die Unterschriften bei. Sie wollten durchaus, daß ich Dir eine Karte schreibe. Vielleicht wollten sie herausbekommen, ob ich jetzt nun ein Grad herzlicher schreibe, als früher, darüber regten sie sich doch immer so auf. Na, ich hab mein Bestes getan. Ich vermute das nur, weil im Laufe des Abends doch immer mal ein Brocken geflogen kam, der auf unser Vertrautsein abzielte. Vonseiten W.! Ich überhörte das völlig, ich hab überhaupt vorgezogen, einen ganz beträchtlichen Abstand zu wahren gegen alle. Bei aller Freundlichkeit und Höflichkeit. Es führt zu nichts Erquicklichem, anders herum. Sonst waren alle sehr nett zu mir. Dora P. war verreist, in Dresden Verwandte besuchen. Der Abend verlief gemütlich und nach 1100 ging's heim. Ilse S. brachte mich nach Haus[.] Sie hat heute ihr 20 jähriges Bestehen als treuer Hausgeist bei G.! Ich schickte ihr einen Blumenstrauß und eine Glückwunschkarte; ich kann mich so gleich am besten mal abfinden für alle ihre Gaben, die sie mir schon brachte.

Schreibe der Kantorei nur mal, wenn Du bissel Zeit hast u. Lust! Die sind mächtig stolz drauf. Aber von der mir zugedachten Zeit darfst Du nichts abtreten, Du!!

Ich hörte daß man Ansichtskarten nicht als Feldpost schicken darf, ich lege sie Dir bei. Die jungen Mädels schreiben ihren Sol[da]ten auch im Umschlag.

Vorgestern gegen Abend besuchte mich Frau Doktor T.. Nachträglich brachte sie mir ein Hochzeitsgeschenk, eine schöne Keramikschale mit Füßen, sieht gut aus. Und von ihrer Mutter, der alten Frau M., brachte sie eine niedliche Mokkatasse. Ich war erstaunt. Sie kennen meine Eltern gut. Und auch weil Vater früher bei M.'s Pförtner war.

Aber es wird wohl auch die Neugierde sie hergetrieben haben, denke ich. Wie ich in der Pfarre war, hatte ich öfter mit ihr zu tun. Sie ist Leiterin des christlichen Frauendienstes. Und sie hat vom Pfarrer erfahren, daß ich heiraten will.

Sie ist aber sonst eine sehr nette Frau. Du kennst sie ja auch[.] Ihr Mann ist Adjudant in Polen.

Es gefiel ihr so bei uns und sie wollte alle Zimmer sehen, wie eine Puppenstube, meinte sie; sowas wäre recht eine Wohnung auf das Alter hin. Naja, es sah eben auch gerade mal schön bei mir aus, ich hatte alles geflimmert [sic] und gedeckt u. Blumen auf den Tischen. Wenn ich doch [n]achmittags bloß schreibe, wird auch nischt schmutzig, was? Eine Bekannte schenkte mir noch eine Sammeltasse und es haben sich immer noch 2 angemeldet.

Es geht nun wieder auf 5 Uhr. Papa steht auf. Es regnet jetzt. Ich bin ganz fertig mit Reinemachen. Morgen wollen wir die Betten frisch beziehen und Mama hätte sie gerne nochmal hinaus gehängt bei dem Wind, ehe es Winter wird. Nun wird's wohl wieder eine Weile regnen, der ganze Himmel ist zu. Deine Ärmel Du! Ich hab Angst, daß Du den Pullover garnicht [an]ziehst. Durch das Garnteilen sind die Farben immer um eine Nuance heller nach oben. Schämst Du Dich da? Mußt ihn unten drunter ziehen, damit ihn keiner sieht. Aber es ging auch nicht anders, beim besten Willen nicht. Wenn wir so gestrickt hätten wären nur 3/4 Ärmel draus geworden[.] Das ist gleich garnichts. Es ist eben kein neues Stück. Und im Sommer trenne ich sie wieder raus. Wenn Du ihn so nicht tragen magst, schicke ich Dir die schöne Jacke. Zum Spott sollst Du mir nicht laufen! Na, Du wirst selbst entscheiden, wenn Du ihn siehst.

So, nun wüßte ich im Moment nichts weiter zu erzählen. Muß den Boten noch abschicken, damit Du ihn Sonntag in [den] Händen hast, Du, mein Lieber!.

Was ist Gewehr 96 [sic]? Ist das Deine Braut?

Schuhe habt Ihr bekommen, Mäntel? Na, und Urlaub??

Ich freue mich, bald wieder von Dir zu hören, Liebster!

Sonnabend, Sonntag, wenn die Post gut ging, bekommst Du die beiden Päckchen.

Vater freut sich auf sein Geschenk, Du! Da hast Du bei ihm einen Stein im Brett! Und ich will die angekündigten Soldatendrops mit Verstand knacken, redlich geteilt mit Muttern! Behalt nur Dir auch etwas zurück, damit Du bissel mit dem Munde wackeln kannst!!

Herzallerliebster! Du, mein [Roland]!

Einen frohen Sonntag wünsch ich Dir.

Ich bin in Gedanken immer bei Dir, ich halte Dich ganz, ganz fest, Liebster! Wie so glücklich ward ich inne, auch ganz deutlich gestern abend unter den Menschen, wie reich und froh und selig mich Deine treue Liebe macht.

Du bist mein ganzes Glück, meine Freude, mein Stolz!

Ich liebe Dich! Du! Herzallerliebster mein!

Behüte Dich Gott auf allen Deinen Wegen!

In steter Treue

Deine [Hilde].

Die Eltern wünschen Dir einen schönen Sonntag und grüßen Dich recht herzlich!

Karte
Kommentare
Einordnung
Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.400920-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946