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Briefkorpus

Oberfrohna, am 5. Juni 1940.

Herzallerliebster!  Mein lieber, lieber [Roland], Du!

Als ich heute früh den ersten Blick aus dem Fenster tat, wehten die Flaggen fast an allen Häusern der Schröderstraße.  Es blieb mir bis heute mittag ein Rätsel, was wohl dieser ganz besondere Anlaß dazu sein muß. Dünkirchen ist gefallen – ich erfuhr es beim Einkaufen.  Eine laute, freudige Stimmung tut sich über diesen groβen Sieg nirgends kund.  Dankbarkeit, tiefe Dankbarkeit gegen Gott und unsere lieben Soldaten f[ü]hlen wir in uns; möge er gnädig walten über dem deutschen Geschick. Ich empfinde es machmal ungut, machmal gut, daβ wir kein Radio haben. Viele aufregende Einzelheiten bleiben so mir erspart und doch warte ich brennend darauf, bis die Zeitung kommt und das Wichtigste meldet. Glaub mir, ich kann nicht ohne Anstrengung meine Fassung und trotz allem meinen Mut bewahren. Dieser Krieg ist so grausam.

Wenn ich Frontberichte oder sonst irgendwelche Einzelheiten lese, mich so richtig hineinversetze in das Geschehen, dann könnte ich fast verzweifeln, wenn ich an die Zukunft denke.  Bei uns kamen 50 Verwundete an. Heute fahren die Wolhynien–Deutschen weg, sie sagen, nach Pirna ins Sammellager.  Wenn das Lazarett- und Lagerleben eine Zeit so fort geht, nehme ich an, daβ wir von der N-S-V Ehrendienste zugewiesen bekommen.  Ich würde mich ohne weiteres täglich paar Stunden zur Verfüngung stellen.

Meines Erachtens wird sich wohl nun sowieso meine Lebensweise ändern.

Ich glaube auf keinen Fall, daβ man mich ungeschoren läβt, wenn ich Deine Frau bin und keinen eigenen Haushalt führe, Du beim Militär bist.  Man wird mich schon zur Arbeit heranziehen. Aber lieber melde ich mich freiwillig zum Roten Kreuz, oder zur N-S-V im Orte, als daβ ich mich zurück in eine Fabrik stecken lasse, das steht fest.

Weiβt Du, was ich dieser Tage immer denken muβte?

Es kann sein, daβ ich mit meiner Annahme ganz daneben greife.

Deine Einberufung beruht auf Schikane gewisser Persönlichkeiten, die Dir von damals nicht wohl wollen.  Wir haben ja keine Ahnung, wie raffiniert manche Menschen arbeiten, und besonders wenn sie von der Partei aus an führenden Stellen sitzen.  Es würde ja nur ein kleiner Typ genügt haben, um den Stein ins Rollen zu bringen.  Ich kann mir nicht helfen, ich traue denen auch die letzte Niederträchtigkeit zu.  Haben sie Dich in Lichtenhain an Deinem Fortkommen gehindert, was sollte sie wohl nun veranlassen, das Gegenteil zu tun?  Glaube ja nicht, daβ die He[rr]n nicht informiert sind über Dein politisches Verhalten, wer sich einmal als sogen. schwarzes Schaf gezeigt hat, den lassen die Brüder nie mehr aus den Augen.  Ich weiβ, es ist nicht Dein Verschulden, wie die Dinge jetzt liegen wegen Deiner Anmeldung.  Diesen Fall nenne ich ja auch nicht als ausschlaggebend hierin.  Ich kann nur nicht vergessen, wie gemein sie damals waren und muβ aus dem Grunde meine Behauptung aufrecht erhalten, daβ da jemand anderes als das Gesetz dahinter steckt.  Sie wissen ja alle, Du willst heiraten, wirst damit ständig werden.

Wir Frauen urteilen anders als ihr Männer.  Du magst mich verurteilen, ich kann es Dir nicht wehren.  Du bist zu gutgläubig.

Doch das wissen wir beide: Es nistet viel Schlechtigkeit u. Niederträchtigkeit gerade unter den Männern der Partei.

Es ist auch nicht Feigheit oder ein schlechter Zug von mir, daβ ich will [sic] andere Menschen verantwortlich machen, schuldig erklären für Dein Geschick; denn seiner Bestimmung entgeht letzten Endes keiner; ich sage das auch nicht aus eigennützigen Gefühlen heraus, warum sollte es gerade mir besser gehen, als den anderen.  Ich kann Unrecht nicht vergessen und bin voll Miβtrauen gegen jeden, der mir und uns beiden Unrecht tat.

Liebster!  Nimm das alles, was ich Dir darüber schrieb, nicht als Anklage gegen das Schicksal.  Du weiβt, ich kann schwer vergessen, und die Bitterkeit stieg in mir hoch, als ich unsere jetzige Lage und dann die Vergangenheit ‚Lichtenhain‛, an mir vorüberziehen lieβ – ich muβte mir Luft schaffen.

