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[OBF-400331-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 31. März 1940.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Ach Liebster, nun bin ich frei, einen ganzen Sonntagnachmittag lang – nun gehörte ich zu Dir, Du! Wenn Du doch jetzt bei mir sein könntest, ich bin ja so allein; das ganze Haus scheint wie ausgestorben, alle sind fort gegangen.

Das Frühlingswetter lockt heute wieder einmal mit Macht. Ich sehne mich auch hinaus, wohl – aber ich möchte mit Dir gehen, Du! So aber will ich lieber Deiner denken, ich tue es so gerne, wenn alles still ist um mich her. Ein Versprechen mußte ich den Eltern geben ehe sie zur Groβmutter gingen nach Mittelfrohna, daβ ich nachkomme, sobald ich fertig bin mit schreiben, damit ich auch mal an die Luft käme. Wirst Du heute auch ein Stück hinaus gewandert sein in den Sonnenschein, Liebster? Ach Du! Ich kann die Zeit kaum noch erwarten, da wir für immer einander sein werden.

Die Sehnsucht nach Dir, das Warten auf Dich – Du, sie sind oft so schwer zu ertragen diese beiden – wenn die Zwischenräume unseres jeweiligen Wiedersehens gröβer wären, Du Liebster! Ich würde krank vor Sehnsucht nach Dir. Anfangs glaubte ich, je länger ich um Dich sein würde, umso stiller und ausgeglichener würde meine Liebe zu Dir werden. Und nun?

O Du! Herzallerliebster! Nun ist etwas in mir aufgewacht – Unruhe, Seligkeit, Verlangen, etwas überwältigend Groβes und Schönes – etwas ganz Neues, das vorher noch nie da war, das die Welt und das Leben so wunderschön scheinen läβt, das alles überstrahlt mit seinem Glanz. Es muβ das Glück sein – das Glück unsrer reinen, tiefen Liebe, Du!

Und so habe ich mir die Liebe vorgestellt: Wenn eines ganz im Herzen des andern lebt, wenn eines ganz erfüllt ist vom andern, ja, wenn eines ohne das andre garnicht mehr leben kann. Ach Liebster, Du! Auch Dir könnte manchmal bange werden vor dem unwahrscheinlich groβen Glück, das wir erleben dürfen?

Angst vor dem Glück; Angst, daβ es zu groβ und somit eines Tages zu Ende sein könnte, habe ich manchmal, wenn diese Gedanken mit aller Wucht auf mich eindringen.

Du bist es schon oft gewesen, der mir meine Gedanken wieder frei machte von dem Druck, der sie wieder auf die rechte Bahn lenkte. Durch Dich auch lernte ich recht erkennen, daβ alles Erdenglück die schönste Erfüllung findet, wenn es im Göttlichen gipfelt. Du hast Dich in Deinem Leben durch mancherlei hindurchringen [sic] müssen, Du hast an Dir selbst erfahren, wie gut und tröstlich es ist, unser Denken und Planen mit dem Gottes übereinstimmen zu lassen – schwer ist es und manchmal scheint es unmöglich. Es ist nicht Schwäche und Feigheit, da[β] wir uns Gott anvertrauen – ein Mensch der Demut nicht kennt, der die Allmacht des Göttlichen auf dieser Erde nicht wahrhaben will, wie kann er auf Gnade hoffen von dem, das er auch Schicksal nennt?

In meinem Alter könnte ich selbst noch nicht so viel Lebenserfahrung gesammelt haben, um von mir aus allein zu dieser Überzeugung zu gelangen. Du warst es, Dir danke ich es, daβ ich dem Weg zu Gott näher kam. Liebster, mein [Roland]!

Zu Gottes Vaterhut wollen wir unser Leben, unsere Zukunft legen, weil wir erkannt haben, daβ das Leben – was es uns auch noch vorenthält – so allein seligmachend ist.

Dein Brief, Du! Dein lieber, guter Brief. Ich verstehe Dich, mein [Roland], und ich danke Dir so, Du!

