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[OBF-400902-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 27. August 1940.

Herzallerliebster! Mein lieber, guter [Roland]!

Den ganzen, langen Montag hab ich Dich verfolgt mit meinen Gedanken. Jede Umsteigestadion [sic], jeden Aufenthalt, die lange Wartezeit bis es mittags 1200 war, alles hab ich verfolgt. Ja und dann, Du? Von da ab konnte ich Dich nicht mehr finden, und ich quälte mich auch nicht, zu rätseln, wohin die Fahrt gegangen sein mag. Ich will [j]a alle Geduld sammeln, bis ich ein Zeichen von Dir habe. Es war in jedem Raum und es ist auch heute noch ein Schimmer von den letzten traulichen Stunden, die uns beide hier vereinten. Das ist so gut und so tröstlich; es ist doch am Tage recht still und einsam um mich her. Ich werde mich erst daran gewöhnen müssen, die letzten Wochen sind so voller Glück und Seligkeit gewesen, daß mich die Stille und das Alleinsein doppelt bedrückt. Arbeit habe ich genug, o ja — aber die Gedanken! Die laufen mir immer davon [u]nd ich gucke dann erst mal in eine andere Stube, wie um Dich zu suchen — so fest bin ich mit meinen Sinnen bei Dir, muß mich erst besinnen, daß Du fort bist. Mein Lager ist nun wieder in meinem Stübchen und ich habe Dein Bild bei mir. Ach, wie wünsche ich mir ein neues Bild. Auf meinem bist Du nicht mein [Roland] von jetzt. Du siehst mich jetzt mit ganz anderen Augen an. Eine große Freude hab ich heute erlebt. Eine Aufnahme am Kaffeetisch in Hohenbocka kam an! Nicht sehr sauber entwickelt, aber du gefällst mir ganz sehr. Wir sind beide ganz gelöst und ungezwungen. Ich will Dir's mitschicken, Du sollst Dich auch freuen darüber.

Gestern früh, als Du wegfuhrst, war es so trübe und am Abend hellte sich's auf, die Sonne ging so unter, daß man sich einen schönen Tag versprechen konnte. Wir waren manchmal bei Mutter [Laube], die Nachrichten hören. Um 9 gingen wir heim, danach schluckte es mich so, daß ich meinte: na, entweder legt er sich jetzt im Massenquartier schlafen, oder er ist auf der Fahrt in die Nacht. So klar war der Himmel, die beiden Sterne, nahe dem Mond, ich hab sie mir lange betrachtet. Du wohl auch? Hoffentlich kommt kein Alarm, dachte ich für mich. Und wirklich, nach ½ 200 Sirenengeheul! Vater mußte in die Fabrik, ich hab etwas angezogen und zum Fenster hinausgesehen im Elternschlafzimmer — wie damals mit Dir. Niemand ging bei uns im Hause in den Keller. Ich habe Mutter nicht allein gelassen; Vater sagte, ich soll sie nicht wecken, wenn's nicht ernst wird. Es war ganz still draußen und ich habe ganz deutlich die Geschütze gehört, Leipziger Richtung. Altenburg war vielleicht ihr Ziel. Heute erzählten sie schon beim Fleischer: „ja, direkt über Oberfrohna ist der feindli[che] Flieger gekommen, wir haben ihn gesehen!" Die sind verrückt. Wo ich die ganze Zeit hinausgeguckt habe, bis 'entlarmt' wurde, in der Stille hätte ich doch bestimmt das Motorengeräusch gehört, wenn ich ihn auch nicht grade gesehen hätte. Bis um 300 war Fliegergefahr, 1 ½ Stunden hab ich so einsam hinausgeguckt. Ich hatte große Sorge um Dich, Liebster! Weil ich nicht weiß, wo ich Dich suchen soll. Ich denke, daß Du morgen schreiben wirst. Deinen Eltern hab ich am Nachmittag nach Deiner Abfahrt geschrieben, alles was so Drum und Dran war, damit sie sich nicht sorgen um Dich.

Herzallerliebster! Du mein lieber, guter [Roland]!

