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[OBF-400917-001-01]
Briefkorpus

Dienstag am 17. September 1940

Herzallerliebste, Du, meine liebe, liebe [Hilde]!

Habe ich mich schon für den Sonntagsgruß bedankt? Es ist der schönste Augenblick des Tages, wenn die Post verteilt wird, und man ist selbst glücklicher Empfänger. Gestern Montag überraschte[n] und erfreuten mich die Zeilen Deiner lieben Mutter. Sage Ihr [sic] und Pappsch vielen herzlichen Dank. Jetzt ist Mittagspause. Ich liege auf meinem Bette und schreibe.

Für heute abend erwarte ich nun Dein Päckchen.

Der gestrige Tag war wild bewegt. Ich will Dir erzählen.

Früh Unterricht wie üblich. Dann Infanteriedienst. Das Antreten im Zug klappte schlecht, und nun wurden wir ein wenig über den Platz gejagt, dazwischen ein paarmal das Kommando hinlegen. Der Boden war leicht schlüpfrig. Dann setzte ein Regenschauer ein. ½ 12 Uhr antreten zur Blutabnahme. Aus dem Unterarm zapfte man jedem 5 ccm Blut, eine ganz harmlose Angelegenheit, zur Bestimmung der Blutgruppe. Ich meine, Du müßtest denselben Saft in Dir haben wie ich, weil wir uns so ähnlich sind und verstehen. Na, dann schnell das Mittagessen rein. Um ein Uhr Anstellen zum Kleiderfassen in einem Vorort Kiels. Dort erhielten wir Mantel, Schuhe, Sporthosen, Sporthemden, Sportschuhe. Auf dem Auto zurück. Um 4 Uhr Unterricht im Verwaltungskram bis 6 Uhr. Dann rasch geabendbrotet. Anschließend Kartoffelschälen. Das blüht uns aller [sic] 2 Tage. Dabei tritt Vaters mächtiges Taschenmesser in Funktion.

Rauchwaren fassen! Darauf lauerten die meisten schon sehnlich. Jeder faßte rückwirkend 30 Schachteln (!) Zigaretten oder eine entsprechende Menge Tabak!! Für die Nichtraucher gab es 30 Rollen Fruchtdrops und Traubenzucker. Das war ein unerwarteter Segen. Den Traubenzucker habe ich gleich weitergehandelt und gegen Zigaretten getauscht. Dieses chemische Zeug mag ich nicht, es schmeckt mir auch nicht. Die Zigaretten schicke ich nächstens Vater mit und von den Drops werdet Ihr auch nun [eine] Kostprobe erhalten. Aber noch nicht genug.

Um 8 Uhr gab es ein richtiges Konzert. Professor Hermann Diner aus Berlin mit seinem Collegium musicum (1., 2. Violine, Bratsche, Cello, kleine Baßgeige) brachte in hervorragender Weise klassische Kammermusik zu Gehör. Sie sind von der Obersten Marinebehörde auf Reisen geschickt und sollen die Matrosen mit der edlen Musik anfreunden, welches Bemühen auf wenig Gegenliebe, aber hier und dort glatt auf Widerstand stößt. Die Veranstaltung war als Dienst angesetzt, sonst wäre Leere im Saale gewesen. Du kannst Dir denken, daß es mir eine große Freude war. Sonntag Varieté, Montag Kammermusik, Mittwoch soll ein Film laufen. Also Abwechslung genug, zumal nun auch andere Stoffe dem Gedächtnis zudrängen, als da sind die Themen Abzeichen- u. Rangordnung, Ehrenbezeugung, Beschwerdeordnung, das Gewehr 98 usw. bis zum 28. September wird zur Klage über Langeweile kein Grund sein.

Heute regnet es. Man behält uns im Hause, vernünftig. Unser Johann ist operiert worden. Er ist wohlauf und wird diese Woche wieder zu uns stoßen.

Wegen des Fliegeralarms sei unbesorgt. Wir sind hier nicht weniger und nicht mehr gefährdet als ihr in der Heimat. 1. liegen wir ganz einsam wie eines der großen Gehöfte in der Nähe. 2. liegt ringsherum Flak, die überfliegenden Feinden zu schaffen macht. Seit Freitag hatten wir keinen Alarm wieder zu unsrer eigenen Verwunderung, wo doch die Nächte jetzt so hell sind.

Nun ist es wieder Abend: Dein Päckchen ist gekommen, Dein süßes, Du! Vielen herzlichen Dank auch für Deine lieben Zeilen. Dazu kam Dein Sonntagsbrief und heute abend auch noch Dein Montagsbrief, denke nur an, so schnell kann es gehen! Zuerst zu Deiner Sorge: Heute wurden wir zum vierten Male gegen die Pocken geimpft wie die Kinder. Diese Impfung war die letzte der ganzen Impfprozedur, der jeder Rekrut sich unterziehen muß. Daraus kannst du gar nichts ablesen, auch nichts Besorgniserregendes. Sei darum ganz beruhigt, Herzliebes! Nun hast Du auch mein Paket erhalten. Du lobst mich ob der sauberen Wäsche. Sie kann nicht schmutziger werden als sonst. Gestern haben wir noch ein Ärmelhemd, eine Unterhose und ein paar Socken gefaßt. Ich komme also gut hin, bis Dein Packet mich erreicht.

Du sprichst von Kaffee. Ja, Du, er schmeckt sehr gut. Wir trinken meist schwarz. Aber Soda ist trotzdem drin. Wir schmecken es nicht, aber merken es alle, Du!

Deine lieben Briefe haben mich so sehr erfreut, und den vom Sonntag werde ich wohl noch einigemale hervorziehen, Du!, [sic] weil er das Heimlichste und Köstlichste mit Namen nennt von Deiner Hand, Herzliebes! Du sollst Dich deshalb nicht entschuldigen. Auch Du bist allein und einsam, verlassen, ich weiß es und fühle mit Dir Deinen Schmerz. Und wenn wir sie jetzt auch verdrängen, unsre Sehnsucht, sie lebt doch weiter und wagt sich hervor in einer Stunde. Und so ist es auch in der Ordnung.

Herzliebes! Noch viel Liebes möchte ich Dir sagen. Aber die Zeit drängt und ich möchte mich doch nicht verspäten mit meinem Boten. Jetzt habe ich ein paar Tage ein liebes Pfand von Dir in Händen, Deinen Kuchen.

Herzliebes! Glaubst Du, daß auch ich schon vom Wiedersehen träumte? Daß es mich zu Dir zieht, nur zu Dir, Du Herziges?

Behüte Dich Gott auf allen Wegen.

Ich liebe Dich Du!, ich küsse Dich! Ich bin Dir ganz nahe

und in unwandelbarer Liebe u. Treue

Dein [Roland].

Bitte grüße die lieben Eltern.
 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946