
[400915–2‑1]
1. [siehe Bild]
Sonntag, am 15. September 1940.
Herzallerliebster! Du mein lieber, lieber [Roland]!
Heute, an diesem traurigen Regensonntag kam Dein lieber Brief recht wie ein Sonnenstrahl zu mir, Liebster! Sei recht sehr bedankt dafür. Sag, — das liegt mir eben ganz obenauf — habe ich denn mit gar keinem Wort erwähnt, daß ich Deinen lieben Dankbrief für das Päckchen erhalten habe? Das will mir doch gar nicht in demn Sinn, wo ich mich gerade über diesen Brief so sehr gefreut habe, weil Du so voll Dank warst über die Kleinigkeiten, die ich Dir schickte. Und ich fand auch noch die kleine [Ges]chichte so köstlich, die im besagten Briefe stand, vom Kameraden, der Dich so foppt über die dünnen Briefe, die zuerst ankamen, statt der erwartete ‘Dicke’ [sic]! Lies nur nochmal genau meinen Antwortbrief. Es ist keiner von Dir weggekommen. Ich nummeriere alle sofort, wie sie eintreffen. Heute erhielt ich Nummer 9. Morgen werden es nun 3 Wochen, daß Du fort bist. Bergfest wollt Ihr feiern? Das ist recht so, verliert nur bei allem Dienst die gute Laune nicht und vergeßt nicht, immer nur das Schönste an der ganzen Sache herauszufinden; [da]nn ist es auch alles besser auszuhalten, mein[‘] ich.
Ich wünsche mir, daß auch Du heute froh dabei sein mögest, wenn das Feste feiern, so wie man es gewöhnlich unter Männern hält, auch nicht so recht nach Deinem Geschmack ist. Eine gute Seite wird sich schon herauskehren, damit Du Dich nicht gar etwa ausgestoßen fühlst. Ich könnte mir das leicht denken, ich hab[‘] es bei Großmutters Gastwirtsbetrieb auch schon beobachten können, daß einer, der nicht so mittut wie die ander[e]n alle, sich überlei [sic: über] vorkommt und sich lieber zurückzieht. Na, schließlich sind unter Euch, in dem Alter, auch ganz vernünftige Kameraden, die nicht so über den Strang hauen. Obendrein geht Ihr [sic] ja noch mit Bewachung aus, nicht wahr? Nun bist Du auch kein mittelloser Matrose mehr! Das erste Selbsterschundene, darf man so sagen? Pass[‘] nur gut auf, daß Dir keiner etwas stiehlt. Euer armer Johann tut mir leid, der hat sich da aber nicht verstellt! Der ist halt nichts Gutes gewöhnt! Nun darf er keinen schweren Dienst mehr machen und er wird wohl befreit aufatmen, wenn er in seinem Bettchen hört, daß Ihr jetzt das Hinlegen üben müßt! Es gibt eben Naturen, die da absolut nicht durchhalten können.

Ich hätte gern mal mit zugehört, wie man den Soldaten M[or]al predigt, für das Leben außerhalb des Kasernentores. Das war gewiß die Vorstufe für den nahenden freien Ausgang, ja? Ein Arzt redete auch mit Euch?,[sic] Du wirst mir das schon einmal alles erzählen, wenn wir zusammen sein können.
Wie viele [sic] werden die gute Vorkehrung zu beherzigen wissen? Ach, mein [Roland]! Ich bin ja so unsagbar glücklich, daß meine Liebe einem ganz Würdigen gehört. Ich bin so ganz ruhig und froh in Deiner Liebe, weil ich weiß, Du liebst mich trotz aller Trennung genau so treu und unverrück[ba]r, wie auch ich Dich liebe. Können wir denn das, was wir bisher miteinander erleben durften, noch einmal finden auf dieser Welt, in seiner ganzen Süße und Seligkeit? Nein, niemals! Was ich wie ein Heiligtum hüte und nur dem Einzigen bewahre, den mein ganzes Herz dazu erkor, wie könnte ich ertragen, daß ein And[e]rer es beflecke? Sterben müßte ich dann vor Scham vor Dir, Geliebter! Nicht einen Blick könnte ich wagen, in Deine lieben, treuen Augen. Und sollte ich Unmenschliches darum leiden, ich bleibe Dir treu bis in den Tod.
Du! Deine Liebe und Treue gibt mir soviel Kraft, ich werde es ertragen. Und wenn Du erst wieder ganz bei mir bist, Du!?
O, ich glaube, dann wird uns keine Stunde schlagen in unser[e]m großen Glück. Wie ich mich freue, wie ich mich jetzt schon sehne nach diesem Augenblick, kein Augenblick nur soll es sein, Du! Für das ganze Leben wollen wir uns dieses Glück halten und bewahren.