Mittwoch ist heute, die Nacht verlief ruhig, ohne Alarm. Um 12 Uhr setzte wieder solch heftiges Regenwetter ein, daß ich erwachte, so trommelte es auf das Dach über mir. Wo wirst Du nur sein, so dachte ich wieder. Und heute früh welche Freude: Deine Karte kam an! Ich war so froh, Du. Sie ist am 27. VIII. 1300 Berlin abgestempelt. Stralsund. Zieht es ihn nicht immer nach dem Norden? Ich kenne die Stadt nur vom Hörensagen. Habe sofort im Atlas nachgeschlagen. Die Pommersche Bucht liegt zwischen dem Festland [un]d der Insel Rügen. Wenn ich mit dort sein könnte, so würde ich versuchen, das Stück See zu durchschwimmen. Ob das wohl möglich ist? Du mußt [es] mal versuchen!

Ja, Liebster! Ich bin eigentlich garnicht erschrocken, als ich nun erfuhr, wo Du steckst. Daß man Euch ein Ende weit absetzt, das hielt ich so gut wie selbstverständlich. Aber, daß es an die Ostsee geht, und nicht nach Frankreich oder Hinterpolen, das söhnt mich mit allem eher aus. Damit ist zwar nun nicht gesagt, daß Ihr für Eure ganze Dienstzeit lang [d]a bleiben werdet. Na, mer wärn's derlaam [sic: "Na, wir werden's erleben" — erzgebirgischer Dialekt]. Nun bin ich für's Erste beruhigt. Ich will schön geduldig warten, was Du mir weiter schreiben wirst. Über die Nachricht, daß Ihr etwas 120 mehr oder weniger von Deiner Berufsseite zusammen kamt, hab ich mich beinah ein bissel gefreut in der geheimen Hoffnung, daß man Euch vielleicht zu einer besonderen Aufgabe heranzieht, die nicht so nach allem Möglichen riecht! Du weißt schon. Aber das kann ich alles nur denken, die sind ja beim Kommis unberechenbar, und stecken einen Schuster in die Küche.

An dem schönen Tag gestern hab ich meine ganze Ferien- oder Flitterwochenwäsche gewaschen und getrocknet, es war wie abgepaßt, denn heute ist es wieder trübe und kalt. Auf dem Markt war ich auch, K.s staunten nicht wenig, daß Du fort bist. Ich soll Dich schön grüßen, sie wünschen Dir alles Gute. Die Wäsche habe ich gelegt, morgen geht's auf die Mangel. Mein Emaillegeschirr habe ich in die Wanne verstaut und will beide mit Papa zur Mutter runter fahren, die hat Platz. Ach, die Eltern waren, fast neugieriger als ich auf Deine erste Post. Und nun sind sie froh, daß Du nicht gleich aus Deutschland raus bist! Auch die Mutter und Annel u. Lene sagten, komm nur gleich mal herunter, wenn vom [Roland] Nachricht da ist. Sie nehmen alle so lebhaft Anteil an Deinem nunmehro Soldatenleben.

Heute abend wollen wir nach Mittelfrohna. Mutsch will ihren Wintermantel umändern lassen bei dem Schneider dort, der arbeitet Damensachen. Ich werde dem großschnäuzigen Fritz F., welcher ist mein Onkel[,] sagen, man habe Dich an der See als uniformierten Walfischfänger angeheuert, und Du wollest nun dafür sorgen, daß sein großes .... gestopft wird.

So, mein lieber Mann! Nun will ich aber noch etwas arbeiten. 9 Paar zerrissene Strümpfe sehen mich hilfeflehend an. Ach, du meine Güte! Du hast D. [sic] doch meinen Stopfpilz mit, muß ich de[rwe]il mit dem Stiel vorlieb nehmen. Die Mutsch weiß nicht, daß ich Dir schon schreibe, die wird aber große Augen machen, wenn solch dicker Brief abgeht, sobald Deine Anschrift ankommt! Du, heute Mittag gab es Gelbschwämmel mit Kalbsbraten und Pflaumenkompott, ich hätte dich ja soo gerne mitessen lassen. Aber die Pilze mußte man mehr suchen auf dem Teller, als in Kamenz! Sie kosten immer noch 55 Pfennig, das Pfund; waren auch viel alte dabei und ich hab mit stiller Wehmut an unseren gefüllten, frischen Pilzkorb gedacht, mit dem wir vor Tagen noch ankamen. Du mußt mir allernächstens schreiben, was es zu Essen gibt da.

