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Briefkorpus

Oberfrohna, am 30. Juni 1940.

Herzallerliebster! Mein lieber, lieber [Roland], Du!

Es ist abends um sieben. Ich bin nun fertig mit meiner Arbeit, die ich mir für heute vorgenommen hatte; morgen muß ich mir erst Tüll kaufen, dann kann ich das Polterabendkleid vollends zu Ende arbeiten. Nun will ich noch ein wenig Sonntag feiern. Wie kann ich das besser und lieber tun, als daß meine Gedanken zu Dir gehen?

[Es] war ein schwüler Tag heute, schon früh — nachmittags grollte immer der Donner ein wenig. Einen Sonnenregen gab es auch. Heute war Dankgottesdienst angesetzt in der Kirche. Wir sangen: "Stimmt an den Preisgesang". Herr G. vervollständigte unsern Tenor. Um ½ 9 versammelten wir uns im Pfarrhaus zu einer Probe. Ich wartete so ungeduldig auf den Postboten — er kam nicht. Ich mußte gehen, konnte nicht länger warten, der Dienst rief. Es hat mir heute so gut gefallen im Gotteshaus, und ich wünschte, [Du] hättest dabei sein können. Von der opferbereiten Liebe zu unseren Nächsten, von der Dankbarkeit und Demut gegen Gott sprach der Pfarrer. Seine Predigt stand unter dem Gleichnis: ‚die zehn Aussätzigen', von denen nur einer zurückfand zu Jesu, ihm zu danken. Er schilderte das im Verhältnis zu so vielen Menschen, die, wenn eine große Freude, ein großes Glück ihnen widerfährt, den Geber vergessen und den Dank vergessen. Er vergaß auch nicht hervorzuheben, daß unser Führer nach dem großen Sieg in Frankreich von Dankbarkeit und Demut gegen Gott sprach.

Ich glaube, daß in dieser Hinsicht viele unter uns aufs neue in Vertrauen und Dankbarkeit die Herzen ihm zuwenden. Und ich muß dabei eben wieder an die Art der Verkündung dieses großen Sieges, wie sie der Rundfunk uns hören ließ, denken. Der erste Dank, in Form eines Liedes, galt Gott. Und es berührt uns doch dabei ganz eigenartig — etwas Gewaltiges, Großes im Innern.

Ein deutscher Christ ist unser Pfarrer. Manchmal spürt man etwas Fremdes, uns wenig Zusagendes in seiner Art, Gottes Wort zu verkünden, aber heute war ich ganz bei seinen Ausführungen, ich fand nichts Befremdenes. Ich bin zuversichtlich im Hinblick auf unsere Zukunft, um Kirche und Glauben — Barbaren sind es nicht.

Aber es ist möglich, daß ich das Neue was da kommen will, noch garnicht ermessen kann, in seiner Tragweite und in seiner ganzen Auswirkung für uns. Du sollst nicht meinen, daß ich persönlich eingenommen bin — ich gehe nicht um des Menschen willen zur Kirche, Gottes Wort zu hören, sondern um des Wortes selbst willen, das ich höre.

Deine Worte über meinen Dienst, den ich als Ehrendienst verrichte, haben mich traurig gemacht. Ich war froh, daß ich Deinen Brief nicht vor dem Kirchgang las, ich hätte nicht so froh und dankbar zuhören können.

Ich bin Deine Braut, Du hast Dein Recht an mir, ich weiß es. Sag, verstraust [sic] Du denn Deiner [Hilde] nicht ganz?

Glaubst Du, daß ich etwas unternehme, das ich nicht verantworten kann, ohne Dich ins Vertrauen zu ziehen?

Ich bin mir bewußt, daß ich alles Tun vor Dir und vor meinen Eltern verantworten muß. Wenn ich eine Sache angefangen habe, führe ich sie durch, auf meine Verantwortung.