Ich verspreche Dir:, [sic] daβ ich unser Geschick mit festem Griff anfasse, daβ ich ihm unverzagt und tapfer ins Auge sehen will – es muβ uns gelingen, unsere groβe Liebe durch diesen Kampf zu tragen, mit Gottes Hilfe hindurchzutragen um sie, wenn es an der Zeit ist, doppelt froh und glücklich in unserem Heim Einzug halten zu lassen.  Herzallerliebster!  Gestern war Wandertag mit Frau Mama.  Das Wetter versprach früh schon herrlich zu werden, und Du in Schmilka bekamst sicher auch eine Probe davon ab.  ½ 8 waren wir schon startbereit und ich schlug vor, wir gehen am Postamt vorbei und fragen, ob.....  Siehe da, sogar ein Küβchen, da spiele ich selbstverständlich den Empfänger!  Mit frohem Sinn reiste ich ab.  Zu Waldenburg muβten wir ½ Stunde auf Anschluβ warten, und wie wir so vor'm Bahnhof in der Sonne sitzen denke ich, jetzt wirst du mal eben Vater [Nordhoff] [ein]en Gruβ senden; Waldenburg die Stadt seiner Jugenderinnerungen!
Die alte Krämersfrau gegenüber dem Bahnhof, wo ich die Karte kaufte, lieh mir auch ihren langen Bleistift und als ich mit ihr in's Gespräch kam, stellte es sich heraus, daβ sie und ihre Brüder Deinen Vater kennen; na, da habe ich sie gleich mit unterschreiben lassen.  In Glauchau konnten wir uns nur 3 Stunden aufhalten, weil keine andre Möglichkeit bestand, vor Abend nach Wolkenburg zu gelangen.  Es ist alles in Ordnung mit unserer ,Bestellung‛, wir bekommen eine harte Wurst und einen Rollschinken. Denke nur, Onkel Albert hat auch Bereitschaftsorder, er ist Jahrgang 1906.  Du hast keine Ahnung, wie unzählig viele Männer dauernd auf Tante's Straβe vorbei nach den Kasernen ziehen.  Sie sagte, das geht schon über eine Woche so, und lauter ältere Männer.  Sie meinen auch, daβ wir uns sollen lieber noch standesamtlich trauen lassen, ehe Du weg muβt.  Sie zählten paar Fälle auf, wo der Mann ziemlich weit fort gekommen ist und erst nach ¼ Jahr zum Heiraten heim konnte, die eine wartet heute noch.

Das ist ja nun freilich überall anders und man kann nicht sagen, wohin Du sollst und welche Vorgesetzten Du haben wirst.  Ich sprach auch am Montag mit der Tochter vom Lunkwitz Bäcker, bei uns an der Straβenkreuzung. Sie ist mit einem Lehrer in Leipzig jung verheiratet, ihr Mann ist in Deinem Alter, ungedient und seit März einberufen, gleich raus nach Hamburg. Wenn er nicht einen guten Bekannten als seinen Leutnant gehabt hätte, wäre er jetzt noch nicht dagewesen, meinte sie; der hat ihm nach einem reichlichen ¼ Jahr Urlaub verschafft. Dasselbe Lied vom Urlaub erzählte sie von einem bekannten Ehepaar, wo ‚er‛ nach Wismar eintreffen m[u]βte. Wenn das freilich so böse aussieht, wäre es zu überlegen, ob wir die standesamtliche Trauung nicht doch vorverlegen. Ich bin ja nun ohne Beruf und sollte das sich bei uns auch so lang hinausziehen, das geht nicht gut. Ich bin dann ohne jegliche Unterstützung. Ich habe mit den Eltern darüber gesprochen und die meinen, wir sollen uns darüber einig werden wenn ich zu Dir fahre am Sonnabend, sie sind unter solchen Umständen auch der Meinung, daβ wir uns erst noch trauen lassen; bei der kirchlichen Feier soll es vorderhand so bleiben. Sie würden uns eben sofort die Papiere schicken; es ist ja alles bereit. Also Liebster! Du wirst Dir das auch einmal überlegen, bis ich bei Dir bein, ja? Am Monta[g] auf dem Gemeindeamt wurden mir nur die Papiere ausgehändigt, die meine Untersuchung bestätigen u. die Du bei Deiner Behörde vorlegen muβt. Ich bringe sie mit.

Mein Geld konnte ich ohne weiteres abheben, und B.s freuten sich, als ich Montag schon zahlen kam.  Wir bekamen 34,50 M erlassen, ist doch schön, nicht?

Was ich heute vergaβ zu schreiben und was noch zu sagen wäre, das wollen wir nun am Sonnabend und an noch viel mehr Tagen mündlich tun. So Gott will, darf ich bald bei Dir sein, Du mein Herzallerliebster! Es will mir so eigen zumute werden, wenn ich denke: noch einmal bei Dir und vielleicht lange, lange nicht mehr dann.

Liebster! Ich habe einen Wunsch, einen groβen innigen Wunsch, es ist mein einziger den ich habe. Ich habe Angst, daβ Du ihn mir nicht erfüllen wirst;  doch wenn dieser einzige Wunsch mit Gottes Plänen übereinstimmt, dann wird er erfüllen helfen. Ich will ihn nicht niederschreiben, Du!  Ich will ihn Dir selbst sagen. Und nun behüte Dich Gott!  Du!  Mein bester, allerliebster Mensch!  Mein [Roland]!  Ich bin immer bei Dir mit meiner ganzen groβen Liebe und Sehnsucht!

Zu Treue   

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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