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Sonntag, den 15. September 1940
Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde], Du!
Sonntagvormittag ist. Ich sitze draußen in der Sonne. Die Kameraden hocken in der Stube, qualmen und skaten. Sie ‘genießen’ — oder sie fröhnen einer kindisch anmutenden Gewohnheit. Ich gönne sie ihnen mitsamt der verbrauchten Zimmerluft von Herzen. Was täte ich lieber, als mit Dir zu plaudern? Am liebsten ja an Deiner Seite, vielleicht bei einem Morgenspaziergang hinaus zum großen Teich, auf P. zu, den Weg gehe ich so gerne. Auf meinem Abendspaziergang gestern habe ich an uns[e]re Zukunft gedacht, Herzliebes. Ich denke, daß jeden Tag meine Ernennung zum ständigen Lehrer kommen kann. Ich würde mich darüber freuen um Deinet- und uns[e]retwillen. Wann man uns von den Soldaten wieder loslassen wird, hängt davon ab, wie sich die Kriegsereignisse weiterentwickeln. Zieht es sich noch lange hin, besteht jederzeit noch eine Möglichkeit der Reklamation der Lehrer, die doch vor [sic] sind. Also nicht schwarz sehen [sic]. Wie es nun kommt, ist es recht. Du bist so verständig, daß Du mir aus der Unabänderlichkeit der Ereignisse keinen persönlichen Vorwurf machst. Wir beide müssen ja so dankbar sein, auch jetzt wieder. Und was uns dann trifft, das ist ja alles halb so schwer, weil wir es zusammentragen, weil wir den Willen haben, uns durchzusetzen, uns ein wertvolles Leben zu bauen, auch ein schönes Leben.

Herzliebes, es ist eine große, stolze und schöne Aufgabe, die wir uns stellen. Ich bin so glücklich, daß auch Du sie erkennst als ein hohes, lebenswertes Ziel. Und wir müssen nur Gott bitten, daß er uns schaffen läßt zu diesem Ziel hin. Du! In dieser Freude auf unser gemeinsames Schaffen bin ich gewiß noch so jung wie Du! Weißt [Du], wenn ich so die Kameraden sich bewegen sehe, dann will mir für einen Augenblick manchmal der Zweifel kommen, ob sie oder ich mehr recht haben, dann spüre ich daß ich doch irgendwie ein Außenseiter bin nicht zuletzt darin, daß [ich] viele Dinge gläubiger und besser sehe als sie, daß ich den Abendfrieden mehr liebe als ihr Getöse, daß mir meine Frau mehr gilt als ihnen. Aber nur für Augenblicke zweifle ich, und dann weiß ich desto bestimmter, daß ich meine Eigenart mit recht behaupte. Zum großen Teile sind es Leute aus dem kaufmännischen Beruf. Ihr Empfinden reicht nicht so tief, zur Kunst werden die wenigsten eine engere Beziehung haben. Ein klein wenig Mut gehört dazu, seine Eigenart zu behaupten. Was sie alle von mir denken, ist mir ja letzten Endes auch so gleichgültig, wenn Du nur mich verstehst und mir vertraust, und dessen bin ich ganz gewiß, Herzliebes!
Mit Deinen Geburtstagsvorbereitungen bin ich ganz einverstanden.
Was wirst Du jetzt treiben? In der Küche sehe ich Dich hantieren, gewissenhaft, fleißig und umsichtig, ganz bei der Sache, und doch jeden Augenblick bereit, deinen Liebsten anzuschauen mit einem Blick, aus dem die ganze Güte und Liebe Deines Herzens leuchtet. Wie sehne ich mich nach diesem Blick, Du Liebe!
Wenn die Kameraden des [sic: das] sehen würden, sie würden mit den Köpfen schütteln und mich auslachen. Verstehst Du mich? Ja, Du, ich weiß es ganz gewiß!

Packe Dich schön warm ein! Ich wollte Dich schon gerne wärmen! Bleibe froh und glücklich bei dem Gedanken, daß Dir mein ganzes Trachten gilt, daß ich Dich über alles Liebe und in steter Freue bleibe
Dein [Roland]
Bitte grüße die lieben Eltern, sie erhalten nächstens wieder einen Gruß.