
S. am 27. August 1940
Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!
Diese Anrede aus der Brautzeit, aus uns[e]rer Zeit des Wartens, soll nun noch länger Geltung behalten. Nun komm, Herzliebes, und laß Dir berichten. Voll Spannung fuhr ich nun nach Dresden. Ich gab mein Gepäck auf. Mit meinem Frühstück bin ich durch den großen Garten gegangen, unseren Weg, weißt Du noch, zum letzten Male in Freiheit. Zurück zum Hauptbahnhof. Eine Fleischbrühe habe ich noch genossen — dann trat ich den schweren Gang an, 10 Minuten vor 12. Ich fand dort schon alles versammelt und eingeteilt, fragte mich durch und stand dann und fand mich verlassen mitten unter einer Gruppe von Kraftfahrern.
Verlesung. Zunächst Leute aus den Bezirken Meißen, Dresden, Zittau. Nun Pirna. Ich spitze auf meinen Namen, ich komme nicht dran — da kommt hinter den Reihen ein Kamerad, nennt zwei Namen, meinen darunter, und nimmt mich mit, auf einen anderen Flügel. Erleichtert atmete ich auf und fand mich nun in einer lieberen Umgebung: Kaufleute, Lehrer. Unterdes war auch schon durchgesickert, daß es [f]ortging, die Kraftfahrer nach Kiel, die ‚Schreiber‘ nach S.. Nun gingen die tollsten Vermutungen um. Da erschienen auch schon die Transportleiter, führten uns hinauf auf den Bahnsteig, und dann in einen Speiseraum des Hauptbahnhofes. Dort bekommen wir eine Erbssuppe und Kaffee, den ersten Sodakaffee, weißt! Dann führte man uns zum Zug: Personenzug Richtung Elsterwerda — Berlin, Abfahrt […]. Ja, und nun ging[‘]s ab. Dresden — Abschied von dem schönen Stadtbild. Coswig — unser Ausflug. Großenhain — den Eltern noch einmal am nächsten. Und hinein in die Ebene. 4 Stunden Fahrt nach Berlin. Ein bekanntes Gesicht habe ich entdeckt: eine [sic] Kollege aus W.. An ihn halte ich mich ein wenig. Berlin, Anhalter Bahnhof.


Nun waren schon mancherlei Bekanntschaften geknüpft. Man hörte Lachen, Reden in verschiedenen Zungen, am deutlichsten die Edelroller. Die Gesichter: viel Bebrillte, die meisten Intelligenz verratend. Im Schlafsaal nun Lachen und Ulken und das unvermeidliche Zoten. Die Nacht vorher war Berlin von Fliegern besucht worden, und mit Fliegeralarm war zu rechnen. Ich war müde, konnte aber nicht schlafen. Wie die meisten, legte ich mich in Sachen schlafen, weil es nur eine Decke gab. ½ 1 Uhr gab es prompt Fliegeralarm. Aber die Engländer machten es uns gnädig für[‘]s erste.

Im nächsten Brief kann ich Dir vielleicht meinen Standort mitteilen. Halt den Daumen!
Herzliebes! Ich werde hier nichts Neues lernen. Nichts wird mich halten, zu Dir zurückzukehren in uns[e]re Schule der Ehe, wo es so viel zu lernen und zu schaffen gibt mit Dir.
Mit vielen herzlichen Grüßen an die Lieben Eltern,
vielem herzlichen Dank für Eure Versorgung
bleibe ich immer Dein [Roland].