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[OBF-400327-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 27. März 1940

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Du!  So kurz waren unsre Tage.  Wie verflogen sind sie.  Ich bin gestern umhergeirrt, als könnte es gar nicht sein, daß Du schon wieder entschwandest, Herzallerliebste Du!  Die Erinnerung an unsre Tage ist so süβ und zaubrisch, Du!  Heute vormittag bin ich abgereist, vormittag schon, damit [i]ch vielleicht heute noch umkehren könnte zu Dir, Geliebste!  Eben bin ich mit dem Rad aus Schandau zurück, um mir Gewißheit zu holen.  Ganz verschieden beginnt der Unterricht in einzelnen Orten, in Schandau selbst erst am 1. April.  Aber für uns bleibt es dabei, Donnerstag, den 28. März.  Du, kannst Du Dir denken, daß ich voll Hoffnung war und Freude?

Nein, Du kannst es wohl kaum ermessen, wie voll Verlangen und Liebe ich hoffte, Du!  Nun müssen wir Geduld haben.  In ½ Stunde geht die Post.  Gleich habe ich mich hergesetzt, um wenigstens unseren Boten wieder in den gewohnten Gang zu bringen, damit er uns pünktlich unser nächstes Wiedersehen bestellt, Herzliebes, so Gott will Sonnabend/Sonntag, den 6./7. April.  Ich habe heute früh so gewartet auf ein Zeichen von Dir, es blieb aus.  Trotzdem denke ich, daß Du gut nach Hause gekommen bist, auch ohne Dein Geldtäschchen?  Nun habe ich zwei Pfänder in meiner Hand. Deine Abfahrt und unser Abschied waren so überstürzt, es ist mir nachher erst recht zum Bewuβtsein gekommen, Du!  ich mag Dich doch gar nimmer gern fortlassen, ich mag doch gar nicht mehr Abschied nehmen von Dir!  Du, Liebste!  Schreib mir bald ein paar Zeilen, nur ein paar Zeilen. Ach Du! Ich habe noch gar nicht ausgepackt, ich würde am liebsten gleich wieder zupacken.

W.r wollte schimpfen, als ich andeutete, daß ich vielleicht nach Oberfrohna fahren wolle, wenn..., ja wenn...

Du, hast Dich von dem Schrecken erholt, den er uns einjagte?  Herzliebes!  Bei Euch, bei Dir ist es weniger schreckhaft.  Du!

So, jetzt muß ich aufhören.

Ich habe auch weiter nichts zu sagen, nur daß ich Dich so lieb habe, Du!

„Du mein Gedanke,
all meine Sein und Werden,
Du meines Herzens erste Seligkeit!
Ich liebe Dich wie nichts auf dieser Erden!
Ich liebe Dich!
Ich liebe Dich in Zeit und Ewigkeit!“


Behüt Dich Gott!

Ich liebe Dich ganz sehr, Herzallerliebste!

Du, meine [Hilde]!

Dein [Roland]

 

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In diesen beiden Briefen erkennt man bereits die Enge und Vertraulichkeit, die sich zwischen Roland und Hilde aufgebaut hat. Das ‚Sie’ und der diskrete Schreibstil sind gänzlich verschwunden. Roland schmachtet für sein „Herzliebes“ und schmückt seine Zuneigung und sein Begehren wortreich aus. Tatsächlich hat der Brief keinen anderen Inhalt mehr, als die Umschreibung seiner Gefühle und seine Sehnsucht nach Hilde. Roland gibt hier kaum Einblick auf seinen Alltag und seine derzeitige Situation. Zwar schreibt er davon, dass er mit Schnupfen und Halsschmerzen zu kämpfen hatte, doch scheint die Erwähnung seiner Krankheit nur eine einleitende Vorgeschichte für die Schal-Pointe zu sein. So erzählt er Hilde dass er, auf der Suche nach seinem eigenen Schals, den ihrigen in seinem Koffer fand und sogleich an sie denken musste und an die Zeit, in sie sich kennen lernten und sich noch siezten, obgleich er schon damals starke Gefühle für sie empfand.
Dass der Brief fast Gänzlich aus Gefühlsbekenntnissen und Erinnerungen an die rosige frühere Zeit besteht, muss auch im historischen Kontext betrachtet werden. Es ist Krieg, die Leute leben in Angst, Not und Gräuel sind überall zu sehen, auch abseits der Front. Über das Elend schreiben würde heißen, es zu konstatieren und die Gefühle der Angst und Unsicherheit damit womöglich noch zu vergrößern. Roland gibt sich mit seinen Liebesäußerungen selbst Kraft, er spürt sich selbst in seinen Gefühlen zu Hilde und die Erinnerungen an Früher beruhigen und geben Sicherheit. Über eine mögliche gemeinsame Zukunft, ein Wiedersehen zu schreiben, gibt Hoffnung. „Ich weiβ nicht, ob Ihr Frauen auch so die Freude am eigensten Besitz kennt wie wir. Du glaubst ja nicht, wieviel Glück und Freude diese Worte umschlieβen: Du bist mein!“. Hilde als ‚eigensten Besitz’ zu bezeichnen, könnte man hegemonial interpretieren, doch würde ich es mehr als ein sich an ihr festhalten sehen (- wobei das Eine das Andere nicht ausschließt). Durch die ständige Erklärung seiner Liebe zu Hilde wird diese zu einem sicheren Ankerpunkt.

Dieser Brief ist offensichtlich nach einem Besuch von Hilde bei Roland entstanden. Der Abschied kam ganz plötzlich und "überstürzt", sie habe sogar ihre Geldbörse vergessen und bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Briefes hat Roland immer noch kein Lebenszeichen seiner Hilde erhalten. Hier wird wieder einmal die Problematik der zeitlichen Differenz des Briefeschreibens und -erhaltens deutlich: heutzutage würden wir eine schnelle Whatsapp oder Email Nachricht schicken, dass wir hier oder dort gut angekommen sind - damals musste man bangen, bis man nach Tagen oder gar Wochen eine Antwort erhielt. Die Liebe und Sehnsucht wird in Rolands Kosenamen an Hilde umso deutlicher: Herzallerliebste, Liebste, Liebe, Herzliebste - in beinahe jedem Satz bezeugt er seine Hingabe zu Hilde. Dieses Gefühl scheint in seinen eigenen Worten nicht genug widergespiegelt zu werden, daher fügt er am Ende des Briefes noch ein Zitat von H.C. Anderson ein. Aus dem Brief wird ebenso deutlich, dass jemand namens "Worter" dem jungen Paar einen Schrecken einjagte - worauf das bezogen ist, lässt sich anhand dieses Briefes nicht sagen. Im Bezug auf die Zeit könnte es mit den politischen Umständen zu tun haben?

Einordnung
Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.400327-001-01c.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

Gesendet am
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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946