Liebster! Heute, vor 9 [W]o[ch]en waren wir uns einander angetraut vor Gott und der Welt. Und ich denke jetzt zurück, wieviel Schönes und Geheimes diese verflossene Zeit in sich birgt, das wir froh, unbekümmert, nichtsahnend was [un]s bevorstand, miteinander erlebten. So schöne Tage waren es und wenn ich einmal einsam in meinem Stübchen daheim sitze und es will mir schwer und traurig um’s Herz werden, weil Du mir so fern bist, dann erlebe ich in Gedanken die Vergangenheit dieser Wochen und dann bin ich so innerlich voller Glück und zärtlicher Liebe zu Dir, daß ich die Gegenwart verschmerzen kann und in meiner Phantasie lebt schon jetzt manchmal das Bild uns[e]res Wiedersehens, Du!
Wie es wohl aussieht, möchtest Du wissen? Ja, weißt Du, [ein]en Rahmen hat es zum Beispiel überhaupt nicht. Ich sehe nur Dich — Dich und mich, wie wir uns gegenübersteh[e]n und wie alles in mir hin zu Dir drängt, ganz wild und ungestüm — und dann — wie ich Dich so nahe bei mir fühle, Du! Deinen Mund, Deine Hände und Dich so ganz nahe bei mir fühle! Du! Das ist soviel Glück auf einmal, daß ich ganz schwer atmen muß, wenn ich nur daran denke, Liebster! Herzallerliebster!
O, was hab[e] ich jetzt getan? Liebster! Und ich will doch so ganz tapfer sein. Bitte, verzeih mir, Du!
Gestern, am Sonnabend habe ich eine Menge Arbeit bekommen. Vom Ludwig B. brachte Mama 15 M [Pfund] Pflaumen.
Papa bekam die Erlaubnis, bei H.s die Holunderbeeren zu ernten. Denk[e] Dir, er brachte an die 30 M [Pfund]! Aber nicht übertrieben, Du! Heute früh hab[‘] ich mit Mama zusammen reichlich 2 ½ St[un]d[en]. abgebeert und unser großer Badewassertopf ist bis ziemlich obenhin gefüllt. Morgen muß ich sie in Flaschen füllen, erst schön durchkochen. Die Pflaumen sind ausgemacht und gezuckert, die werden auch morgen eingekocht. Nun sind uns[e]re Gläser bald alle voll, soviel wie dieses Jahr hatten wir noch garnicht [sic]. Und da hat man nu[n] auch lamentiert: Wir bekommen nichts. Wenn wir noch in diesem Jahre einziehen sollten, wäre das eine Lust, wir hätten ‘derwegen’ schon von allem zu Essen.
Am Sonnabend habe ich eine Hamsterfahrt nach Schockolade [sic] unternommen. In L. sehr mies! Aber in O., bei meiner Schockoladentante [sic] aus der Singstunde, da war noch was zu ernten: Da geht es wie in S. nach dem Alphabet und jede Gruppe bekommt ihr Quantum. Ich war dem [Alphabet] nach am Sonnabend garnicht [sic] dran, aber ich hab[‘] mich angemeldet bei ihr mit meine[n] Zuckerkarten, u.[nd] hab[‘] ihr gesagt, daß ich vor nicht langer Zeit erst wieder eingetroffen sei u.[nd] Mutter hätte nichts geholt. “Ja, selbstverständlich liebe Frau [Nordhoff], ich habe schon gehört, ihr Mann ist ja nun auch Soldat, da möchten sie doch was schicken!” Ich hab[‘] mir vorgenommen: Mit der hältst Du’s aber jetzt!
Wehe, wenn sie mich mal sitzen läßt! Bei “J.” kriege ich ab u.[nd] zu mal [ein] bissel [bisschen] was, aber da möchte man immer Kaffee kaufen und der schmeckt wie die blanke Zichorie!! Bei “G.” stehen egal [sic] saure Malze [he]rum und das and[e]re ist schon alle, oder kommt’s [sic] erst rein. Ich denk[‘] mir nur, die hat schon ihre alte Kundschaft. Ich bin zu ihr eigentlich weniger gekommen. Na ja, wenn ich nur immer was kriege, damit ich meinem lieben Schützling eine Freude machen kann. So wie die Pralinen vom Hellmuth finden wir sie in Deutschland nirgends, was? Ach, man darf garnicht [sic] daran denken.