Herzallerliebster! Mein lieber, guter [Roland], Du!

Donnerstag nachmittag nach dem Kaffeetrinken ist es jetzt. Ein kleines Mädel spielt um mich her mit 2 Puppen und meiner großen Wiege, sie ist so vertieft — ein rechtes Puppenmütterchen. Hannelore, unser Blumenmädel, das größere. Gestern abend als wir nach Mittelfrohna gingen, war sie schon bei Oma in den Ferien. Nun, es ist bissel eintönig für sie, man hat wenig Zeit, der Gastwirtschaft wegen. Zum Spielen ist ja nichts mehr da, bei Großmutter. Sie wollte gleich mit zu mir und so kommt es, daß ich jetzt ein Ferienmädel [ha]be. Sie wird so lang bleiben, wie sie folgt. Es ist mir in einer Hinsicht ganz lieb, daß ich diese Abwechslung habe, ich komme eher vom Grübeln los, Du. Wenn wir nun schon solch kleines Mädelchen hätten?! Es ist recht gut, wenn eine Frau, die leicht zur Schwermut neigt ein Kind hat. Sie darf dann nicht untertauchen in ihren Gedanken, darf sich nicht verlieren in Sorge und Schwermut. Sie muß ja immer mit allen Gedanken da sein bei solch kleinem Wesen, das alle Fürsorge und Umsicht der Mutter beansprucht, das so voller Fragen [un]d Drolligkeit steckt, daß man immerzu froh sein muß und ein lachendes Gesicht haben. Damit will ich aber nicht sagen mein Lieb, daß ich so schwermütig bin; es sind nur meine Gedanken so und es liegt auch bestimmt viel Wahrheit darin. Ich bin ganz froh und zuversichtlich in unserem Los.

Du bist gesund; ich weiß, wo Du bist, und du trägst das alles nicht allein — Seite an Seite mit so vielen jungen Männern. Du wirst nun die Kameradschaft kennen lernen, die Schweres, Unmöglich scheinendes überwinden hilft. Und das Eine, was uns das Köstlichste unter allem ist,: unsere große, nie versiegende Liebe zueinander, das ist mir die größte und letzte Gewißheit die mir immer aufs Neue Kraft schenken wird, auszuhalten und auch den Glauben an Gottes Wille nicht zu verlieren.

Bitte, schreibe mir nur mal, ob da in Deiner neuen Umgebung auch so viel Alarm ist. Heute Nacht ½ 200 zur bekannten Zeit wieder Sirenengeheul. ¼ 3 auf's Neue. 4 Flieger zogen hoch über die Stadt, möchte wissen, ob es feindliche waren. Geschossen haben sie tüchtig in der Ferne. Bei Café Brumm, an der höchsten Stelle der Stadt, hat man die Feuergarben der Flak gesehen. Sie müssen es auf die Leipziger Messe abgesehen haben. Es war gruslig diese Nacht, Hannelore schlief fest. Mutter hat es zum ersten Mal gehört; wir hielten uns bereit, gingen aber nicht runter, es war ja so kalt. Wann wird das nur ein Ende nehmen?

Mit Deiner Karte kamen 30 M von der Arbeitsfront für mich, ich war erfreut. Will sie am Montag gleich mit zur Sparkasse nehmen. Auch der Herr Gehaltsrechner aus Schandau schrieb: Ich will das Original hier behalten, hier die genaue Abschrift:

Lieber Kamerad [Nordhoff]!

Ihre Bezüge sind: Soll / Lohnsteuer / Bürgersteuer / Überweisung
225,41 M; 11,44 M; 2,50 M; 211,55 M.

