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[OBF-400904-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna — Mittwoch, am 4. September 1940.

Herzallerliebster! Mein lieber, guter [Roland]!

Heimlich hat es mir doch Spaß gemacht zu lesen, wie mein lieber, großer Junge verschämt und wohl darauf bedacht ist, daß niemand seine verliebte Anrede liest. Du!

Es ist aber gut so, wie Du es hältst. Was wissen denn Freunde um diese Worte — was wissen sie, was sie uns bedeuten? Sie würden ja doch nur spötteln und dumme Witze reißen darüber. Aber ich, Liebster! Darum mach Dir keine Sorge, weiß trotzdem, wie lieb Du es meinst, auch ohne die alte, liebe Anrede aus unsrer Brautzeit. Ich weiß, daß Du mich ebenso lieb hast, wie immer zuvor. Und ich denke, Du wirst schon gut Obacht geben, daß meine Briefe bei Dir im Spind gut aufgehoben sind vor fremden Augen.

Ich bin nun wieder fertig mit der Hausarbeit. 10℔ Bohnen habe ich vom Markt mitgebracht, gestern abend hab ich sie geschnitzelt und 4 Gläser eben fertig eingekocht — nun nochmal 4 Stück. Nun mußt Du aber fleißig auf Urlaub kommen, d[a]mit sie alle werden! Pflaumen und Äpfel bekomme ich nur dann und wann mal 1℔, die essen wir gleich. Vielleicht bekomme ich doch nochmal irgendwo paar Pfund davon, zum Einlegen.

Seit 3 Tagen stehst Du nun im Dienst, möchte wissen, ob Du Dich auch gut dabei eingerichtet hast. Schreib mir nur auch mal, wie ein ganzer Tag so ungefähr verläuft bei Euch. Sind die Vorgesetzten auszustehen? Jetzt ist wenigstens wieder Sonnenschein draußen, ich hoffe, bei Dir am Wasser auch. Brauchst Du noch paar von diesen Fußschlüpfern? Wenn ja, bitte, wie viel Paare schreiben! Frieren brauchst Du nicht mehr sehr lange, ich habe einen Ärmel schon bis zum halben Unterarm gestrickt. Ich will mich tüchtig ranhalten.

Nach der Grundausbildung werdet ihr einem Kommando zugeteilt, aber den Standort wechselt ihr dabei nicht wieder? Du hast Dir ja schon allerhand Ausdrücke der Seemannssprache zugelegt, höre! Wenn das im Laufe der Zeit toller wird, mußt Du mir ein Handbuch davon mitschicken, kann Dich sonst nicht mehr verstehen! Das Leben und Treiben um Dich her, Du findest es neu — es ist Dir fremd. Es ist ebensolch Bild, wie ich es vor Wochen noch um mich hatte in der Fabrik — nur umgekehrt bist Du unter Männern. Und die lassen oft ihre Sprache noch freier fließen, als Mädchen, in gewissen Dingen. Du wirst jetzt manches, was Dir von mir berichtet unglaublich schien, bestätigt finden. Wohl dem, der sich solchem Ekel verschließen kann. Obendrein kommt hier noch das widrige Trinken; Du wirst noch manches Bild zusehen bekommen. Gewöhne Dir nur nicht Trinken und Rauchen an; glaub mir, ich wäre darüber betrübt. Über Einsamkeit brauchst Du also nicht zu klagen, zu 18 seid ihr beisammen. Müßt ihr eure Freizeit auf Stube verbringen, oder gibt es außer der Kantine auch Aufenthaltsräume wo es Bücher zum Lesen gibt? So ist es in manchen Kasernen, auch z. B. in Chemnitz. Ach ja, morgen will ich nun nach Chemnitz zu Tante Hertha. Sie will gleich Wäsche waschen, weil ich bei den Jungen bleibe. Länger als 3 Tage bleibe [ich] nicht, glaubst, mir gefällt es am besten zu haus. Da kann ich so schön mit Dir Zwiesprache halten. Wenn Onkel Herbert keinen Nachtdienst hätte, würde ich auch garnicht übernachten bei ihnen! Und es ist auch darum; jetzt, wo so oft Fliegeralarm ist, da ist man am liebsten daheim. Diese Woche ließen sie Ruhe, die Engländer, vielleicht schon heut' Nacht können sie da sein. Ich will schon vorsichtig sein, Du! Bitte! Versprich auch Du mir dasselbe, Liebster!

Heute habe ich noch keine Nachricht von Dir; ich denke, Dich wird der Dienst sehr in Anspruch nehmen. Mutsch wird mir alle Briefe aufheben, bis ich wiederkomme. Von mir hörst Du, wenn ich in Chemnitz bin, Liebster.

Behüt Dich Gott, Herzallerliebster! Bleibe froh und gesund!

Ich grüße Dich herzlich aus der Heimat und bleibe immer in Treue,

Deine [Hilde].

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Hochzeitsgäste auf der Treppe zum Portal der Lutherkirche Oberfrohna.

Ba-OBF K01.Ff3_.A25, Hochzeitsgäste vor der Lutherkirche Oberfrohna, 13. Juli 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Büttenränder weggeschnitten.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946