Mama sitzt auf dem Sofa und strickt! Zweifädig!
Die Mache [sic] sacht [sic] sich! Noch ein bissel [bisschen] Geduld. Ich muß nachher noch den letzten Knaul [sic: Knäuel] 3 fädig abdrehen. D[a]rum habe ich Dir erst geschrieben, hinterher hab[‘] ich immer kein Augenmaß mehr. Es ist um 4 Uhr. In K. werden sie Kaffee trinken, vor einem Jahre waren wir dabei, Dickerle! Wir hätten [abe]r auch dies[es] Jahr Regenwetter. Ob Du denn nun allen Kuchen aus dem Reiche hast? Ätsch, ich trinke dann auch gleich Kaffee, ich habe gestern einen Apfelstrudel gebacken, wenn ich Dich nur da hätte, ich wollt mich aber mit Dir hauen um das größte Stück! Papa schläft sich Appetit an. Schreib mir nur mal, wie lange mein Kuchen gereist ist, [ich] will sehen, ob ich auch mal einen Fruchtkuchen schicken kann.

Deine Wünsche werde ich Dir, so gut ich nur kann, gern erfüllen. Gleich morgen gehe ich los. Den ander[e]n Ärmel stricke ich, wir wollen gegen Abend mal zur Mutter, [ein] bissel [bisschen] Radio hören u.[nd] dabei arbeiten. Zu den Nachrichten bist Du vielleicht wieder daheim oder hörst sie auswärts. Ich will an Dich denken dabei, es hängt ja auch unser beider Schicksal mit von dem ab, was Neues gemeldet wird. Wie lange noch?
Es war ein schöner Sonntag, ich habe wieder einmal lange mit Dir geplaudert, Liebster! Wie es mir meine Gedanken eingaben und manchmal geht es dann so schnell, daß die Feder kaum noch mit kann. [Du] Mußt d[a]rum Dich nicht d[a]ran stoßen, wenn ich übel schreibe, ja? Das möchte ich Dich auch bitten für andermal [sic: ein anderes Mal], Du!
Ich glaube auch nicht, daß Du mir das nachträgst.
In Gedanken waren wir wohl heute alle beieinander, Familie [Nordhoff] sowie auch [Laube], am Geburtstag der lieben Mutter. Nächstes Jahr, wills’ [sic] Gott, sind wir alle froh beisammen. Möchtest auch Du einen frohen Sonntag erlebt haben und zufrieden die neue Woche beginnen, die uns unserem Wiedersehen ja immer näher führt, Du!
Mit den besten Wünschen für Dich und einem fröhlichen ‘Behüt[e] Dich Gott’, verbleibe ich in treuer Liebe und einem recht lieben Kuß Deine [Hilde].
Liebster! Morgen ist der Mond ganz voll, solange ich ihn sehen kann, sende ich ihm Grüße; zu Dir, Du!
Tausend Grüße auch von den Eltern. Mutter will gleich den Vater mit Hallo wecken, der 0!! [Zeichnung von Kaffeebohne, siehe Bild] Kaffee ist fertig.

Auf Wiederhören, am Montagabend.