Diese Bezüge haben Sie seit Ihrer Verheiratung. Nach Ihrer Einziehung zur Wehrmacht wird Ihnen als Verheiratetem ein Gehaltsteil von 10% gekürzt. (Wehrsold beträgt wohl 30.- M).

Herzliche Wünsche für Ihren Dienst bei der Wehrmacht!

Heil Hitler. S..

Es wird nicht viel in Schandau zurückbleiben. 150 M gehen nach Oberfrohna, 10% vom Gehalt u. 30 M extra gehen ab, es ist doch so zu verstehen? Oder sind diese 10% eben die 30 M, die abgehen? Ja, so wird es zu verstehen sein, nicht wahr?

Herzallerliebster! Mein lieber, guter [Roland]!

Zwei Tage ruhte meine Feder, umso emsiger hat Dein Stift gearbeitet. Dein lieber Brief, den Du am 27. geschrieben hast, ist mit dem Datumsstempel 29.8.40 versehen, und er erreichte mich Sonnabend, den 31. August früh. Ich habe mich ja so sehr darüber gefreut! Der Briefträger, Herr E., hat ihn mir das erste Mal persönlich überreicht, er wartete unten bis ich kam, steckte ihn nicht in den Kasten. Erstaunt fragte er mich: [„]Nanu, sind denn die Ferien noch nicht zu Ende und ganz alleine lassen Sie den neu[ge]backenen Ehemann an die See?" Dann redeten wir noch dies und jenes von der Zeit, vom Krieg.

Und er meinte, ich solle es nur nicht falsch auslegen, sein Interesse, es würde ihn rein persönlich berühren, wie sich unser Weg gestaltet, den er nun schon Jahre, von ziemlich Anfang an mit betreute. Ich kann ihn wohl verstehen, diesen guten Alten; er freut sich mit mir, wenn er mein Gesicht strahlend machen kann, durch Deinen lieben Boten. Wie Du mir alles so schön ausführlich schreibst, ich danke dir das so sehr! Ich kann mir dabei eine rechte Vorstellung von alldem machen, was Du jetzt erlebst. Ich [wü]nsche mir, daß Du es weiter so hältst mit Deinen Berichten, Du! Wir haben alle 3 gelacht, wie wir lasen: „Wir gehören zur Marine!" Du bist freilich schön heraus, Du Schlankerl! Aber die anderen in Deinem Alter, sind doch meist schon länger verheiratet und durchschnittlich gut beleibt! Ich möchte bloß mal die Figuren sehen in der Marineuniform. Dahinein passen doch nur schneidige Kerle! Du glaubst aber nicht, wie ich dankbar aufgeatmet habe, als ich nun endlich erfuhr, zu welcher 'Bande' Du gehörst. Nun ist mir ein großer Stein vom Herzen! Du wirst mir das auch sicher nachfühlen können. Obwohl bei aller Schreibstubenarbeit der militärische Beigeschmack vorhanden ist und immer den Vorder- und Hintergrund zu allem bilden wird. Dafür ist's eben die Militärzeit; aber den Hauptteil des Tages wird doch dann, wenn Ihr alle euren richtigen Arbeitsplatz zugewiesen bekommt die Schreibarbeit in Anspruch nehmen. Vielleicht ist es engherzig von mir, wie ich so die militärische Art auffasse und hier wiedergebe; aber in meiner Gedankenwelt lebt sie so und ich habe so etwas wie Abneigung gegen den ganzen Betrieb. Wir Frauen empfinden hier anders, haben ja auch noch nicht den geringsten Einblick empfangen von dem ganzen Leben u. Treiben beim Militär wenigstens ich nicht. Und ich bin heilfroh, Dich auch mal — und ich hoffe stark, den größten Teil des Tages — bei besseren Dingen zu finden, in kultivierterer Umgebung zu wissen, als unt[er] den Herren Schnauzern und Ranzern unten auf dem Kasernenhof. Um Himmels willen, Du! Sperr' mir diese Briefschaften hinter Dein Hängeschloß in den Spind!! Wenn das einem in die Hände fällt, er möchte Lust verspüren, dieses Thema von Dir ausgedehnter und aufschlußreicher verfolgen zu können. Ich könnte Dich so mit meinem Geschwätz in einen schweren Stand bringen. Und Du weißt ja, ich will das um keinen Preis.