Was ich dachte bei diesem Angebot? Der Pfarrer muß wissen, ob er mich für diese Sache brauchen kann — 3 Stunden sind znicht viel Zeit an einem ganzen Tage. Es werden überall Arbeitskräfte gebraucht, das sehe ich; ob im Lager, im Lazarett, ganz gleich. Nützlich machen kann man sich an jedem Platze, wo es fehlt. Was andre tun, kannst du auch, du bist jung und die Zeit kannst du durch doppelte Leistung daheim aufholen. Was nützt es, wenn ich ohne Mühe opfere?, wenig. Das ist nicht der Zweck des Einsatzes an irgend einem Platz im Volk. Es würde mir dann nicht so viel Freude machen.

Mutsch hat darunter nicht zu leiden. Sie kommt nach wie vor um 1[unklar] heim, das Essen mit zu überwachen. Ich stehe wie ich es immer gewohnt bin, auf. Das Mittagbrot versorge ich von Grund auf, Mutsch braucht nur letzte Hand anzulegen und den Tisch zu decken. Alle Hausarbeit verrichte ich in der Zeit, die vor und nach meinem Dienst liegt. Wenn die Schneiderei auf den Rand gebracht ist, kommt das Reinmachen an die Reihe, ich werde mir schon meine Zeit mitteilen, daß ich mich nicht übernehme und außerdem bin ich ja nicht aus Porzellan. Mit dem Arbeitsamt hat das nichts zu tun. Ich verrichte in meiner [Fre]izeit die Ehrenamt, wo ich nicht Lohn beziehe. Das kann der Pfarrer jederzeit bezeugen, daß ich diese Bedingung stellte. Mein Arbeitsbuch ist gelöscht worden am 25. 6. 40. Ich habe keine Angst vor Unannehmlichkeiten.

Ich sehe ein, daß Du es gut meinen willst mit mir; aber daß ich Dir dafür zu gut bin, kann ich nicht verstehen. Ich und auch Du werden dabei doch nicht gedemütigt. Und wenn ich das empfinden könnte, würde ich natürlich dementsprechend meine Konsequenzen ziehen, das darf ich ja jederzeit.

Habe doch keine Sorge, daß Herr Pfarrer im Dienst sich mit mir über unsre Glaubensauffassungen aussprechen würde, dazu wäre er nicht ungestört genug. Und außerdienstlich, so wie am Johannisfest, komme ich ganz gewiß nicht wieder mit ihm zusammen. Wenn es der Zufall doch wollte, vertraue ich schon meiner Geistesgegenwart, mich sofort in die erforderliche Stellung zu begeben.

Ich merke, Du bist etwas verstimmt, weil ich das alles so auf eigene Faust unternahm. Ich kann Dir das nachfühlen.

Hör zu: Am Dienstagabend kam ein Brief vom Pfarrer, durch Herrn M. Ich möchte mich doch bitte am Mittwoch früh zwischen ½ 10 + ½ 11 im Pfarramt einfinden zwecks unsrer Unterredung vom Montag im Pfarrgarten. Ich ging hin, die Eltern waren nicht dagegen. Er erklärte mir alles, ich glaubte mich dieser Aufgabe gewachsen, er sagte auch die Zeit, für die mein liebenswürdiges Einspringen in Frage käme. Ich überlegte nicht lange, ich war bei dem Gedanken an Dich völlig ohne Arg, und ich glaubte Dich damit freudig, wenigstens überraschen zu können. Das es so kam, hätte ich nicht erwartet. Aber das soll mir trotz allem die Freude an meiner neuen Pflicht, die ich gerne, und mit dem frohen Bewußtsein auf mich nahm, mich nü[tzli]ch zu machen im kleinen an der inneren Front, nicht verleiden. Wenn Du glaubst, die Formel, mit der ich Dir diese Neuigkeit überbrachte, ließe schlechtes Gewissen und Reue spüren, so muß ich Dir sagen, daß man eben im Briefe oft nicht das dem Leser klarmachen kann, was der Schreiber will. Wenn Du hättest meine Miene sehen können, die ich dabei hatte, so würdest Du nicht so schreiben können.

Das Ganze an der Sache war, ich mußte mich entscheiden, ja oder nein und zwar gleich; denn ich wurde sofort gebraucht. Somit konnte ich Dich nicht in Kenntnis setzen davon; weil ich aber mein Handeln nicht als unverantwortlich betrachten konnte, so packte ich eben frisch an.