Eines will ich sein mit Dir, stets das Gute wollen wir vor Augen haben, nie wollen wir aufhören, Gott um Kraft zu bitten, für unsere gemeinsame Aufgabe.

Ich bin so dankbar, daβ ich leben darf, gesund und jung – daβ ich Dir leben darf, meinem Glück! Der Frühling liegt vor uns, auch der Lebensfrühling, ich spüre soviel Kraft in mir, allem zu trotzen, daβ sich uns in den Weg stellt; spüre Kraft in mir, die ernste, schwere Zeit zu überwinden – Du bist ja bei mir!

Am nächsten Sonntag willst Du bei mir sein. Das bedeutet soviel: Wir würden uns in Kamenz treffen und Hellmuth’s [sic] Genesung feiern? So war es vorgesehen, ich weiβ.

Liebster! Es fällt mir schwer, Dir jetzt zu sagen, daβ es nicht so sein kann. Erstens, weil ich auch mit Sehnsucht auf den Tag warte, der mir Dich bringt, Du! Zweitens, ich würde gerne mit in Eurer Mitte weilen, Elfriede sah ich schon lange nicht mehr. Die Eltern sagen dazu, es verlohnt sich nicht um dieser paar Stunden willen die weite Reise zu tun, auβerdem wäre ich erst 5 Tage in Kamenz gewesen u. das würde auch undurchführbar für die Eltern in dieser schlechten Zeit, eine Hausfrau könne das am besten beurteilen, 4 Mäuler zu stopfen oder nur eines mehr. Du sollst diesmal allein fahren und wir sollen uns zu meinem Geburtstag hier wiedersehen. Ja und nun muβ ich wohl auch meinen Grund anführen, der leider garnicht hinwegzuleugnen ist: Die Heiratskasse erlaubt mir’s nicht, und die geht aber jetzt vor, Du! Der Monat April schlieβt zwei Reisen ein – viel mehr Anfang Mai – einbezogen – 6./7. Kamenz – 1./2. Schmilka, weiβt Du, ich kann nur eins von beiden durchführen und zu Dir nach Schmilka will ich doch so sehr gerne wieder einmal! Also bleibt mir nichts andres übrig, als bis zum 19. April bis zu warten auf Dich.

Du Armer! Für Dich ist es gut das teure Reisen.

Ich möchte so gerne, daβ die Reisen auf uns beide gleich verteilt wären, aber bei meinem jetzigen Verdienst u. in Anbetracht unsres Vorhabens kann ich’s nicht durchführen, ich brauche ja noch so viel Geld. Den Eltern will ich auf keinen Fall unnötig Geld kosten.

Ich weiβ, Du wirst mich verstehen, Liebster! Fahre Du nach Hause am Sonnabend und stelle ihnen klar, weshalb ich nicht kommen kann. Wir wollen darum nicht traurig sein, die übrigen Tage müssen ja doch auch vorüber gehen und dann – Du, will’s Gott bist Du bei mir, mein Lieb!

Gestern waren wir alle in Limbach einkaufen. Vater als – verspäteten Geburtstag – bekam eine Hose, Mutter – auf meine Punkte – ein Festkleid! Ich hab es ausgesucht, es wird Dir wohl auch gefallen. Stoff für unser Brautkissen habe ich ausgesucht, noch nicht gekauft, weil ich Bezugscheine brauche – hellblaue Bemberg–Seide. Liebster! Du, ich habe einen wunderschönen Stoff gesehen für mein Brautkleid, auch da – ich lieβ ihn zurücklegen, gleich wenn Du kommst muβt Du ihn Dir ansehen, mir sagen ob er Dir auch gefällt – ich muβ den Stoff kaufen – ich will Dir doch auch gefallen, Du!, als Deine Braut! Floto-Cü nennt er sich, zu deutsch: wogendes Meer. Du! Ist das nicht aufregend?