An allem ist Süßes und Saures, ja. Stralsund — man denke, das ist schon weit genug von mir entfernt, aber auch das sche[int] noch nicht weit genug zu sein. Ich will das Beste wünschen und hoffen, für Dich, Herzallerliebster. Hab Dank für die schönen Aufnahmen von Stralsund! Es mutet mir fast an, als sei die Stadt Kolberg nicht unähnlich. Ich glaube, alle Seestädte tragen mehr oder weniger den gleichen Charakter. Nur die Art, wie sie ihre Kirchen und anderen großen, wichtigen Gebäude gruppieren, ist verschieden. Zu Kolberg fand ich Kirche, Rathaus u.s.w. mehr im Stadtinnern am Markt, während das alles in Stralsund nach der See zu liegt, soviel ich auf den Bildern erkenne. Ich kann nur sagen: sehr schön finde ich's da, ein wenig altertümlich; enge Straßen, hohe Giebel, doch geschmackvoll ausgebaut. Es muß doch so sein, wie in einer alten Patrizierstadt. Große Häuser, oft noch mit Bogenfenstern und die Lagergebäude, die am Strande zu erkennen sind. Es wäre schön, könntest Du da bleiben; ich möchte Dich dort einmal besuchen.

Die Eltern freuten sich, daß ich den Brief vorlas, sie wollen doch auch alles ganz genau wissen. Na, das wird nur so sein, bis Du dann einen Standort hast. Was dann so Neues geschieht, das will ich gern erzählen, aber mit dem Vorlesen ist's dann Schluß. Daß Dich Deine Umwelt anstaunt über Deinen Schreibeifer, das will [ich] gerne glauben, aber: „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern!" So muß es ja nun heißen, ja? Und so will ich's auch halten; mag meckern, wer da will. du bist ja mein lieber, guter Mann, und Du gehst mir vor allem andern vor.

Herzallerliebster! Sonntag ist's. Du hast daran gedacht, daß ich auch heute sehnsüchtig warte auf Dein Zeichen. Der Abmachung getreu hast Du einen Tag um den anderen geschrieben. Gestern, Sonnabend wäre also wieder Schreibtag gewesen. Du wirst vielleicht annehmen, daß ich schon den 3. Brief von Dir in Händen habe. Aber die [Fe]ldpost ist nicht so prompt zuverlässig, das macht wohl, weil Ihr Eure Post nicht selbst in den Kasten werfen könnt? Es ist doch wohl so, daß alle Briefe eingesammelt und geschlossen zum Abtransport gehen? Dein lieber 2. Brief, geschrieben am 29., gestempelt am 30.8. zwischen 17-18, traf heute Sonntag am 1. September ein. Also 2 Tage geht die Post.

Liebster! Hab dank für Deine lieben Zeilen! Du machst mich so froh! Und ich schreibe und schreibe, antworte Dir und kann nicht einen Bogen abschicken. Das ist schlimm und das macht mich schon fast traurig. 3 mal habe ich schon Nachricht von Dir und Du besitzt noch nicht einmal einen geringen Gruß von mir. Mußt ja denken, ich hätte Dich vergessen. O, ich denke so sehr an Dich, immer. Wenn Du nur erst eine Nummer hättest.

