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Briefkorpus

Schmilka am 23. Mai 1940.

Herzallerliebste, meine liebe [Hilde], Du!

So lange brauchte ich nicht nach der Feder zu greifen! Still ist es wieder geworden in meinem Hause, nach froher Geselligkeit nun doppelt und seltsam still. Ich spüre frühmorgens nicht mehr den Atem hinter meiner Tür, brauche nicht mehr rücksichtsvoll leise zu treten. Du stehst nicht mehr bequem leibhaftig vor mir nach dem Dienst, ich muβ Dich wieder suchen, und wir müssen uns mit Worten wieder verständlich machen. Ich mag Dich so gern suchen, Liebste, so wie von Anbeginn unsrer Freundschaft und Liebe! Wenn ich meine Gedanken nun wieder zu Dir schicken muβ und sie in künstliche Worte zwingen, so leuchtet durch den Dunst und die Schwüle der Sinnlichkeit unsrer vergangenen Tage[n] doch wieder etwas von der klaren, reinen Wesenheit unsrer Liebe. Du verstehst mich recht: es ist nur natürlich, daβ wir beide im Banne dieser sinnlichen Liebe stehen und wir werden es, solange wir uns so selten begegnen und im Schutze der Elternhäuser noch ohne eigene Verantwortung nebeneinanderleben [sic]. Und wir möchten doch beide nicht auslöschen und tilgen, was wir bisher an Strebungen und Zielen in diese Liebe setzten. Ich bin doch so froh, daβ ich bei der Liebe noch einmal in die Schule gehen darf, daβ die gröβte unter allen Himmelsgaben mein Lehrmeister werden soll. Ich muβ ja noch so viel lernen, und die ersten Übungen machen mir viel Freude: Rücksicht nehmen, teilen, sich kümmern um andere, aufmerksam sein, verzeihen. Liebste, das alles braucht der Junggeselle nicht, das kennt er nicht, und wenn er es früher zu Hause übte, er verlernt es. Und solch Junggeselle war ich. Und nun modelst Du mich um. Und das befreit mich, das liegt meinem Wesen mehr als einspännig daherzufahren. Du glaubst ja nicht, wie schwer es mir fiel, Dir die kleine Nichtigkeit zu verzeihen. Ich bin froh, daβ ich das lernen muß. Und es macht Freude, sich zu überwinden. Weiβt Du, es war gut, daβ wir Besuch hatten während unsrer Tage, aus mancherlei Gründen, wir haben schon darüber gesprochen.

Ich bin wieder an die Arbeit gegangen. Es war manches liegen geblieben. Heute Freitag ist auch der Rohrstock wieder in Funktion getreten, die Bürschchen haben im Übermut die Fensterscheiben einer Laube zerdonnert. Donnerwetter war auch über der Elbe, gestern und heute. Morgen Sonnabend ist schulfrei, Sportfest der Jugend. Für mich ist trotzdem Dienst: Schulleiterzusammenkunft auf der Schloßbastei in Bad Schandau. Bei günstigem Wetter will ich anschließend nach Lichtenhain fahren. Am Sonntag muβ ich an den Jahresbericht gehen, am Vormittag. Am Nachmittag will ich den Sommerfrischler spielen und meine Gedanken frei spazieren lassen, versteht sich in der Freiheit, die ihnen das goldne Ringlein zumißt, hinter den goldenen Gittern und Fesseln der Freiheit mit Dir, Herzallerliebste Du! Sie ist ja so groβ und weit und süß und kostbar, Du!

Herzallerliebste, Du! Eben bin ich heim von der Schandauer Tagung. Sie brachte nichts Neues, immer besser als etwas Schlechtes. Zurück zum Elbschlößchen fand ich dort Mutters Brief, den ich Dir mitschicke. Soeben habe ich mich entschlossen, wegen der Möbel nachher ¾ 7 nach Kamenz zu fahren.

Wenn mir das eschene Schlafzimmer gefällt, und ich will es schon auch ein wenig mit Deinen Augen ansehen, dann machen wir es fest. Das andere kommt meiner Ansicht wegen seines Preises und der Politur nicht in Frage. Was Mutter von der Küche schreibt, bringt mich auf den Gedanken, im Notfall einen Tischler in Großpostwitz anzugehen, bei dem ich einst wohnte. Weiβt, Du, ich bin ganz zuversichtlich, daβ am Ende noch alles ein gutes Geschick kriegt. Rühren müssen wir uns freilich und das tun wir ja auch. Ja, so schnell [ä]ndern sich die Pläne. Und Du siehst es an meiner Schrift, sie zittert schon von Entschluβfreudigkeit und Reisefieber! Bei meiner Reise nach Oberfrohna am kommenden Sonnabend bleibt es zunächst. Liebste, ich will schon gern zu Dir kommen! Aber wenn Geschäfte für uns dazwischenkämen, würde ich auch darauf verzichten. Du, bisher hätte ich keinen Sonntag hergeben wollen, den ich bei Dir weilte! Aber nun, da wir rechnen können, daβ wir doch unsre Hochzeit feiern können, selbst wenn ich eingezogen würde, bin ich nicht mehr ganz so ängstlich.

Wie herrlich würde es, wenn wir bis dahin den Frieden hätten! Herzliebes, viel Arbeit und Sorge ist noch bis zu unserem Fest! Aber davon werde ich mir nicht die Freude ersticken lassen, daß an diesem Tage unsere Hände für immer ineinandergelegt werden, daβ wir dann einander gehören und auf uns gestellt, Du auf mich, und ich auf Dich, unsre gemeinsame Lebensfahrt antreten sollen. Herzliebes, darauf freue ich mich, Du! So sei mit den lieben Eltern für heute aufs herzlichste gegrüßt. Wo ist es schöner, in Elbschlößchen oder im Dornröschenschloß? Du!! Unheimlich ist’s im Elbschloß, ein vogtländischer Unruhgeist geht da um. Bald brauchen wir ihn nicht mehr zu fürchten! Herzallerliebste Du! Ich bin so froh Deines Besitzes, ich gehöre Dir ganz und immer! Behüt Dich Gott!

Ich küsse Dich! Ich liebe Dich von ganzem Herzen!

Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946