Ob Du mir das nun übel nimmst oder nicht, ich mußte das alles schreiben, wir Frauen haben halt auch unsre Grundsätze und jetzt ist mir leichter geworden.

Der letzte [Laube]sche Seitensprung? Ja. Mein Wort! Aber — der [Nordhoff]sche? Du bist dann mein Beschützer alle Tage, Du!

Ich verstehe Dich, Du! Ich weiß, daß Du, weil Du mich lieb hast, mir das alles schreibst.

Aber Du mußt mich auch verstehen, Liebster!

Noch eine Woche gehe ich in's Pfarrhaus, dann gehöre ich nur noch Dir. Daß ich mit Dir in guter Kameradschaft, im höchsten Vertrauen und im besten Verstehen alles, was das Leben mit sich bringt ausmachen kann, das is doch das Schöne und Beglückende unserer Liebe, und das gibt ihr den höchsten Wert.

Du! Mein lieber, lieber Großer! Könnte ich Dir jetzt in Deine lieben Augen sehen und Dir leise über's Haar streicheln, damit Du fühlen könntest, wie so lieb Dich Deine [Hilde] hat, Du!

Gut Nacht! Liebster!

Montagfrüh.

Herzallerliebster! Einen guten Morgen wünsch' ich Dir! Will gleich jetzt meinen Brief an Dich noch fertig schreiben. Vielleicht, daß Du wartest am Dienstag?

Unsere Trauzeit will ich nun anmelden auf dem Standesamt und in der Kirche. Herr H. und die Kantorei fragten mich vorigen Donnerstag, als ich zum letzten Male singen war, darnach. Es paßte den meisten nicht gut, als ich sagte um 12 Uhr soll die kirchliche Trauung sein, weil so viele beruflich angehängt sind. Sie baten mich nun, daß wir [es] doch auf 1 Uhr verlegen möchten, sie wollen doch alle mit dabei sein.

Ich zeigte mich geneigt dazu; denn es kommt ja wahrlich nicht auf eine Stunde an, nicht wahr? Weiß nur nicht, ob Du und die Gäste damit einverstanden sind, wir fahren ja mit der Kutsche; aber der 1 Uhr Bus für die Gäste wäre dann weg. Äußere Dich doch mal dazu. Ich glaube, ¼ 3 fährt der nächste. Onkel Fritz, der den Mietwagen fährt, muß heute früh 10 Uhr in Chemnitz eintreffen, nun kriegen es die beiden Frauen mit der Angst, wie es ohne ihm weitergehen soll. Der Pfarrer B. muß auch fort, aber Datum noch ungewiß. Denk nur! Nun wollen 3 Organisten zu unsrer Hochzeit spielen: Herr H., der zwar Ferien hat, aber unbedingt kommen will am 13., und Herr G., sein Vertreter, der sich bei mir auf dem Pfarramt schon freute, daß er [Nordhoff]s spielen kann, und zuletzt Herr G., der in Freiberg ist und wenn es möglich zu machen ist, um unsre Trauzeit nach Oberfrohna kommt. Letzterer wäre mir der Liebste. Ich denk nur, wenn Herr H. die Chöre dirigiert will er auch spielen, wäre mir nur zu verständlich. Na, mir ist einer so recht, wie der andre, wenn sie ordentlich spielen. Gestern sprach ich nach der Kirche noch eine Weile mit Herrn G., auch davon, ob wohl uns[e]re Soldaten kommen und ich sagte ihm, daß das mein größte Wunsch sei. Ob er mich denn garnicht berichten könne darüber, wie er als Hauptmann eingestellt wäre, fragte ich.

Und weißt Du, was er sagte? „Na, ich will mich mal ins Zeug legen für die beiden, ich habe auf die Art meinen eigenen Bruder frei bekommen und das wollte erst nicht klappen!‟

Er fragte mich nach ihren Anschriften, er schreibt an die beiden Kompaniechefs der betreffenden Feldpostnummern. Glaubst Du, daß ich ihm vor Freude am liebsten sonst was getan hätte?