Feldgrau kleidet sich mein Schatz! Na, das ist mir schon viel lieber, als marineblau, Du! Weil ich dabei an Deine Schwimmkunst erinnert würde. Nimm mir's aber nicht übel, Du! Und zweitens, wie Du schon ganz richtig empfandest: Dem Winter entgegen, mit entblößter Brust, solche Landratten! Allerhand riskiert. Man denke, diese rauhe Seeluft. Ich mußte ja so herzhaft lachen, auch die Eltern, wie Du mir nun so die Gestalten, die Gesichter beschreibst. Weil nur alles gut paßt, das freut und beruhigt mich zugleich. Wenn auch die Stiefel noch bissel reichlich sind, laß nur erst mal den ersten richtigen Marsch hinter Dir, wenn es recht warm draußen ist dazu; dann schwellen die Gelenke immer etwas an. Ich nehme an, daß Ihr trotz allem bissel ran müßt, auch im Fußdienst. Na und wenn es mit der Wärme heuer nichts mehr wird, dann kannst Du auch die Beine schön einwickeln, ohne daß es Dir gleich zu eng wird im Stiefelschaft, zum Schutze gegen die Kälte. Wenn Du irgend etwas brauchst, schreibe gleich; ich werd' es Dir besorgen, hörst Du?! Ich warte jetzt, bis Dein gewaschener Pullover trocken wird, was ja so lang dauert bei dem scheußlichen Wetter; dann geht es los mit dem Stricken. Was mich jetzt am meisten beschäftigt: Wo Du endgültig landen wirst. Von Flensburg bis Memel; ach, ist das ein langer Küstenstreifen! Möge es nur gnädig abgehen, Du! Kiel ist bestimmt sehr unruhig in bezug auf Fliegerangriffe. Wir sind jedoch beide machtlos in diesem Punkte. Unser gütiges Geschick wird schon das Recht wählen für Dich und dann, am Ende müssen wir uns sagen, wie schon so oft im Leben[.] So ist es recht und gut, es konnte ja nicht anders sein. An wieviel Fäden hängt das alles, woran wäre nicht alles zu denken, der Allmächtige allein weiß, wie wir unseren Weg vollenden werden und ihm und seiner gütigen Führung dürfen wir uns auch bedingungslos anvertrauen.

Ich freue mich zu hören, daß Du mit Deiner Umgebung zufrieden bist, das ist schon viel wert. Zwei Gesichter, die Dir bekannt sind. Schreibe doch bitte mal etwas mehr von diesem Wehlener Berufskameraden, es interessiert mich, etwas aus seinem Leben zu hören. Ist er verheiratet? Zu 16 in einem Raume, ist Dir nicht zumute, wie um Jahre zurückverletzt in die Zeit [in] Bautzen? Der Kasten? Ich bin froh, daß Du schlafen kannst. Wie sind die Schlafstellen, frei von Ungeziefer, genügend Stroh und Deckend?

Was wir nun so anstellen? Ich will Dir berichten:

Wie Du weißt, war Hannelore hier. Am Freitag nun, schon am Vormittag saß sie still da und guckte vor sich hin. Ich dachte sofort: Heimweh. Ließ meine Beschäftigung: Reinemachen in der Küche, las ihr [ein] paar Märchen vor. Dann ließ ich sie mithelfen beim Quarkkäulchen backen. Mit einem Male fing sie zu weinen an u. konnte sich nicht wieder beruhigen. Sie wollte heim zu ihrer [Chr]ista, zur Mutti. Ich bedeutete ihr, daß heute kein Zug mehr geht und was denn da die Oma von ihr denken müsse, ohne Wiedersehen zu sagen könnte sie doch nicht heimfahren. Nun wollte sie zur Oma. Na, so bin ich denn mit dem 100[-]Bus mittags runter nach Mittelfrohna mit ihr. Da ging's dann wieder. Am Sonnabend war Papa unten und er meinte, es wäre genau wieder, wie bei uns: sie säße dort und tät den Mund nicht auf. Sie mögen das Kind nur heimbringen, es tut einem doch leid. Ein Geschwisterkind kann sich eben nicht leicht einleben allein. Dabei hab ich mich doch so mit ihr abgegeben u. eine Weile ging es auch gut. Am Sonnabend, gestern wollten wir sie mit nach Chemnitz zu M.ens Jungens nehmen. Nischt zu machen. So fuhren Mama und ich allein. Der erste Weg zu Steinert, dem Mann, der unsere Auflagen 2 mal verkaufte. Ja, es sind neue hereingekommen bitte, sehen sie sich an; sind aber 10 M teurer als die ersten. Ich hab ihn [sic] nun erst Mal auf den Zahn gefühlt: Wie er dazu käme, unsre bezahlten Auflagen nochmal zu verkaufen. Er hätte sie nicht verkauft, es wäre ein Versehen von einer Verkäuferin[,] die aufzubewahrenden Sachen stünden im 1. Stock u. das hätte sie nicht gewußt. Alles fadenscheinige Rederei, worauf ich nicht im geringsten reagierte. Er wollte mir nun in schönen Worten die neuen Decken andrehen, pries die schöne Abfütterung (die wohl[ge]merkt) Vistraseide war u. die gute Füllung. „Sparen sie bitte ihre Worte, ich bin zufällig in dieser Branche bewandert seit Jahren und lasse mir von Ihnen nicht das Geringste einreden", sagte ich nur dazu. „Wenn sie mir nicht dieselben Auflagen liefern können, muß ich mein Geld zurück verlangen."

