
[400527–1‑1]
S. am 27. Mai 1940
Herzallerliebste, meine liebe [Hilde] Du!
Daran muß ich denken, daß in deinem Alltag in dieser Woche eine einschneidende Veränderung eintritt. Um mir zu folgen, Herzliebes, willst Du Deine Arbeitsstätte verlassen. Unaufhaltsam und immer deutlicher tritt das Vorhaben uns[e]rer Verbindung heran mit Umständen [u]nd Veränderungen. Waren es erst nur Veränderungen, die geheim nur uns beide angingen, so sind es jetzt bedeutsame, allen vernehmbare Schritte. Und fester müssen wir unsere Zuversicht und Glauben in die Hand nehmen: was jetzt geschieht und sich vollzieht ist unser Schicksal, das wir aus Gottes Händen empfangen.
Es wird für Dich ein Tag des Abschiedes von vertrauten Gewohnheiten, Arbeiten und Menschen. Die Fabrikarbeit zwingt die Menschen zu einer Ordnung. Jede Ordnung ist wohltuend und jeder Mensch mit Halt kommt und strebt zu einer Lebensordnung. Eine alte, aufgezwungene, sklavische Ordnung verläßt Du; eine neue, eigene mußt Du nun erst finden. Der Menschenkreis, in den Du bei Deiner Arbeit gestellt warst, er war Dir auch aufgezwungen, Du konntest ihn nicht einmal fliehen, wenn er gar zu aufdringlich Dich bedrängte. Die kleinen gemeinsamen Freuden und Nöte des Alltags verbanden Dich mit ihm, wenn auch nur locker und äußerlich. Fester binden Dich daran die Teilnahme an den Schicksalen, die Du kennenlerntest, und die Maßstäbe, die Du gewannst, wenn Du an diesen Schicksalen Dein eigenes maßest und ausrichtetest. Und mit Recht scheidest Du deshalb nicht ohne Wehmut und Dankbarkeit. Jeder strebende Mensch erkennt dankbar, daß jede Strecke uns[e]res Lebensweges, auch die ödeste, notwendig ist und den Menschen formt. Und so dankbar ich bin, daß ich Dich gewann so wie Du bist, fühle ich mit Dir den Dank für den Lebensabschnitt, den Du nun beschließen willst.


Der Sonntag zu Hause war im großen ganzen recht befriedigend. Sonntagvormittag gingen wir zum Möbelhändler G., weißt, das ist der neben B., bei dem wir versehentlich einmal vorsprachen. Ich war auf[‘]s höchste gespannt auf die Schlafstube zu 650 M, und war dann froh überrascht: eine überaus gefällige, mir ganz zusagende Schlafstube nicht in Esche, wie Mutter fälschlich berichtete, sondern in Schälbirke, freundlich, hell, schön gemasert. Ich war bereit sofort einzuschlagen. Aber die da stand, war [sch]on verkauft. Morgen früh erwarte ich Nachricht von Mutter, wann dieselbe Schlafstube lieferbar ist, Herr G. hat noch 2 bestellt, nicht weit von K., in O.-O.. Mit 75% haben wir dieses Zimmer sicher. Der Schrank dazu mißt 1,80 M, die Betten 1x2 M, Stahlrahmen liefert er mit. Wir wurden überaus freundlich abgefertigt, Herr G. fu[e]hrte uns durch Werkstatt und alle Räume. Wir bekommen von seinem Geschäft den besten Eindruck, sahen ein paar ganz [h]ervorragend gearbeitete Polstermöbel, sodaß ich mit Mutter darin einig den Laden verließ, daß wir uns[e]re Polstermöbel einmal bei dem anfertigen lassen.
Anschließend besuchten wir den Tischlermeister und Möbelbauer K., uns schräg gegenüber. Dieser Mann machte einen ehrlichen und guten Eindruck und ist bereit, uns eine Küche zu bauen nach vorliegenden Modellen, unter Berücksichtigung uns[e]rer Sonderwünsche, hat auch noch Äsche, Linoleum, baut uns für 400–500 M eine gute Küche — aber kann sie vor Ende Oktober! nicht Liefern [sic]. Er baut jetzt Stubenmöbel und Möbel für Herrenzimmer und baut dann wieder einmal nur Küchen, und so lange mußten wir uns gedulden. Da ist nun wieder mancherlei zu wägen und zu raten. Über Sonntag schickt uns Mutter einen Katalog nach O., da können wir Kriegsrat halten. Die Eltern sind dafür, daß wir dieses Angebot annehmen. Vater meint, unter den jetzigen Verhältnissen kommt ihr vor Oktober ohnehin nicht zu einem festen Wohnsitz, sollte doch, dann fände sich auch dann noch Rat, der Oktober ist schnell heran und von den 3½ Monaten, die bis dahin verstreichen sind fast 2 Monate Ferien. Das sind alles Gründe, zu denen wir uns am Sonntag einmal äußern müssen. Ich habe also fest [vo]r, Sonnabend zu Dir zu kommen. Ich möchte Dich bitten, bis dahin noch einmal zum Standesamt zu gehen, und Dir die Unterlagen zur Bestellung des Kirchlichen Aufgebots geben zu lassen. Vielleicht, daß wir dazukommen, das Aufgebot zu bestellen.

Mit Dir bin ich so glücklich und frohgemut! Behüte Dich Gott! Am Sonnabend will ich bei Dir sein, Herzallerliebste Du! Ich liebe Dich von ganzen Herzen, Du meine liebe [Hilde]! Bitte grüße die lieben Eltern.
I found it suprising that she is moving together with him even though she is that young