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[OBF-400410-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 8. April 1940
Am Montag.

Herzallerliebste, Du meine liebe [Hilde]!

Nun war es wieder einmal richtig Sonntag. Seit meinem 16. Lebensjahr ist mein Leben aufgespalten in ein Wochentags- und Sonntagsdasein, d. [sic] ist gleichbedeutend mit Schatten- und Sonnendasein, und die verhalten sich bekanntlich 6:1. Sonntag, das bedeutet mir seitdem Umgang mit lieben, vertrauten Menschen, Wochentag aber Dienst und Pflicht. Weil ich mich nicht so leicht eingewöhne und anfreunde, habe ich das umso mehr empfunden, und es ist ganz klar, daß das Innere dabei verhärtet.

Als ich gestern schied aus dem Sonnen- und Sonntagsland, das Du Gute mir gebracht hast, da schien die Sonne. Zu ihr den Blick gewandt, habe ich noch lange gesessen, im Westen blieb sie, bei Dir, Herzallerliebste, ich habe die Hände gefaltet und gebetet, sie möge mir bleiben und leuchten. Nun sollen sich mir bald, so Gott will, Sonnen- und Schattenland sich wieder vermählen. Das bedeutet für mich, daß ich ein neues Zuhause gewinne, daß nun Sonne auch in den Werktag fällt, und daß sie mir nun öfter und länger scheint. Die Aufspaltung des Lebens in Sonntags- u. Wochentagshälfte, ist sie von Vorteil oder Nachteil? Der scheinbare Vorteil: der Sonntag wird deutlicher, auf ihn häuft sich alle Spannung, Erwartung, Lustbarkeit. Der Nachteil: Die Spaltung ist ganz unnatürlich. Ich besinne mich noch recht deutlich, wie geborgen und sicher und behütet das Leben ablief im Elternhause, ohne daß es langweilig wurde, und Sonntag wurde es trotzdem. Wenn uns der Sonntag zum Ausnahmetag wird, verliert er das Feierliche, weil alle äußer[e] Lustbarkeit auf ihn fällt und sich in den Vordergrund schiebt.

Alle überspannten Erwartungen sind ungesund, sie täuschen uns mit der Zeit auch über die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit der Freuden, d[.] insofern, als gerade die niederen Freuden das Fieber unsrer Spannungen am höchsten treiben. Wenn wir beide so wie jetzt weiter leben müßten, kämen wir schwerlich zu einer größeren Verinnerlichung unseres Zusammenlebens, auf das wir uns doch vor allem freuen, weil es unser Leben bereichert. Herzallerliebste Du! Seitdem Du mein Leben so bereichert hast, erkenne ich erst recht, was ich bislang habe entbehren müssen, was außer mir so viele Menschen entbehren müssen, die ähnlich herumgestoßen werden. Ich denke dabei gar nicht nur an die Annehmlichkeiten als vo[r] allem daran, daß es gar nicht möglich ist, das Leben harmonisch, zwischen Spannung und Entspannung wohl abgestimmt, zu gestalten. Von der Arbeit weg in einen Raum zu blicken, der nicht der Arbeit dient, den Tag im Kreise vertrauter Menschen schön ausklingen lassen, zu musizieren, in ein liebes Antlitz schauen und zu jemand sprechen, vor dem man nicht jedes Wort erst lange wägen muß — Herzliebes, Du! Gut, daß ich es erst jetzt recht empfinde und mir darüber Rechenschaft gebe, da mir durch Dich all das geschenkt werden soll! Wie arm war ich doch und bin es noch ein wenig. Wie reich aber hast Du mich schon gemacht und wieviel Sonne bringt mir die Hoffnung auf die Erfüllung! Herzallerliebste Du! Ich bin Dir so dankbar, und Gott und Deinen Eltern! Mir ist nicht bange darum, daß wir unsere grellen Sonntage mit vielen milden leuchtenden Sonntagen vertauschen sollen. Aber ich freue mich darauf, daß der böse Abschied einmal aufhört, daß Du immer mit mir fahren darfst, Du Herzliebes!, und ich weiß, daß ich Dich dann nur noch lieber gewinnen werde, daß ich Dir dann noch viel besser zeigen kann, wie lieb ich Dich habe; nichts Lieberes mag ich mir wünschen. Sei froh mit mir! Du meine liebe [Hilde], Ich habe Dich recht lieb!

Dein [Roland]

Herzallerliebste! Mittwoch ist heute. Draußen ein herrlicher Sommertag. Heute erhielt ich schon den ersten Urlaub auf Vorschuß: Ab Montag bin ich schulfrei. Der Schulrat ist voreilig! Noch habe ich keinen Befehl. Wann er kommt, gebe ich Dir schnellstens Nachricht. Sonst aber sehen wir uns am Sonnabend. Gestern wart Ihr in Glauchau. Ich werdet müde zurückgekehrt sein. Auf meine Karte vom Sonntag erhielt ich schon am Dienstag von Hause Nachricht. Die Eltern sind befriedigt von unserem Abschluß. Gudes soll ich Mitteilung machen und wir sollen darauf achten, daß wir zu unseren Betten die Stahleinlagen bekommen. Vielleicht fragt Ihr gelegentlich wieder einmal mit nach.

Herzliebes! Nun ist für uns die Zeit des letzten Wartens angebrochen. Des Wartens auf unseren Tag, und dann des Wartens auf den Frieden. Wir haben schon manchmal gewartet, auch Du, wie ungeduldig und sehnsüchtig manchmal, doch immer voll Hoffnung, und noch nie vergebens.

Voll guter Hoffnung dürfen wir sein. Wieviel dunkler und finsterer könnte es um uns sein! Nichts ist uns fehlgeschlagen bislang. Zusammentun wollen wir uns trotz der schweren Zeit. Ob im Kriege oder im Frieden: die Hochzeit bedeutet uns das Sigel zu unserem Gelöbnis, eineinander ganz zu gehören, miteinander zu gehen in Freud und Leid. Möchtest Du sie aufschieben bis zum Frieden? Liebste, ich habe noch keinen Augenblick daran gedacht, ich fürchte mich nicht vor diesem Tag, ich freue mich auf ihn!

Sei Du mit mir guten Mutes! Gott nehme Dich in seinen Schutz!

Bald dürfen wir wieder beieinander sein, uns die Hände drücken, einander unsre Liebe bezeigen und stärken in unsrer Hoffnung. Herzliebes Du! Meine liebe [Hilde]! Ich will nicht von deiner Seite weichen und Deine lieben Hände ganz fest halten, für immer! Ich liebe Dich von ganzem Herzen!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946