Nun sah er mich verdutzt an u. Mutter bekräftigte meine Rede noch. Da mischte sich eine Verkäuferin ein in unseren Wortwechsel: Aber Herr Soundso, die Auflagen wurden doch erst gestern gekauft, sie stehen doch zum Abholen verpackt vorne am Ladentisch „Wie, was, das ist doch — da muß ich doch selbst..." Und er ging u. [sic] sah nach. Und wahrhaftig, da waren sie, schön zum transportieren verschnürt mit einem Tragegriff versehen. „Aber da sind auch Bett[v]orleger mit reingepackt." Ich guckte ihn bloß an, sagte garnichts. Er schnürte auf[,] nahm die Bettvorleger heraus, wir überzeugten uns, daß es die von uns damals gekauften Decken waren; viel besser in der Qualität u. 10 M billiger. „Soll ich — wohin möchten sie die Decken geschickt haben?" fragt er unsicher. Bitte, packen sie zu, ich werde die Decken mit meiner Mutter selbst transportieren, antworte ich.

Er war aber dabei soo klein, Du!

So ein verdammter Gauner! Nicht mal ein Wort der Entschuldigung hatte er. Wollte erst noch sagen: ich werde ihr Geschäft weiterempfehlen; aber ich hatte so eine Wut auf den Kerl, daß ich froh war, nicht mehr in sein freches Gesicht zu sehen. Ich möchte bloß wissen, wie er nun mit den Leuten auseinander kommt, die sie zum 2. Mal kauften. Ein feiner Kerl, muß man sagen, was? Mich sieht er nie wieder. Es ist bestimmt so und nicht anders:

Er hat die guten Decken an uns zu billig verkauft. Wir holten s[ie] nicht gleich ab. „Halt, verkaufst sie eben wenn es klappt teurer, die mögen dann die neuen, geringeren nehmen, die reinkommen u. da schlägst du 10 M drauf." So hat der Gauner gedacht. Warum hat er denn zum Onkel Herbert gesagt[,] die sind verkauft und sie waren doch nicht; das verriet doch nun die eine Verkäuferin indem sie sagte: erst gestern, am Freitag wurden sie verkauft. Er behielt sie solange zurück, bis die neuen da waren — es konnte ja sein wir kämen schon eher u. wollten unsre Decken abholen — dann hätte er ja nichts andres zum an[pr]eisen gehabt. So raffiniert!

Na, ich hab mir nichts vormachen lassen. Wenn es gilt, bin ich nämlich keine Gute. Wir haben unsre Auflagen und können lachen, woanders sind sie überall teurer. Es passiert mir auch nicht wieder, daß ich etwas Gekauftes so lange in einem Geschäft stehen lasse, wo ich zum ersten Male kaufe. Schluß davon.

Ein paar nette Plauderstunden verlebten wir noch bei M.ens. Onkel H. [sic] kam erst gegen Abend. Nächste Woche hat er Nacht-Dienst im Geschäft, wegen dem Alarm. Tante Herta bat mich reinzukommen, sie würde sich fürchten, allein mit den Kindern. Mal sehen, wenn ,er' nicht daheim ist abends bin ich nicht abgeneigt.

