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[OBF-400622-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 22. Juni 1940.

Hauptquartier des Bräutigams.

Herzallerliebste, meine liebe [Hilde], Du!

Zwei Briefe habe ich schon geschrieben, Du, nun mußt Dich mit dem begnügen, was noch übrig ist. Na, dann gleich mal ein Drückerl [sic] und ein Busserl vorweg, die sind alle noch da, ist noch kein[e]s verschrieben, Du! Es ist so warm, und am liebsten tät ich ja jetzt a bisserl Mittagsstunde halten, wenns nur allein nicht so eintönig wär. Ach Du! Wenn ich an den drei Wochen entlangsehe, dann kommen sie mir schon gar lang vor, ein wenig grausam, die letzten Wochen Junggeselle und Bräutigam! Aber 3 Wochen sind's gar nicht mehr ganz, merke ich eben, Du! Na, und wenn es eins von uns gar nicht aushalten könnte – – aber keine Probe drausmachen, wie lieb eins das and[e]re hat, sonst komme ich gleich.

Du hast gut warnen vor den Nackfröscherln auf der Elbwiese, weißt ganz genau, daß Dein Hubo viel zu dumm und schwerfällig ist und gar kein[e]s kriegt mit seinem angegrauten Haar und seinem dicken Dexl und daß, wenn er wirklich einmal darnach hinschaut, doch nur an sein Nackfröscherl denkt.

Nein, aber im Ernst, die ganze Nackfröschelei so vor aller Welt und die Badesitten unsrer Zeit werden einem als unbeteiligten Zuschauer wieder und wieder zum Problem. Was das Weib mit Recht schamvoll verfüllt und seinem Vertrauten aufhebt als Geschenk seiner höchsten Gunst, das wird hier öffentlich präsentiert und heilgeboten jedermann zu Luft und Augenweide. Nun höre ich Dich schon einwenden: was könnt ihr Männer auch da schon absehen! Darauf muß ich nun erwidern: Was versteht ihr Weiberchen davon! Der ganze Liebreiz, ich bekräftige, der ganze Liebreiz eines Mädchens prägt sich in seiner Gestalt aus, schon in der verhüllten.  Wenn ich nun denke, wie Du lieben kannst, wieviel Liebe Du verschenken kannst, kannst Du dann verstehen, daß ich ein wenig um Dich bange und sorge? Du tummelst Dich harmlos und der Freude an Bewegung hingegeben und irgendein Mensch, vielleicht gar ein böser, berauscht sich an Dir. Es ist auch eine Versuchung. Du hast dieses Problem nun wieder am eigenen Leibe verspürt und verstehst mich ganz gewiß. Aber welcher Ausweg bleibt nun? Badezeiten für Männer und Frauen getrennt. Siehst du, wieder ein Brauch aus der guten, alten Zeit. Wer ihn wieder zu Ehren bringen wollte, würde von allen Männern (verständlich, allzu verständlich!) als prüde angesprochen. Und war es nicht ein guter, sittiger Brauch? Warum verliert die Liebe unter den Men[sch]en immer mehr an Tiefe und Geheimnis und Kraft? Weil die Menschen das Seltene gemein machen, das Verborgene hervorzerren, und das private und persönlichste öffentlich machen, weil sie den Sinn verlieren für den engsten Kreis des Vertrautseins zwischen Mann und Frau. Aber Man könnte diesen Satz aufstellen: Zeige mir, wie das Weib sich schämen kann, und ich will Dir sagen, wie tief sie [^]es lieben kann. Am Schamgefühl hängen so viele zarte und feine Fäden des Empfindens, die auch herüberreichen  in die Sphären des Geistigen und Seelischen. Liebste, Herzallerliebste, daß Du an mir einen Menschen gewinnen möchtest, der Deine tiefe und feine Liebe ganz teilen kann und ihrer würdig ist, das ist mein größter Wunsch und Ehrgeiz. Daß sie ganz unser Eigen ist und mit all ihren Regungen eins an das andere bindet, muß ihr unversiegliche Kraft geben.

Es regnet. Es hat ein Gewitter gegeben. Hat mich gestört im Schreiben. Muß nun den Brief selber an die Bahn bringen und mich beeilen, Dir das wichtigste noch aufzuschreiben.

Morgen will ich daran gehen, die Einladungen aufzusetzen und zu schreiben. Seit Donnerstag suche ich auch nach dem Bibelwort für unsere Trauung. Deinen Einschreiber erhielt ich heute. Deinen lieben Brief dazu. Sei recht bedankt dafür. Will alles gut befolgen, was du mir rätst. Wirst bald wieder  von mir hören. Übernimm Dich nicht bei der Arbeit! Sei schön umsichtig! Verliert auch den Humor, die gute Laune und die Freude nicht darüber. Die Freude! Herzallerliebste, Du! Daß Du nun mein werden sollst! Vielleicht, daß wir noch heute oder morgen eine and[e]re  große Freude erleben. Paß gut auf! Ich will dabei fest an Dich denken.

Wie soll ich Dir zeigen, daß eine große Freude in mir ist und ich Dich ganz sehr liebe? Du, Herzallerliebste, meine liebe [Hilde]!

Gott behüte Dich mir! Er segne unser Vorhaben und unsere Wege!

Laß Dich herzen und küssen, laß Dir sagen, daß ich ganz Dein bin und Dich von ganzem Herzen liebe! Du! Herzliebes!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946