Wie hat sich G. geändert! Trudi ging gleich mit zu mir, die Anschriften zu holen, ihr Vater wollte das gleich noch machen. 1. ist kein Tag mehr zu verlieren, 2. mußte er wieder zurück nach Freiberg. Wie er das Schreiben verfaßt? Da vertraue ich ihm ganz und der daruntergesetzte ‚Hauptmann‛ Du! Der macht was von sich.

Wenn es nun nicht wird?! Er rechnet auf ihren Urlaub, wenn sie nicht unterdessen (nicht) gegen England eingesetzt würden, und wenn alle Bahnlinien von ihrem jetzigen Ort aus aufrecht erhalten sind. [Va]ter kam vom Sammeln heim und erzählte, daß eben jetzt vor 12 Uhr Frl. G. mit dem Rade um die Ecke kurvte, nach der Post; sie hätte ihn garnicht gesehen. Wir erzählten ihm darauf die Geschichte und dann haben wir alle so sehr gelacht, dann könne er's verstehen, meinte Vater. Ich möchte nur die Miene uns[e]rer Soldaten sehen, wenn es abends bei der Dienstausgabe heißt: [Nordhoff]! Rrraustreten! Bekommt ab 10. Juli — 15. Juli Heimaturlaub! — Ich glaube, ihnen bleibt da der Schnabel offen stehen! Halt nur auch Du weiter den Daumen.

Diese Woche will Trudi mit mir zum Gärtner gehen wegen meinem Myrten- und Rosenkranz, hast Du schon geschrieben an B.s, soll ich etwas sagen? Wieviel sollte mein Bouquett Rosen haben, 13 oder soviele, wie alt ich bin? Ich weiß nicht mehr, wie wir es in Kamenz mit Mutter ausmachten. Schreibe nur, wie Du denkst, ich werde B.s auf Deine Bestellung aufmerksam machen, damit sie wissen für wen es ist. Sie kennen mich und ich hoffe, daß sie es solch alter Kundschaft doppelt schön anfertigt. Dein Sträußchen muß T. mit versorgen. Aber wie wird es nun mit ihrem Bouquett?

Siegfried kommt ja ungewiß hier an. Soll ich Deinem Vater nochmal schreiben, daß er [es] versorgt? Und wenn Siegfried nicht kommen sollte, muß Trudi sowieso von Vater [Nordhoff] abgeholt werden, 1. eignet sich Vater am besten dazu, der Bräutigam kann sie nicht holen und allein können wir sie auf keinen Fall kommen lassen!

Ich habe Sonnabend einen langen Brief nach Kamenz geschrieben u. eine Abschrift von einer Festzeitung dazugeschickt! Mutter muß dichten, ob sie will oder nicht!

Etliche Schlechtigkeiten habe ich geg angeführt!

An Elfriede schrieb ich einen lieben Brief, mit Deiner Verbindung nach hier. Und Mutter habe ich einen Einladungsbrief aufges[etzt] für Onkel Erich u. Frau, es gehört sich, daß wir den Pfarrer einladen. Nun denk ich, daß alle Bescheid wissen.

Gestern kann schon ein lieber Brief aus Breitenborn an, auf Deine Einladung hin, wir freuten uns.

Für heute wäre es das Neueste. Mal sehen, was mir noch einfällt. Ferienplane [sic] besprechen wir zusammen.

Eben schreiben Onkel Karl u. Tante Martha aus Klotzsche. Sie kommen am 13. um 1200 hier an, also bleibt es wohl bei [der] kirchlichen Feier um 100? Aber wir sind dann bei Ihrer Ankunft schon fort zum Standesamt, was meinst Du? Mutter u.Vater [Nordhoff] schreiben auch und beschweren sich, ob man sie vergessen hat einzuladen? Also haben sie unseren langen Brief noch nicht.

Nun Herzallerliebster! Leb wohl für heute!

Behüt Dich Gott! Bleibe froh und gesund!

Ich warte auf Dich, wie nur eine glückliche Braut warten kann — voll Sehnsucht, voll Liebe, auf ihren Liebster!

Ich liebe Dich von ganzem Herzen, mein [Roland]!

Ich bin und bleibe immer

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946