Kissen auf’s Sofa habe ich zum Füllen gegeben zur Federfrau. 2 Kuchendeckel kauften wir, einen runden u. einen rechteckigen, die werden alle. Schüsseln u. Platten zu meinem Wochentagsspeiseservice, eine verchrom[te] Soβenkelle, weil es kein Silber mehr gibt. Und beim Sattler waren wir auch, weiβt noch, von damals. Gar keine Aussicht, vor mir sind so viele Bestellungen, die er nicht ausführen kann weil er keine Überzugstoffe hat. Etliche zeigt er uns, die noch am Lager waren, sie waren so gering und häβlich im Muster, daβ mich mein Geld gedauert hätte. Ich denke, am besten tun wir daran: abwarten, bis die Zeiten besser sind u. dann erst kaufen. Ich versuche einen Bezugschein zu bekommen für eine schöne Diwandecke, wir nehmen eben unsere Chaiselongue vorderhand mit. Herr T., der Sattler, ­­­riet uns selbst, wer es nicht unbedingt braucht, soll lieber abwarten, einen guten Kauf würde man jetzt nicht tun. Nur nicht so übertrieben sorgen, es wird alles der Reihe nach. Unsre Schlafstube ist so gut wie sicher, die Matratzen macht uns doch wohl Herr H., dazu muβ ich unbedingt einen Bezugschein für Überzugstoff bekommen. Morgen gehe ich aufs Rathaus und verlange alles, was ich noch brauche; mal sehen, wie ich abschneide! An Deinen Staat habe ich auch gedacht. Einen Frack oder Smoking kriegst Du, ein weiβes Oberhemd?, Krawatte?, Zylinder?, neue Schuhe möchtest Du auch haben, Du! Man soll nicht in alten Schuhen vor den Altar treten. Weiβe Handschuhe, hast Du die?

Wir müssen über unseren Festaufzug überhaupt noch mal mündlich verhandeln, es muβ auch alles klappen. Du! Ich will doch stolz sein auf Dich. Ach ja, wenn man all das was gebraucht wird an einem Tage überdenkt, so könnte einem schwindeln beim Gedanken an die Summe, die am Ende steht. Ohne Opfer geht es nun mal nicht ab beim Heiraten, dafür erringen wir uns aber auch das Schönste, was ich mir auf dieser Erde denken kann: Ein eigenes Heim, ein Leben mit Dir, Du mein [Roland]! Du kannst es Dir gewiβ nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue darauf. Frauen sind doch von anderen Gedanken bewegt, wenn ein eigener Hausstand gegründet wird. Die gröβte Freude besteht aber darin, daβ ich Dich nun bald recht lieb umsorgen kann, Du! Und Du darfst es mir garnicht wehren. Wenn Du natürlich recht ungezogen bist, stellt sich die Behandlung selbstverständlich dementsprechend um!

Also Liebe um Liebe – Zahn um Zahn.

Du kannst jetzt mein Gesicht nicht sehen – ich will Dir darum schnell die schwarzen Gedanken verscheuchen, wenn Du so bleibst, wie Du bisher warst, dann hast Du nur frohe, gute Zeit in Aussicht bei mir.

Darum aber nicht übermütig werden! Hörst Du?

Ich bin nun wieder da von meinem Spaziergang nach M., es war nur ein kurzer Aufenthalt bei Groβmama, sie war bei guter Laune und läβt Dich vielmals grüβen. Ehe wir schlafen gehen, wird [d]ie Uhr eine Stunde weiter gedreht und nun ist es 10 Uhr.

Du schläfst vielleicht schon, Dickerchen?

Nun will ich für heute schlieβen.

Behüt Dich Gott!

All meine Gedanken sind bei Dir, heute und jeden Tag – möchte die Zeit recht bald vergehen bis zur Stunde, da Du mir gehörst, Liebster Du!

Mein [Roland]! Herzallerliebster Du!

Ich liebe Dich ja so sehr!

Ich küsse Dich, Du!, und bleibe immer Deine [Hilde].

Recht herzliche Grüβe von den Eltern!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946