Ein verregneter Sonntag heute. Vater geht eben zum Nachtdienst. Er läßt Dich schön grüßen, [Du] sollst helfen, Frieden machen! Mutter strickt und meint: wenn nun alle Sonntage so langweilig sind bis Weihnachten, möchte einem Angst werden, Du kämst nun wohl nicht mal zu Besuch. Wenn ich Dir schreibe, ist mir garnicht langweilig, Liebster! Nur leise, ganz leise kommt jetzt schon abends im Bette die Sehnsucht nach Dir. Ach, Liebster! Ich will nicht von der Sehnsucht schreiben, Du kennst sie ja auch, wie qualvoll sie sein kann. Wir wollen es einander nicht schwerer machen, als es schon ist. Nur Liebes und Heiteres wollen wir uns sage[n], daß wir immer den Kopf oben behalten. Ich will gewiß kein Geheimnißs vor Dir haben, aber ich kann Dir nicht sagen, wieviel Mal ich schon geweint habe, wenn ich abends so allein im Kämmerchen liege. Liebster! Bitte, vergiß nicht das neue Bild.

Hilde K. besucht mich. Sie kommt 4 Wochen nach Bad Elster zur Erholung. Ich gönne es ihr von Herzen, sie kann einem leid tun, wenn man sie nur ansieht. Ein Kamerad von ihrem Verlobten nimmt sich ihrer so liebreich an, er schreibt ihr — sie antwortet auch. Die Briefe gab sie mir zum Lesen. Er ist ein stiller, feiner Mensch, wie ich aus seinen Zeilen herausfühle. Mit Bildung; er ist gottesfürchtig, eine seltene Beobachtung bei einem 12 jährig dienenden Flieger. Vielleicht ist in diesem Briefwechsel ihr ferneres Geschick besiegelt.

Ich wünschte ihr einen Menschen, der sie nach solchem Herzeleid mit Geduld und feinem Verstehen an sich gewöhnen könnte. Sie ist wie ein verscheuchtes Vögelchen, so hilfebedürftig und schreckhaft zart. Wenn nur bei dieser Kur ihrer körperliche Kraft zunehmen möchte, die seelische Kraft findet dann gewiß den rechten Weg. Heute vormittag besuchte ich sie nochmal kurz, morgen früh um 6 geht die Reise los. Sie freut sich garnicht.

Was wird wohl mein lieber Mann jetzt tun?

Es ist 600 vorbei, wir wollen noch ein wenig an die Luft, Mutter und ich. Es regnet im Moment nicht. Dann essen wir zu Abend und gehen auch in unsre Klappe, wie es bei Euch heißt. Hoffentlich kommen die Engländer nicht. Vergangene Woche waren sie zweimal da. In den nächsten Tagen muß aber nun Deine Anschrift kommen, ich beschreibe jetzt den 8. Bogen, das geht nicht alles in einen Umschlag. Machen wir halt: Fortsetzung folgt!

Deine Mutter schrieb auch einen lieben Brief, sie sind alle gesund sie will kommende Woche zu Elfriede. Frau H. ist wieder daheim. Die Bilder schickte [Elfriede] noch nicht, ich hab auch noch keine bestellt.

Montag früh ½ 11 Uhr.

Herzallerliebster! Mein geliebter [Roland]!

Eine Nummer hat er, Hurra! Jetzt gehts los!

Komme eben vom Hamstern, alles erwischt für Dich. Nur keine Schokolade, hätte doch so gerne die Sendung Papier ein [w]enig versüßt. Aber vielleicht schmecken auch die Pfefferkuchen, die unser Bäcker bäckt? Mein lieb! Jetzt heißt es nun Kopf hoch, Mut nicht verlieren! Gott wird bei Dir sein in jeder Gefahr. Bei uns war es wieder mal toll in der Gegend heut Nacht. Die Flak gab 1½ Std. ununterbrochen Feuer, ½ 200 war Entwarnung. Aber nun flink zur Post — Du sollst endlich was von uns hören, Du!

Bleib gesund und froh! Behüt Dich Gott!

In treuer Liebe,

Deine [Hilde].

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Brautpaar Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal zur Kirche.

Ba-OBF K01.Ff3_.A4, Brautpaar Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit, 13. Juli 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946